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AIDS: Stacheldraht ums Saarland

■ Rechtsexperten diskutierten über das Virus und seine rechtlichen Folgen / Mikrozensus gegen die Immunschwächekrankheit gefordert / Tätowierung von Infizierten und Absonderung als Themen der Juristen

Mannheim (taz/ap) - „Die Rechtsprobleme von AIDS“: Unter diesem nüchternen Titel diskutierten am Wochenende Juristen und Seuchenpolitiker die brisanten juristischen Aspekte der Krankheit bis zur Frage der Tätowierung von Infizierten. Der Strafrechtler Bernd Schünemann (Uni Freiburg) forderte dazu auf, die bayerische Linie der harten AIDS–Bekämpfung einmal „konsequent zu Ende zu denken“. Um - wie vielfach gefordert - die Infektionsquellen zu identifizieren, müßten dann Reihenuntersuchungen auf HIV stattfinden. Schünemann: „Und was tut man mit den Menschen, wenn man sie mit Namen, Adresse und Telefonnummer erfaßt hat? Das würde im Endeffekt eine Kennzeichnung der Infizierten bedeuten, eine Tätowierung im Intimbereich etwa oder eine Absonderung aller Infizierten.“ Die bayerischen Maßnahmen seien letztlich nur in einem Polizeistaat durchsetzbar. Die Bundesrepublik dürfe ihre Demokratie nicht wegen AIDS opfern, sagte Schünemann weiter. Die Frage einer Tätowierung von Infizierten wurde mehrfach thematisiert. Der Mannheimer Verfassungsrechtler Schenke mußte an das Grundgesetz erinnern, um den versammelten 500 Juristen und Zuhörern klarzumachen, daß „eine Kennzeichnung der Menschenwürde widerspricht“. Ohne Kennzeichnung und Absonderung falle aber, so Professor Schünemann, eine Reihenuntersuchung, also ein Massentest auf HIV, ins nichts. Schünemann hatte schon mal ausgerechnet, daß für eine Absonderung aller Infizierten „ein Gebiet wie das Saarland mit Stacheldraht umgeben“ werden müßte. Schünemann: „Das ist unmöglich.“ Bayerns Staatssekretär Gauweiler kündigte an, daß die Landesregierung mit ihren AIDS– Maßnahmen erst am Anfang stehe. Der bisherige Katalog müßte durch Reihenuntersuchungen, eine namentliche Meldepflicht und Tests aller Krankenhauspatienten erweitert werden. Das Nürnberger AIDS–Urteil (zwei Jahre Haft für ungeschützten Geschlechtsverkehr) fand bei den Juristen überwiegend Zustimmung. Auch Manfred Steinbach vom Süssmuth–Ministerium begrüßte das harte Urteil ausdrücklich. Schünemann bezeichnete den HIV–Positiven, der weiterhin promisk leben würde, als „fast eine Mordmaschine“. Professor Löwisch, renommierter Freiburger Arbeitsrechtler, präsentierte eine völlig neue Auffassung der Fürsorgepflicht von Arbeitgebern. Alle Krankenhausverwaltungen seien danach verpflichtet, bei allen Patienten - notfalls zwanghaft - AIDS–Tests vorzunehmen, um das medizinische Personal vor Ansteckung zu schützen. Löwisch sieht außerdem keine juristischen Probleme, wenn Arbeitgeber von einem Bewerber einen AIDS–Test verlangen oder wenn sie einen positiven Bewerber ablehnen. Andererseits: Wenn der Bewerber während des Einstellungsgesprächs nach HIV befragt wird, dürfe er eine HIV–Infektion abstreiten. Das allgemein grassierende Test– Fieber drückte sich in mehreren Vorschlägen aus. Um einen Überblick über die Ausbreitung des Virus zu erhalten, sollten alle Unfallopfer anonym auf HIV getestet werden. Schünemann hielt diese Blutgewinnung allerdings für wenig repräsentativ und forderte eine Art Mikrozensus für AIDS, also die Untersuchung einer zuvor repräsentativ ausgewählten Bevölkerungsgruppe. Auch im Familienrecht bringt AIDS zahlreiche Probleme. Ist eine HIV–Infektion ein Scheidungsgrund? Falls der Ehemann durch häufige Bordellbesuche eine Infektion schuldhaft in Kauf genommen habe, stehe ihm kein Anrecht auf Unterhalt zu, betonte Rechtsanwältin Inge–Karin Tiedemann. Dagegen sei ein gelegentliches Erliegen der Fleischeslust noch tolerabel. Die Frage, bei welcher Bordellbesuchsfrequenz das schuldhafte Verhalten anfängt, konnte von den Juristen nicht geklärt werden. -man–

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