AKWs in Schweden: Atomkraft erhöht Strompreis
Das groß angelegte Tuning-Programm für alte Atomkraftwerke ist gescheitert: In Schweden stehen über die Hälfte der Reaktoren still. Die Stromrechnungen der Verbraucher steigen.
STOCKHOLM taz | "Es ist so, als ob man versucht einen Volvo-Amazon aus den fünfziger Jahren zu renovieren und keine Ersatzteile mehr hat", sagt Ane Håkansson, Professor für Kernphysik an der Universität Uppsala: Der Versuch, vor sechzig Jahren entwickelte Atomreaktoren zu "tunen", um aus ihnen 20 Prozent mehr Produktion herauszuquetschen, hält er für falsch. Die Reaktorbetreiber Vattenfall und Eon versuchen es in Schweden trotzdem. Das Resultat gibt Håkansson jedoch recht.
Turbinen gehen kaputt
In der letzten Woche standen wieder sechs der zehn schwedischen Reaktoren still. Die Atomkraftwerke liefern nur 35 Prozent ihrer Nennleistung ins Netz. Bis Mitte November wird sich daran auch nichts ändern, schätzt die Energiemarktbehörde. Seit dem Frühjahr geht das schon so.
Bei dem in mehrheitlichem Eon-Besitz stehenden ostschwedischen Atomkraftwerk Oskarshamn ist nur einer von drei Reaktoren in Betrieb. Im März 2009 waren die Arbeiten zur "Effekterhöhung" beim Reaktor Oskarshamn 3 begonnen worden. Aus geplanten drei Monaten Umbauarbeiten wurden neun. Seither scheiterten alle Versuche, den von ursprünglich 1.152 auf jetzt 1.450 Megawatt (MW) Leistung getunten Reaktor - auf dem Papier ist er damit der leistungsstärkste Siedewasserreaktor der Welt - in Betrieb zu nehmen. Dreimal gab es Turbinenhavarien, wegen ungeklärter Vibrationen musste der Reaktor immer wieder heruntergefahren werden.
Bis März 2011 würden nun alle Versuche abgebrochen, die neue Kapazität zu erreichen, teilte Lars Thuring, Chef der Reaktorbetreibergesellschaft OKG, mit. Der Reaktor werde bis zum Frühjahr auf höchstens 1.100 MW gedrosselt, also etwa die Leistung, für die er ursprünglich konstruiert wurde. Zunächst musste er aber "für Unterhaltsarbeiten" wieder sechs Wochen lang abgestellt werden.
Es sei unsinnig, an den Konstruktionen herumzupfuschen, meint Ane Håkansson. Diese seien mit einem ausgeprägten Systemdenken entwickelt worden und an solchen Systemen nehme man nicht ungestraft Änderungen vor: "Wenn, dann lieber neu bauen." Auch Lars-Olov Höglund, Mitkonstrukteur des Atomkraftwerks Forsmark, kritisiert die Trimmversuche. Dadurch würden "die nächsten 10 bis 20 Jahre die gefährlichsten Jahre der schwedischen Reaktoren werden". Mit dem Zusammenmixen alter und neuer Komponenten werde das Sicherheitsniveau erheblich gesenkt.
Probleme nicht im Griff
Dies zeigt sich auch im getunten Vattenfall-Reaktor Forsmark 2, dessen Leistung im vergangenen Sommer von 990 auf 1.100 MW erhöht wurde. Doch seither bekommt man Probleme mit vibrierenden Ventilen und Turbinen nicht in den Griff. Alle Umbauten haben bislang nichts geholfen. Nach 12 Tagen Betrieb im September wurde der Reaktor wieder abgestellt und derzeit werden alle Ventile gewechselt.
Aufs Jahr umgerechnet werden Schwedens Atomkraftwerke vermutlich nur die Hälfte ihrer Leistung liefern. Ähnlich schlecht war die Bilanz schon im vergangenen Jahr - internationaler Minusrekord. Dass auf die Atomkraftwerke kein Verlass mehr ist, mussten die SchwedInnen im letzten Winter mit kräftigen Preissprüngen bei den Stromkosten bezahlen.
Fast 1 Milliarde Euro hätten die unzuverlässigen Atomkraftwerke die schwedischen KonsumentInnen zusätzlich gekostet, in ganz Skandinavien seien es fast 2 Milliarden gewesen, so der Energieratgeber "Bergen Energi". In diesem Winter könnte es noch schlimmer werden, fürchtet Tony Rosten, Marktanalysechef der Energiemarktbehörde.
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