: AM RANDE
■ Elf Freunde und kein Intimchef
Der Kleine, Sepp Herberger, hockte in labbriger Baumwoll -Trikotage am Spielfeldrand, der Lange, Helmut Schön, ging nie ohne Batschkapp auf den Platz, und noch der Dicke, Derwall, wirkte wie im Trainingsanzug geboren - doch neuerdings ist es aus mit dem sportiven Outfit der Fußballtrainer, Beckenbauer und seine europäischen Kollegen sitzen ihre bangen Minuten in Schlips und Anzug ab. Statt des Schweißgeruchs des Oberpfadfinders, der seine elf Freunde zu forschen Taten anspornt, weht von den Trainerbänken allenfalls ein Hauch von Rasier-Wasser der Managing-Director-Klasse, ansonsten gilt für einen Klasse -Coach nur eins: cool bleiben.
Als einer seiner Stürmer gegen Italien das erste Tor schießt, steht der sowjetische Trainer nur einmal kurz auf, „ohne zu Lächeln“, wie der Reporter des DDR-Fernsehens vermerkt, „aber schon das Aufstehen bedeutet etwas bei dem großen Schweiger aus der Ukraine Walerij Lobanowski“. Dem Sowjet-Kühlschrank gegenüber beim morgigen Finale sitzt Rinus Michels, der wegen seiner rätselhaften Ruhe „die holländische Sphinx“ genannt wird. Ein signifikantes Hochziehen der Braue ist der Bildregie immer gleich eine längere Einstellung wert. Auch F. Beckenbauer , selbst erst vor kurzem den dampfenden Töppen entstiegen, hat sich in die Chefetagen-Usancen auf der Trainerbank schnell eingefunden: Noch ist der Hals zu gereckt, der Blick zu kritisch verkniffen, als daß man ihn als „Kaiser Cool“ bezeichnen könnte, aber wie er einem seiner wacker abgekämpften Gebrauchsfußballer nach dem Auswechseln gratuliert, das kommt schon über das ekstatische Niveau eines Investmentberaters beim Abschluß eines Dynamik-Spar-Vertrags kaum noch hinaus. Und zu einer keinesfalls jubelnden aber immerhin standing ovation läßt er sich nur von wahrhaftigen Sensationen hinreißen wie etwa der, daß die beliebte lahme Ente Ruuudi tatsächlich mal trifft. Aber nur nicht zu lange klatschen, sonst könnte man ja noch meinen, er sei von diesem Zufallstreffer überrascht und wäre nicht haarscharf einkalkuliert. Also am besten schnell wieder hinsetzen und ein paar analysierende Fernblicke werfen...
Einher mit Schlips und Kragen geht bei den Fußballlehrern der Hang zu wohlklingenden Titeln, man heißt nicht mehr Trainer, sondern Teamchef, Manager oder Direktor und dieser Trend, der den Übergang vom Familienbetrieb Fußball zur straff organisierten Firma, wo der Chef eben nicht mehr im Blaumann rumläuft, signalisiert, ist nicht nur auf die Großen des Gewerbes beschränkt. Schon melden Beobachter aus der bundesdeutschen Kreisklasse - wo früher klar war: Der gönnerhafte Herr im Anzug ist der Vereinspräsident -, daß mittlerweile so mancher Trainer im Sonntagsstaat Platz nimmt und enthusiastisches Anfeuern sowie Schmähungen von Gegner und Schiedsrichter stoischem Pokerface gewichen sind. Je heißer das Spiel, im Match BRD-Holland drei klaffende Augenbrauenwunden sowie ein Adduktorenabriß, desto kühler die Trainerköpfe - da kann was nicht stimmen. Beckenbauer -Freunde erzählen, der Mann sei in vier Team-Chef-Jahren doppelt so schnell gealtert wie früher. Wem nützt die Chefbuchhalter-Attitüde auf der Aschenbahn dann? Den Mannschaften bestimmt nicht, die sind und bleiben ein Familienbetrieb.
Mathias Bröckers
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