„A Most Violent Year“ im Kino: Die Absichten der Menschen
Von Kaufleuten, die legal große Geschäfte machen wollen, erzählt das Kino selten. J. C. Chandors Film „A Most Violent Year“ ist eine Ausnahme.
Über der zunehmenden visuellen Eleganz der Actionfilme aus letzter Zeit gerät manchmal in Vergessenheit, was das Genre des amerikanischen Gangsterfilms eigentlich so interessant macht: Dass es darin oft auch unverhohlen um den Kapitalismus geht, um organisierte Kriminalität als elementare Wirtschaftsform.
Wo „Der Pate“ in diesem Sinn bereits die amerikanische Version der „Buddenbrocks“ lieferte, trieb es die Serie „Sopranos“ noch einmal auf die Spitze, verkörperte James Gandolfini darin doch den geplagten, mittelständischen Verbrecher mit schichtentypischen Ängsten und Neurosen, der hart darum kämpfen muss, konkurrenzfähig zu bleiben.
Der amerikanische Regisseur J. C. Chandor aber dreht die Metapher wieder eine Stufe zurück. Sein Film „A Most Violent Year“ spielt 1981, in einer Welt, die gleichsam die ersten zwei „Paten“-Filme bereits gesehen hat. Zumindest die beiden Hauptfiguren kleiden sich, als seien Michael und Kay Corleone ihre Vorbilder. Doch Anna (Jessica Chastain) und Abel Morales (Oscar Isaac) gehören keiner Mafia an.
Anna, so wird man im Lauf des Films erfahren, ist zwar die Tochter eines stadtbekannten Brooklyner Gangsters, von dem Abel das Öl-Unternehmen gekauft hat, mit dem er es zur herausragenden Marktstellung gebracht hat. Abel jedoch, und das bildet den roten Faden des Films, kämpft hart darum, auf der legalen Seite der Gesellschaft zu bleiben. Oscar Isaac verkörpert ihn als Mann aus dem Nichts, dessen ganzes Wesen aus Entschlossenheit zu bestehen scheint.
„A Most Violent Year". Regie: J. C. Chandor. Mit Oscar Isaac, Jessica Chastain u. a. USA 2014, 125 Min.
Für den Zuschauer ist das eine überraschende Konfliktlinie, so gewöhnt ist man daran, dass Mord und Erpressung nun mal die Standard Operating Procedures dieser Sorte Kino sind. Und der Titel „A Most Violent Year“ weckt zusätzlich die falschen Erwartungen. New York und seine um 1980 Rekordhöhe erreichende Kriminalitätsrate geben lediglich den Hintergrund ab für Abel Morales’ Unternehmerdrama.
Der wichtigste Deal seines Lebens
Meldungen über Messerstechereien und Überfälle dringen aus dem Radio, wenn er aus dem Auto steigt, um zu Beginn des Films den wichtigsten Deal seines Lebens zu unterschreiben. Er möchte ein Grundstück am Wasser kaufen, um seine Öllaster direkt betanken und selbst als Verteiler auftreten zu können. Der Grundstückskauf ist als eine Art Optionshandel organisiert: Abel liefert eine erhebliche Summe als Anzahlung und muss den erklecklichen Rest binnen 30 Tagen beschaffen. Wenn ihm das nicht gelingt, geht die Anzahlung verloren. In der verbleibenden Zeit darf also nichts schiefgehen.
Aber es gäbe natürlich keinen Film, wenn dem so wäre. Das Unglück schlägt doppelt und dreifach zu – und nichts davon ist Schicksal. Zum einen werden Abels Heizöllaster am helllichten Tag überfallen, was zur Folge hat, dass seine Fahrer entweder aufgeben oder sich bewaffnen wollen. Zum andern rückt ihm ein Staatsanwalt auf die Pelle. Zum Dritten bekommt die Bank, bei der er den Kredit für das Grundstück aufnehmen wollte, kalte Füße. Angesichts all dessen wachsen bei seiner Frau Anna Zweifel darüber, ob seine Behauptungsstrategien in dieser Situation die richtigen sind.
Wie bereits in seinem zu wenig beachteten Film „Margin Call“ interessiert sich Chandor mehr für die trockenen Geschäftsabläufe als fürs emotionale Drama. „Margin Call“ war ein Lehrstück zur Finanzkrise, das den Zusammenbruch einer der Lehman Brothers Bank nachempfundenen Institution als Systemablauf schilderte und weniger als Werk von bösen Bankern.
Kredite statt Waffen
Auch für Abel ist die Frage, zu welchen Mitteln er greift, weniger von moralischen Bedenken als von geschäftlichen Kalkulationen besetzt. Der Film macht keinen Hehl daraus, dass eine bestimmte Art des „book cooking“ zum Business gehört. Doch um das zu erreichen, was er will, muss Abel auf Waffengewalt verzichten. Die Ölmagnaten seiner Branche verfügen eh über wirksamere Methoden, ihre Gegner zu vernichten: Man zieht sich bei Krediten mit haushohen Zinsen über den Tisch.
Die relative Ödnis seiner Handlung macht der Film mit der Dichte seiner Atmosphäre wett: Es ist ein kalter Wintermonat, schmutziger Schnee säumt die Straßen. Statt bekannter New-York-Ansichten gibt es den Anblick von aufgelassenen Industrieanlagen, die von Untergang zeugen, solange, bis sie jemand mit Träumen füllt.
Die Verhandlungen finden in düsteren 80er-Jahre-Interieurs statt, in denen statt Bildschirmen noch Akten die Schreibtische bedecken. Gegenlicht aus großen Fenstern macht es zusätzlich schwer, die Absichten der Menschen zu erkennen. Und Jessica Chastain gibt rauchend unter blonder Perücke eine der unheimlichsten Lady MacBeths der Filmgeschichte.
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