ALS KONJUNKTURPROGRAMM REICHT DER NIEDRIGE ÖLPREIS: Schwarzes Gold statt roter Zahlen
Wirtschaft ist Psychologie – im tiefen Glauben an diesen Satz strahlen Finanzminister und Bundeskanzler auch dann noch in die Kameras, wenn alle anderen längst von Rezession reden. Und liegen dabei voll daneben: Nicht Optimismus ist der wichtigste Motor für die Konjunktur, sondern Pessimismus. Denn den Schwarzsehern ist zu verdanken, dass der Ölpreis auf ein Niveau fällt, das der Konjunktur wieder auf die Beine hilft.
Diese professionellen Marktbeobachter rechnen mit weltweit nachlassendem Wachstum. Denn weil Unternehmen, die sinkenden Absatz befürchten, nicht in neue Anlagen investieren und ihre Produktion einschränken, stagniert ihr Bedarf an Energie – oder geht sogar zurück. Und weil viele Geschäftsreisende und Urlauber seit den Terroranschlägen nur noch ungern ins Flugzeug steigen, verfliegen die Transportlinien mit jeder eingestellten Verbindung weniger Kerosin. Auch das drückt auf den Preis für Rohöl.
Deshalb ist es überflüssig, bei immerhin noch 0,7 Prozent Wachstum viel Geld in die Wirtschaft zu pumpen. Denn was Unternehmer und Konsumenten wegen der niedrigen Ölpreise sparen, entspricht in etwa den 20 Milliarden Mark, die das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung der Bundesregierung abverlangt. Und: Dieser Betrag steht Verbrauchern und Unternehmen direkt zur Verfügung. Sie können ihn also voll und ganz konsumieren oder investieren – und damit die Konjunktur ankurbeln. So ehrenwert es ist, wenn die Not leidende Bauindustrie mit Eichels Hilfe in den Genuss kommunaler Aufträge kommt: Entfacht wird lediglich ein Strohfeuer, denn an den strukturellen Problemen von Wirtschaftszweigen – das zeigen alle historischen Erfahrungen – ändern Konjunkturprogramme nichts. Im Gegenteil, neue Schulden werden die Konjunktur später einmal belasten – dann nämlich, wenn sie zurückgezahlt werden müssen. Das gilt auch für das Vorziehen der Steuerreform: Die Ausfälle müssten durch neue Schulden abgedeckt werden. Von Finanzierungswundern zu träumen verbietet sich Eichel. Er weiß: Psychologie ist Wirtschaft. KATHARINA KOUFEN
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