AFGHANISTAN: DIE ZIVILEN KRÄFTE MÜSSEN ENDLICH BETEILIGT WERDEN: Dollars für Massenmörder
Die Unterschriften unter den angeblich historischen Vertrag vom Petersberg sind kaum trocken, da meldet sich schon die afghanische Wirklichkeit zurück. Nicht mit mir, ließ Raschid Dostum, der usbekische Warlord aus Masar-i Scharif, die UNO wissen. Er werde die in Bonn ausgehandelte Übergangsregierung nicht anerkennen. Der Grund ist so banal wie erwartbar: Dostum fühlt sich nicht ausreichend berücksichtigt. Der usbekischstämmige Kriegsherr aus dem Norden Afghanistans hat sich offenbar nicht verändert: Sein häufiger Seitenwechsel stürzte Anfang der 90er-Jahre die Kommunisten; später trug er dazu bei, weite Teile Kabuls in Trümmer zu legen und hunderttausende Afghanen zu töten oder in Flüchtlingslager zu treiben. Dostum will seinen Teil der Beute – sonst macht er nicht mit beim Frieden.
Selbst wenn es doch noch gelingen sollte, den General durch Nachverhandlungen und westlichen Druck in die Koalition zu zwingen – am Grundproblem ändert das nichts. Eine Ansammlung von Warlords ist nun einmal keine zivile Regierung. Was sollte diese Männer (die beiden Frauen in der Übergangsregierung sind eine zu vernachlässigende Größe) nach 25 Jahren Krieg und einem endlich errungenen Sieg auch veranlassen, plötzlich ihre Beute fahren zu lassen und sich als verantwortliche Politiker im Interesse der geschundenen Bevölkerung zu verhalten? Wenn Dostum doch noch mitmachen sollte, dann wird eben ein anderer ausscheren. In Bonn ging es zunächst einmal um die internationalen Hilfsgelder, die ohne Friedensvertrag nicht fließen würden. Ab jetzt geht es um die Verteilung dieses Dollarsegens. Und da wird jeder heftig um seinen Anteil fighten.
Vertreter der Zivilgesellschaft durften in Bonn nur am Fuße des Hügels mitmischen – am Katzentisch sozusagen. Dabei wäre ihre Beteiligung an der Macht dringend vonnöten. Die internationale Gemeinschaft sollte sich auf die Unterstützung von gesellschaftlichen Gruppen konzentrieren, die sich nicht bereits als Massenmörder hervorgetan haben. Mit solchen Menschen ein Land aufzubauen dauert aber länger und erfordert mehr internationale Verantwortung als eine Konferenz. Petersberg schien die schnellere Lösung zu sein. Dafür ist nun das Risiko umso größer, dass der Krieg der Warlords erneut beginnt. JÜRGEN GOTTSCHLICH
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