A-ha auf Tour in Deutschland: Mein Coming-out als Fan
Schwärmereien für Stars sind peinlich, fand unsere Autorin mit zwölf. Jetzt, Mitte 40, hat sie sich ihre Leidenschaft für A-ha eingestanden.
A-ha und ich – das ist wie diese Leute, die in ihrer zweiten Lebenshälfte wieder mit ihrer Jugendliebe zusammenkommen. Sie haben einander nie vergessen, auch wenn sie andere heirateten und mit ihnen Kinder bekamen. Dabei bin ich, musikalisch betrachtet, immer Single geblieben. Es gab ein paar Flirts, aber nichts Ernstes.
Nur von A-ha habe ich sämtliche auf Youtube verfügbaren Interviews gesehen. Auch solche im norwegischen Frühstücksfernsehen der 80er Jahre und stundenlange Konzertmitschnitte – und das alles innerhalb der letzten zwölf Monate. Ich musste schließlich 30 Jahre Bandgeschichte nachholen. So lange hatte ich die Gefühle für meine wahre große Liebe so tief versteckt, dass ich selbst nichts von ihnen wusste.
Jetzt mache ich es wieder gut und komme ihr so nah wie möglich. 90 Euro kostet mich der Platz in der 15. Reihe in der Bremer Stadthalle, wo A-ha am Samstag im Rahmen ihrer Welttournee auftreten werden. Mein erstes Konzert der drei Norweger. Vor Kurzem habe ich noch eine Karte für ihren Auftritt im November 2020 in Hamburg bestellt. Fünfte Reihe, 200 Euro.
Ich pflege keine postcoole Retro-Macke
Wenn ich Freund*innen und Kolleg*innen davon erzähle, lachen sie. Sie hören auf, wenn ich klarstelle, dass es mir ernst ist und ich keine postcoole Retro-Macke pflege. Oder wie es die Spiegel-Kolumnistin Anja Rützel gerade über ihre Liebe zur britischen Boyband Take That ausgedrückt hat: „Hier gibt es keinen doppelten Distinktionsboden“, kein „ironisches Schutzschürzchen.“
Dabei wissen die wenigsten, worüber sie lachen. Der einzige A-ha-Song, an den sie sich, wenn überhaupt, vage erinnern, ist „Take on me“. Der erste und größte Hit der erfolgreichsten norwegischen Band aller Zeiten, 1985 die Nummer eins der Charts in elf Ländern, inklusive der USA, fehlt auf keinem 80er-Jahre-Sampler. Noch bekannter ist das dazugehörige Video. In dem überschreitet der Sänger Morten Harket (Wangenknochen, Lausbubengrinsen, Dreiwettertaft-Haare) die Grenzen zwischen einer Comic- und der „echten“ Welt, um bei seinem Mädchen zu sein. Fast eine Milliarde Mal wurde es auf Youtube geklickt, es gibt nur drei Songs, die in derselben Liga spielen.
Aber A-ha sind alles andere als ein One-Hit-Wonder. Zehn Studioalben haben sie zusammen aufgenommen, die sich überwiegend gut bis sehr gut verkauft haben, einige purer Synthiepop, andere beinahe Rock. Gerade stehen sie wieder einmal auf Bühnen in ausverkauften Konzerthallen weltweit. Sie spielen ihre Debütplatte „Hunting High and Low“. Die Aussicht einer Reise in die 80er Jahre zieht nicht nur die ganz hart gesottenen Fans an. Sondern alle, die mal Karottenjeans getragen haben und sich an die Anfänge des Musikfernsehens erinnern.
Manchmal gebe ich mir Mühe und versuche, ihre anhaltende Beliebtheit zu erklären. Versichere, dass A-ha nie eine Boyband waren, wie viele denken, weil sie so unglaublich hübsch waren, sondern fähige Instrumentalisten und Songschreiber.
Für viele nicht knorzig genug
Aber klar, es ist auch eine Frage des Geschmacks. Das, was ich an A-has Musik als schön empfinde, erscheint anderen pompös. Es gibt Songs, die sind so überkandidelt produziert, dass die Melodien im Klangteppich versinken wie eine junge Katze im Flokati. Wer die Güte von Musik am Grad ihrer Knorzigkeit misst, kann A-ha nicht mögen. Viel zu melodiös und perfekt arrangiert. Dabei aber so komplex, dass die wenigsten Stücke beim ersten Hören eingängig sind. Ich fand bisher jedes Album erst mal beknackt, bis ich mich eingehört hatte.
Den Rest gibt einem die Stimme. Morten Harket ist kein Sänger, sondern Vokalist. Sein Ausnahmeorgan setzt er wie ein Instrument ein. Er kann sehr tief und sehr hoch singen und das alles glasklar und dabei ganz weich. Das klingt sehnsüchtig und immer „larger than life“, nach großer Geste, die spätestens im Refrain schamlos eingesetzt wird, um alle Gefühlsregister zu ziehen.
Nicht nur die Musik, auch die Texte drücken ein Sehnen aus. Das wiederkehrende Thema ist Vergänglichkeit: das Leben, Beziehungen, Gefühle. Oft geht es um Einsamkeit, um eine Individualität, die sie sich gegenüber einer anderen behaupten muss. Politische Texte haben sie nie geschrieben, umso größer war die Überraschung, als Magne Furuholmen im Oktober „This is now America“ veröffentlichte, ein Song seines aktuellen Solo-Albums. Darin geht es explizit um die politische und gesellschaftliche Situation in den USA, um „shooting sprees in her school yard“ und den „monkey at the weel“. Aber selbst hier steht nicht die Zustandsbeschreibung im Zentrum, sondern das innere Erleben dieses Zustands.
Existenzialistisches Jammern auf hohem Niveau
A-ha, das sei „Tanzmusik für die Seele“, heißt es in einem Zitat in der Band-Biografie des norwegischen Journalisten Jan Omdahl. Das stimmt, sie haben durchaus Groove. Aber A-ha ist auch existenzialistisches Jammern auf hohem musikalischen und oft auch lyrischem Niveau – und damit Teenie-Musik in reinster Form. Als wäre das etwas Minderwertiges, wird A-ha oft als „Erwachsenen-Pop“ bezeichnet.
Als könne Pop jemals erwachsen sein und wäre nicht per se gleichermaßen albern wie todernst, gefühlsduselig und größenwahnsinnig. Wie ein Teenager halt. Vielleicht liegt darin ein Grund, warum ich mit Mitte 40 die Liebe zu dieser Musik wiederentdecke. Wenn sich mehr Türen schließen oder bereits verschlossen sind, fällt der Blick vom Äußeren aufs Innere zurück. Wer bin ich und wie lange noch.
Nun mag ich nicht einfach die Musik. Ich höre auch gerne die britische Musikerin Tracy Thorn und habe sogar ihre Autobiografie gelesen. Aber ihr Twitter-Account lässt mich kalt. Täglich checke ich hingegen die Fan-Seite „a-ha-live.com“, mit den „latest news on Magne, Morten and Paul“ und habe von Ersterem ein Foto als Hintergrundbild auf meinem Desktop.
Er ist mein Held, weil ich ihm Eigenschaften zuschreibe, die ich selbst gerne hätte: Furchtlosigkeit und eine Präsenz in allem, was er tut. Musik, Kunst, Projekte, Projekte, Projekte. Es hilft, dass er ziemlich smart und mit norwegischer Niceness noch die dämlichste Journalistenfrage beantworten kann. Und, hey, er sieht mit 57 fast besser aus als mit 23. Das ist Idealisierung, Schwärmerei. So etwas war mir bisher fremd. Wenn meine Friseurin – 28 Bryan-Adams-Konzerte in 29 Jahren – mir mit verklärtem Blick und nicht zum ersten Mal erzählte, wie ER sie einmal auf die Bühne geholt hatte und sie danach drei Monate neben sich stand, wunderte ich mich, dass sie nicht flüsterte. Oder sich über sich selbst lustig machte.
Erwachsene begehren nicht, sie kennen sich aus
War ihr das nicht peinlich? Wusste sie nicht, dass Erwachsene nur im Sinne von Expertentum Fans sein dürfen? Männer am besten von etwas, das mit Muskeln und Schweiß zu tun hat. Nicht zu nerdig, nicht zu schwul. Fußball, klaro, und besser Rock als Pop. Gitarren sind härter als Keyboards. So schrieb vor zehn Jahren ein Spiegel-Autor, wie er sich erst zu A-ha bekennen konnte, als die „rockiger“ geworden waren.
Wichtig ist vor allem: Erwachsene haben keine Schwäche für Unbekannte. Sie begehren nicht, sie kennen sich aus. Das Literaturhaus Berlin hat das verstanden. Es adelte die „Faszination“ des Gegenwartsautoren Jan Brandt für A-has Debütalbum mit deren geistiger Nähe zu Großschriftstellern. „Welchen Einfluss hatte Dostojewski auf das Œuvre der Band?“, heißt es in einer Ankündigung eines Vortrags von Brandt im letzten Jahr, „welche Rolle spielt der norwegische Nobelpreisträger Knut Hamsun?“ Ja, welche, möchte ich den 15-jährigen Paul Waaktaar-Savoy fragen, der die Songs als Minderjähriger in einem Osloer Vorort schrieb.
Weibliche Fans von männlichen Musikern haben es schwer, als Expertinnen wahrgenommen zu werden. Sie würden – etwa von der männlich dominierten Musikkritik – als Opfer ihrer Lust dargestellt. Das schreibt die US-amerikanische Medienwissenschaftlerin Tonya Anderson 2012 in einem Aufsatz über „Female fandom and the politics of popular music“, der ihre Doktorarbeit zusammenfasste. Anderson hat erwachsene Fans der britischen 80er-Jahre-Band Duran Duran befragt.
Fast alle schämen sich für ihre Leidenschaft. Entweder weil sie – nach ihrer Aussage vor allem von Männern – genug dumme Sprüche gehört oder selbst realisiert haben, dass „ihr liebster Zeitvertreib für unreif und unangemessen gehalten wird“. Besonders schambesetzt sind die – sexuellen – Fantasien über Begegnungen mit den Stars.
Tief sitzende Angst vor weiblicher Sexualität
Wie ich hatte Anderson ein spätes Coming-out als Fan, weil sie sich schon früh bewusst war, wie uncool das ist. Sie beschreibt, wie sie mit zwölf ihre Freundinnen dabei beobachtete, wie sie Duran Duran im Fernsehen sahen, schmachtend und kreischend. Sie sah sich das fassungslos an, peinlich berührt und gleichzeitig verwirrt, weil sie merkte, wie sie sich in den Sänger verknallte. Mir ging es genauso.
Ich beneidete meine Freundin Birte um ihr A-ha-T-Shirt, hätte das aber nie zugegeben. Nur meinem Tagebuch vertraute ich an, wie „supergeil“ ich die Band fand. Und nicht einmal dort erwähne ich, dass ich den Sänger Morten Harket genau so heiß fand wie alle anderen. Das mag auch daran gelegen haben, dass mich dessen dampfende Sexualität verstörte. Ich war noch dabei, mich an meine eigene zu gewöhnen.
Anderson führt die Abwertung des weiblichen Fans auf „eine tief sitzende historische Angst vor allem, was mit weiblicher Sexualität zu tun hat“, zurück. In der Folge würde sie pathologisiert. Ein Stadion mit Zehntausenden kreischender Frauen und Mädchen kann auf manchen bedrohlicher wirken als eins mit derselbe Menge an grölenden männlichen Fußballfans. Anderson erinnert daran, dass aus demselben Grund Frauen in früheren Jahrhunderten verboten wurde, Romane zu lesen.
Dabei seien die von ihr befragten Duran-Duran-Anhängerinnen alles andere als passive Opfer, sagt sie. „Eine der Freuden von Popmusik ist, dass es die freie Lizenz gibt, Männer zu objektifizieren.“ Für erwachsene Frauen – das ist das Fazit ihrer Untersuchung – sei das Begehren allerdings eher ein nostalgisches als ein tatsächliches. Das Festhalten oder Wiederentdecken ihres Fantums helfe ihnen, an die positiven Seiten ihres Teenager-Selbst anzudocken, vor allem in schwierigen Zeiten könne das eine Ressource sein. Die geliebte Band fungiere als „Übergangsobjekt“, ein Terminus aus der psychoanalytischen Objekt-Beziehungstheorie. Das Objekt – für ein Baby eine Decke oder ein Kuscheltier – ist eine „Quelle emotionaler Wärme“ in Zeiten der Verunsicherung. Die heftigste ist die Pubertät.
Übergangsobjekte: A-ha als Schmusedecke
A-ha ist nach dieser Lesart meine Schmusedecke, seitdem ich zwölf bin. „Hunting High and Low“ war meine erste Platte, gekauft von meinem Taschengeld im Famila-Markt. Sie markierte die musikalische Emanzipation von meinen Eltern. Die hörten nichts Falsches, im Gegenteil, sie gaben mir Leonard Cohen und Simon and Garfunkel. Aber A-ha waren keine handgemachte Musik, kein Songwriter-Zeug, sondern – jedenfalls damals – blubbernder Synthie-Pop, damit konnten sie nichts anfangen. A-ha war meins, wie mein erster Freund der Sphäre meiner Eltern entrückt.
Und tatsächlich hat sich meine Leidenschaft für die Band voll entfaltet, als ich gerade aus schweren Krise herausfand und einiges in meinem Leben neu organisieren musste. Ich weiß nicht, ob mir in einer anderen Verfassung die Plakate aufgefallen wären, die ein A-ha-Konzert in Uelzen ankündigten. Uelzen! Südheide, Kaff – ich war nicht schlauer als meine lachenden Freund*innen und Kolleg*innen und dachte, A-ha wären eine abgehalfterte Band, die wie Zirkusponys weiter im Kreis traben, wenn das Zelt längst abgebaut ist. Nächste Station: Eröffnung von Möbelhäusern.
Dabei hätte ich es besser wissen können. Anfang der 2000er hatte ich – ebenfalls in einer Krisensituation – zwei damals erschienene Alben rauf und runter gehört und mir ein paar der früheren besorgt, die ich einige Jahre später in einer Aufräumaktion wegschmiss. Wie eine verflossene Jugendliebe habe ich A-ha vergessen, gleich zwei Mal über mehrere Jahre. Ich bekam nicht mit, als sie sich Anfang der 90er Jahre trennten, dann wieder zusammenkamen, sich wieder trennten, dieses Mal für immer, um dann 2015 ein neues Album herauszubringen und 2017 ein Unplugged-Konzert auf einem norwegischen Inselchen zu spielen.
Ein Mitschnitt der dort aufgenommenen Akustik-Version von Take on me war das Erste, was ich im Herbst 2018 seit Langem wieder von A-ha hörte. Ich war hin und weg. Und gerührt, dass sie einfach weitergemacht hatten, obwohl ich sie so lange verleugnet hatte. Welch ein Glück, dass ich nicht zu spät kam und mir mehr blieb, als meine greise Jugendliebe zu Grabe zu tragen.
Ich bin bereit zu kreischen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus