90 Jahre BBC: Nichts zu feiern
Verkatert zum Fest: Die BBC wird 90. Missbrauchsskandale und Sparauflagen vermiesen die Stimmung. Mitarbeiter sehen die journalistische Qualität gefährdet.
LONDON taz | Statt Geburtstagsgeschenken gab es für die altehrwürdige britische Sendeanstalt im Jubiläumsjahr vor allem Skandale, Rücktritte – und empfindliche Mittelkürzungen: 25 Prozent weniger Etat hat das aktuelle Sparprogramm der Koalitionsregierung für die BBC vorgesehen. Eine Redakteurin beim BBC Fremdsprachendienst erklärte der taz, dass sie gut recherchierte Geschichten so kaum noch liefern könne.
Der Enthusiasmus der Angestellten sei deshalb sehr gering, sagte eine ehemalige BBC Direktorin, die ihren Namen nicht genannt sehen will. „Schon etwa 2004 hörten die täglichen Diskussionen in der Redaktion auf“, schildert sie. „Die neuen Manager wollten weniger gute Berichte und stattdessen Strategie, Zuhörerstatistik, Umstrukturierung und Kürzungen.“
Die wirkliche Beleidigung der BBC-Journalisten, sagt sie, sei aber deren nur mäßiges Gehalt – trotz ihres Könnens. „Und währenddessen schmücken sich die Bosse mit doppelten Gehältern und vergessen ihre Hauptaufgabe: guten Journalismus zu fördern.“
Dann der Skandal um systematischen Kindesmissbrauch in der BBC rund um den einstigen Starmoderator Jimmy Savile, den der private Konkurrenzsender ITV Anfang Oktober mit einer Doku losgetreten hatte. Zuletzt hatte ein Missbrauchsopfer in der BBC-Sendung „Newsnight“ schwere Vorwürfe gegen einen hohen Tory-Politiker vorbringen dürfen – die sich als haltlos erwiesen. Die Regierung von Premierminister David Cameron kündigte eine Untersuchung an, der BBC-Direktor George Entwistle trat nach nur 54 Tagen im Amt zurück.
„Pech und Fehler“
Für Tim Crook, Dozent für Radiojournalismus am Londoner Goldsmiths College, sind die aktuellen Probleme lediglich eine Mischung aus „Pech und Fehlern, die in allen Medien mal auftreten können“, und die politischen Interventionen könnten die britischen Medien Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit kosten.
Helen Boaden, die am Montag zurückgetretende Chefin von BBC News, sagte in Anspielung auf den Abhörskandal um Rupert Murdochs Medienkonzern News Corp., dass „die Existenz von BBC News nicht nur eine Manifestation ist, den besten, sondern auch den glaubwürdigsten Journalismus der Welt zu liefern“ – gerade in einer Zeit, in der Journalismus so gravierenden Anschuldigungen wie Unglaubwürdigkeit und unmoralischen Benehmen ausgesetzt sei.
Innerhalb der letzten neun Jahre, so die ehemalige BBC-Direktorin, hätten die Redakteure ihre Arbeit meist tadellos verrichtet – und zwar „trotz der Managementarmee über ihnen“. Sie fügt hinzu: „Wenn man den Aderlass guter Journalisten und die Abstriche in den Redaktionsbudgets nimmt, versteht man, dass alle Vorzeichen für das „Newsnight“-Debakel gesetzt waren. Michelle Stanistreet, die Generalsekretärin des britischen Journalistenverbunds NUJ, fordert ein Moratorium für weitere Entlassungen.
Seit dem Jahr 2004 hat die BBC laut NUJ 7.000 Arbeitsstellen gestrichen. 125 Stellen im Nachrichtenressort verschwanden allein in diesem Jahr. Insgesamt sollen bei der BBC weitere 69 Millionen Pfund bis zum Jahr 2016 eingespart werden. Das heißt auch: 800 Stellen weniger in den nächsten vier Jahren bei BBC News. „Viele der übrig geblieben Journalisten leisten Kurzarbeit. Die Zeit für den wichtigen Telefonanruf um Fakten nachzuprüfen existiert einfach nicht mehr“, klagt Stanistreet.
Viele reden von früher
Angesichts der aktuellen Skandale und Negativnachrichten reden nun viele gerne von früher. Aber auch damals war nicht alles gut: Am Montagabend gab es eine der exemplarischen BBC-Dokumentationen, von denen es in Zukunft weniger geben wird: feinster Journalismus voller archivarischer Kleinarbeit.
Die Doku berichtete über interne Fehler: Zwischen 1942 und 1944 verwehrte die BBC ihren Zuhörern in Ungarn die Nachricht über die Massenmorde an den europäischen Juden. Etwa 20.000 ahnungslos in den Tod Geschickte hätten die BBC-Informationen vielleicht retten können. Für die BBC hatte das damals keine Konsequenzen. Zeiten ändern sich.
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