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80. Jahrestag der Auschwitz-BefreiungDie Vergangenheit nicht zur Zukunft werden lassen

Überlebende stehen im Mittelpunkt der Gedenkveranstaltung zur Befreiung von Auschwitz-Birkenau. Sie warnen vor steigendem Antisemitismus.

Der polnische Historiker und Holocaust-Überlebende Marian Turski Foto: Aleksandra Szmigiel/reuters

Berlin taz/afp | Es ist wohl eine der letzten Gedenkfeiern, an denen Überlebende des Holocausts teilnehmen. Daher stehen die rund 50 hochbetagten früheren KZ-Insassen im Mittelpunkt des 80. Gedenktages zur Befreiung des NS-Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. „Erinnerungen sind schmerzhaft, sie helfen und warnen uns. Wer sind wir ohne Erinnerungen?“, fragt der Museumsdirektor der Gedenkstätte Piotr Cywinski in seiner Rede.

Und die Erinnerungen können nur die Hinterbliebenen liefern. Fünf von ihnen teilen ihre Geschichten an dem Montagnachmittag mit den hochrangigen Gästen aus aller Welt. Dabei nahmen die Red­ne­r*in­nen Bezug auf die aktuellen politischen Konflikte.

Der polnische Journalist und Holocaust-Überlebende Marian Turski warnt vor Anfeindungen gegenüber Jüd*innen: „Heute sehen wir einen Anstieg des Antisemitismus. Das ist der Antisemitismus, der zum Holocaust geführt hat.“ Hass und Hassrede führen nicht zur Konfliktlösung, mahnt er mit Blick auf Israel und Gaza, stattdessen müssen die Konfliktparteien einsehen, dass es keine andere Lösung als den Frieden gebe.

Tova Friedmann, die mit fünf Jahren gemeinsam mit ihrer Mutter in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert wurde, richtet sich in ihrer Rede an die anwesenden Hinterbliebenen. Als Kind hätte sie nicht gewusst, was es bedeutet, jüdisch zu sein, doch dass sie als junges jüdisches Kind sterben müsste, war ihr nach all dem Erlebten klar.

Keine Gewalt, keine Rache

All die Leute, die heute teilnehmen, wüssten, wie es sich anfühlt, wenn der ganze Körper Widerstand leisten wolle und sich doch kraftlos ergeben muss. „Wir müssen nicht nur erinnern, sondern auch lehren“, warnt sie, „unsere jüdisch-christlichen Werte wurden überschattet von Angst, Extremismus und Argwohn. Der Antisemitismus ist schockierend für uns, unsere Kinder und Enkel“.

Daher appelliert sie, weder Gewalt noch Rache auszuüben. Die größte Rache sei gewesen, eine eigene Familie in Frieden zu gründen, sagt die Autorin. Auch der jüdische US-Unternehmer Ronald S. Lauder warnt vor den Gefahren, denen sich Jü­d*in­nen aussetzen müssen. „Wir wollen unsere Vergangenheit nicht zur Zukunft unserer Kinder werden lassen“, zitiert er den Holocaust-Überlebenden Roman Kent.

Ansprachen von Politikerinnen und Politikern sind mit Ausnahme des Grußworts von Polens Präsident Andrzej Duda nicht Teil der Gedenkfeier. Aus Deutschland nahmen neben Kanzler Olaf Scholz und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auch Vizekanzler Robert Habeck sowie weitere Mitglieder von Bundesregierung und Landesregierungen sowie von Bundestag und Bundesrat teil.

„Mehr als eine Million Menschen mit Träumen und Hoffnungen wurden in Auschwitz ermordet, ermordet von Deutschen“, erklärte Scholz am Montagmorgen im Onlinedienst X. „Wir dulden kein Vergessen, nicht heute und nicht morgen.“

Das Vergessen verhindern

Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mahnte: „Wir müssen das Vergessen verhindern.“ Er beklagte, dass die Erinnerung an den Holocaust immer schwächer werde. „Wir müssen den Hass überwinden, der zu Missbrauch und Mord führt“, betonte Selenskyj.

„Vergessen wir niemals die Millionen von Opfern der Shoah“, schrieb auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im Onlinedienst X. „Kämpfen wir unermüdlich gegen Antisemitismus und Hass, im Namen all jener, die ums Leben kamen.“

Die Nazis hatten im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz im besetzten Polen zwischen 1940 und 1945 mehr als eine Million Menschen ermordet, die meisten waren Jüdinnen und Juden aus Europa. Das Lager steht sinnbildlich für den Massenmord an den Juden durch das deutsche NS-Regime und wurde am 27. Januar 1945 durch Soldaten der Roten Armee befreit.

Russland wurde seit Beginn des Angriffskrieges vor gut drei Jahren nicht mehr von der Stiftung Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau zur jährlichen Gedenkzeremonie eingeladen. Auch Israels Premier Benjamin Netanjahu blieb der Gedenkfeier fern. Polens Ministerpräsident Donald Tusk hatte bereits Anfang Januar erklärt, jeder Vertreter der israelischen Führung, der an dem Gedenken teilnehmen wolle, könne sich sicher fühlen und werde in Polen nicht verhaftet. Gegen Israels Premier und seinen Ex-Verteidigungsminister wurden im vergangenen Jahr Haftbefehle erlassen.

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