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AOL-Bertelsmann schluckt CompuServe

■ Weltweit schluckt AOL drei Millionen Extrakunden vom einst schärfsten Konkurrenten, in Deutschland alleine 280.000. CompuServe soll als Dienst im alten Antlitz erhalten bleiben Von Niklaus Hablützel

Von Niklaus Hablützel

Gestern mittag bestätigte ein Sprecher des Bertelsmann-Konzerns in Gütersloh, worüber an der New Yorker Wall Street schon seit dem Frühjahr spekuliert wird: Der weltgrößte Onlinedienst AOL übernimmt seinen bisher größten Konkurrenten CompuServe. Die Übernahmeabsicht hatte AOL schon vor Monaten öffentlich verkündet. Andere Interessenten für den verlustträchtigen Onlinedienst waren nicht in Sicht. Die Einigung verzögerte sich aber, weil der Eigentümer von CompuServe, die Steuerberaterfirma H&R Block, einen deutlich höheren Preis verlangte, als AOL anfänglich zu zahlen bereit war. Das Pokerspiel hat sich für sie schließlich gelohnt. Der Verkauf ihres Onlinedienstes, der seit Jahren nur noch rote Zahlen schrieb, bringt ihnen jetzt satte 1,2 Milliarden Dollar in die Kasse. Um das Gleichgewicht zu halten in dem Joint-venture, das Bertelsmann und AOL für Europa gegründet haben, mußte sich auch der deutsche Konzern mit 75 Millionen Dollar an dem Geschäft des Partners beteiligen.

Doch selbst mit diesem Zuschuß konnte AOL den von H&R Block verlangten Preis nicht aus eigener Kraft aufbringen. Erst ein Dreiecksgeschäft mit der Firma WorldCom, einem der größten US-Betreiber von Datennetzen für Großunternehmen, machte die Übernahme möglich. WorldCom kaufte auf dem Wege des Aktientauschs den Steuerberatern H&R Block ihren gesamten Onlinedienst ab und bereinigte dann seinerseits den Markt. WorldCom behält die größeren Firmen, die noch bei CompuServe Kunden sind, und überläßt für bescheidene 175 Millionen Dollar AOL den ganzen Rest der drei Millionen Kleinkunden von CompuServe und übernimmt zum Ausgleich das komplette Leitungsnetz des Onlinedienstes. WorldCom ist damit auf einen Schlag zum größten privaten Anbieter von Datenleitungen in den USA geworden. Die Trennung von technischer Infrastruktur und Inhalten dürfte nicht zuletzt auch die amerikanischen Kartellwächter milde stimmen, die dem Geschäft noch zustimmen müssen. AOL wiederum kann sich nun ausschließlich auf sein inhaltliches Onlineangebot konzentrieren und ist mit den nunmehr rund 12 Millionen Kunden größter Onlinedienst der Welt. Der Verlust eigener Leitungen dürfte zu verschmerzen sein, zumal WorldCom zugesagt hat, AOL die Kabel für die nächsten fünf Jahre zu einem „sehr wettbewerbsfreundlichen Preis“ vermieten zu wollen. Selbst die Deutsche Telekom kann mit solchen Kundenzahlen im Onlinegeschäft nicht mithalten. Sie steht nur in Deutschland mit ihrem T-Online-Dienst unangefochten an der Spitze. Durch die Fusion von AOL und CompuServe ist aber zum erstenmal ein ernsthafter Konkurrent entstanden. Das Joint- venture von AOL und Bertelsmnn konnte bisher etwa 400.000 Kunden in Deutschland gewinnen, CompuServe kam auf etwa 280.000. In ganz Europa kommen nach Fusion etwa 1,5 Millionen private und kommerzielle Anschlüsse für die beiden Onlinedienste zusammen. Für die Kunden selbst wird zunächst alles beim alten bleiben. Die beiden Dienste bleiben auch unter dem gemeinsamen finanziellen Dach weiterhin getrennt und behalten ihr eigenes Profil. CompuServe soll sich sogar weiterentwickeln dürfen. Bernd Schiphorst von Bertelsmann kündigte gestern in Hamburg an, daß sein Konzern und AOL zusammen in der nächsten Zeit weitere 90 Millionen Mark investieren wollen, um „CompuServe in Europa auszubauen“. Noch muß das Geschäft auch von den europäischen Kartellbehörden abgesegnet werden. Widerstände seien aber kaum zu befürchten, so Bertelsmann.

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