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7. Tag Kongo-KriegsverbrecherprozessDie ruandische Miliz in Nahaufnahme

Der niederländische Zeuge Hans Romkema berichtet über seine jahrelange Arbeit in Ostkongos Kriegsgebiet und die Greueltaten und Übergriffe der ruandischen Miliz.

Ein Kämpfer der ruandischen Miliz FDLR in den kongolesischen Bergen. Bild: ap

STUTTGART taz | Es ist schwer, über Kriegsverbrechen im Kongo zu sprechen, ohne emotional zu werden. Im laufenden Stuttgarter Kriegsverbrecherprozess gegen die beiden Führer der ruandischen Miliz "Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas" (FDLR ), Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni, strahlt an diesem Montag, dem 30. Mai, der Zeuge Hans Romkema eine fast klinische Distanz aus.

Der niederländische Autor einer zum Standardwerk gewordenen Studie über die Aktivitäten ausländischer Milizen einschließlich der FDLR im Kongo („Opportunities and Constraints for the Disarmament and Repatriation of Foreign Armed Groups in the Democratic Republic of Congo“, 2007) erinnert sich, wie ihm Frauen im ostkongolesischen Urwalddistrikt Bunyakiri die verschiedenen Formen von Vergewaltigung während des Kongokrieges erklärten: „Sie sagten: Die ruandische Armee missbraucht manchmal auch Frauen, aber bezahlt dafür. Die Mai-Mai (lokale kongolesische Milizen, die gegen Ruandas Armee kämpften) missbrauchten Frauen, aber fragten erst den Vater – auf eine Weise, die der Vater nicht verweigern kann.

Die RCD (lokale kongolesische Rebellen, die von Ruanda unterstützt wurden) verübten Vergewaltigungen mit Gewalt. Die FDLR – das ist unbeschreiblich. Da wurdest du zum Beispiel an einen Baum gebunden und 24 Stunden lang von 20 Männern regelmäßig vergewaltigt. Über keine dieser Gruppen waren sie froh, aber sie wussten genau, den Unterschied zu beschreiben.“

Die Abgebrühtheit, mit der eine solche Schilderung vorgetragen wird, ist Ergebnis jahrelanger Arbeit im Feld. Und genau dies wird Romkema, der erste Zeuge im Prozeß mit Ausnahme des vorige Woche geladenen deutschen Sachverständigen Denis Tull, zum Verhängnis.

Immer wieder muss der Richter nachfragen: Wie kommen Sie zu Ihren Informationen? Wer hat es Ihnen gesagt? Stammt das von einer Einzelperson oder einer Organisation? Wie haben Sie Ihre Untersuchungen vorgenommen?

Der Zeuge wird sauer

Die Anwälte Murwanashyakas und Musonis versuchen, den Zeugen mit ständiger Anzweifelung seiner Informationsbasis in die Enge zu treiben: Er habe doch nach eigener Aussage „nur“ 15 bis 20 aktive FDLR-Mitglieder interviewt. Da könne er doch keine Aussagen über die Organisation insgesamt machen. Alles, was er sage, seien „Mutmaßungen“, „Spekulation“, „blumige Reden“.

„Ich denke, ich habe selbst mit Hunderten von Leuten gesprochen, über die gesamte Zeit“, erklärt Romkema die Feldforschungen zu seiner Studie von 2007. „Bevor ich anfing, habe ich auch schon Sachen gewusst.“ Und irgendwann platzt ihm fast der Kragen. „Ich habe von 1996 bis heute im Gebiet der Großen Seen gearbeitet“, sagt er auf eine wiederholte Frage dieser Art.

„Und ich habe fast jeden Tag etwas gehört über das, was die FDLR oder die ALIR (ihre Vorgängerorganisation vor dem Jahr 2000) gemacht hat. Mal ist es unbeschreiblich, mal ist es relativ. Aber es kann jeden Tag etwas erzählt werden über einen Ort, der überfallen wurde, über jemanden, der ermordet wurde. Man kommt in Dörfer, die unterdrückt wurden, wo Menschen sich fürchten, zu sagen, was sie denken. Kurz: Ich habe sehr viele Sachen gehört.“

Man würde sich hier konkrete Beispiele wünschen, Ortsnamen, Daten, Vorfälle. Romkema hat sein Archiv nicht mitgebracht, er wurde ja nicht als Sachverständiger geladen, er muss sich aus dem Kopf an Details von vor fünf Jahren erinnern und ist ehrlich genug, das nicht im Einzelnen tun zu können.

Eine überforderte Dolmetscherin

Da regt sich sogar irgendwann Staatsanwalt Christian Ritscher auf, obwohl es sein Zeuge ist. Immer wieder liest er Romkema Passagen aus seiner Vernehmung in den Niederlanden vor. „Haben Sie das so gesagt?“ fragt er dann barsch mit hochrotem Kopf.

Mit fortschreitender Zeit wird die Stimmung allmählich albern. Deutsch-niederländische Übersetzungsprobleme und eine zunehmend überforderte Dolmetscherin tun ihr übriges. Romkema berichtet, wie er für seine Studie lokale Mitarbeiter losschickte, um Befragungen vorzunehmen. „Was waren das für Leute?“ fragt Ritscher. „Das waren normale Menschen“, sagt Romkema.

Es ist schade, denn Romkemas Schilderungen zeichnen insgesamt das bisher präziseste und fundierteste Bild der FDLR in diesem Prozeß. Der Niederländer gehört zu den ganz wenigen Europäern, die über Jahre in direktem Kontakt mit allen Kriegsparteien im Ostkongo standen und deren Führer alle persönlich kennenlernte.

Als Leiter des Büros der schwedischen Organisation „Life and Peace Institute“ in Süd-Kivus Hauptstadt Bukavu spielte er zum Beispiel eine Schlüsselrolle bei der Rückführung des einstigen FDLR-Militärführers Paul Rwarakabije nach Ruanda 2003.

In die eigene Tasche

Er erzählt im Detail, was geschah, als die katholische Kirchengemeinde sant'Egidio in Italien 2005 Friedensgespräche mit der FDLR einfädelte, an der auch Murwanashyaka teilnahm sowie kongolesische Regierungsvertreter: Die FDLR habe 250.000 Dollar von Kongos Regierung verlangt, als Entschädigung für frühere Hilfe im Krieg gegen Ruanda; das Geld sei für die Truppe bestimmt gewesen, aber Murwanashyaka habe 80.000 Dollar davon nach Deutschland mitgenommen, 100.000 weitere hätten sich FDLR-Funktionäre untereinander aufgeteilt. Murwanashyaka und Musoni, die Angeklagten, hören aufmerksam zu.

Romkema beschreibt die Ideologie und das Gedankengut der FDLR: sie betrachte Ruanda als Tutsi-Diktatur, wo eine Minderheit von „Kakerlaken“ über die Mehrheit herrsche; es gebe in ihr religiöse Elemente, die davon überzeugt seien, Gott habe Ruanda den Hutu geschenkt. In der Praxis hätten in den letzten Jahren profanere Ziele die Oberhand gewonnen: Zahlreiche FDLR-Kader hätten an Ruandas Völkermord 1994 mitgewirkt, „vor allem die in höheren Positionen, und sie benötigten die FDLR zu ihrer eigenen Sicherheit.

Sie erfanden Dinge für die Truppe, Gründe, um der Truppe den Glauben zu vermitteln, dass man noch immer eine Chance habe, die Macht zu übernehmen. Aber letztlich bin ich zum Schluss gekommen, dass die FDLR immer mehr eine Bewegung geworden ist, die Kriegsverbrechern Schutz gibt, und eine Weise ist, Geld zu verdienen auf dem Rücken armer Kongolesen.“

Romkema erklärt die Struktur der FDLR, „wie eine normale Armee“, mit Brigaden, Divisionen und Bataillonen. Dazu kam in jedem Bataillon eine eigene Einheit CRAP (Commande de Recherche et d'Approvisionnement au Profondeur) für Bevorratung, im Klartext: Plünderung. Für diesen Prozeß zentral ist das Verhältnis zwischen der Militärführung vor Ort und der politischen Führung, an erster Stelle Präsident Murwanashyaka, im Ausland: Die Anklage steht und fällt mit dem Nachweis, dass Murwanashyaka aus Deutschland heraus den FDLR-Truppen im Kongo Anweisungen gab bzw. hätte geben können.

Wie also ist dieses Verhältnis, fragt Richter Hettich.

"Von Tag zu Tag"

„Als ich mit FDLR-Kommandanten sprach, oder Ex-FDLRler mit dem Rang Oberst oder Oberstleutnant oder General, ist die Relation so, dass vor politischen Entscheidungen für die politische Richtung die politische Leitung die Führung innehat“, antwortet Romkema. „Für normale militärische Angelegenheiten sind es die Militärs, die Beschlüsse von Tag zu Tag fassen“.

Da horcht die Verteidigung auf und verlangt eine genaue Prokollierung. Musonis Recntsanwalt Sauer liest das Zitat noch einmal vor, lässt aber „von Tag zu Tag“ weg – dabei ist das der springende Punkt. Ohne „von Tag zu Tag“ klingt es, als entschieden die Militärs alles Militärische ganz allein ohne Rekurs auf die politische Führung – dann kann man Murwanashyaka und Musoni nicht wegen Taten von FDLR-Soldaten belangen. Mit „von Tag zu Tag“ wird ein Unterschied zwischen Befehlen zur Ausführung politischer Beschlüsse und der politischen Beschlüsse selbst deutlich – dann kommt es darauf an, ob es politische Beschlüsse gab, zu deren Ausführung die FDLR Kriegsverbrechen beging.

Das lässt sich an diesem Tag nicht restlos klären. „Was ich weiß von jedem FDLRler, mit dem ich gesprochen habe, ob im Kongo, Ruanda oder Uganda, ist, dass sie immer Murwanashyaka als den Führer anerkannten, den höchsten Führer“, erklärt Romkema. „Mudacumura war Militärchef. Sie waren beide wichtig. Aber es gab einen Unterschied zwischen Militärführung und höchster Führung. Ich habe nicht verstehen können, wie es genau funktionierte mit den Details der Befehlsstruktur.“

Es gäbe Zeugen vor Ort, die das noch viel genauer wissen. Aber werden sie je geladen, und wenn ja, werden sie kommen und offen sprechen? Mindestens einer hat sich bereits geweigert, in Stuttgart auszusagen, nachdem er vor Ort von der FDLR bedroht wurde. Die Organisation, um deren Verbrechen es in Stuttgart geht, ist im Kongo durchaus noch aktiv, und wer sich aus der lokalen Bevölkerung mit ihr auskennt, hat Angst. Allmählich wird deutlich, an welche Grenzen dieser Prozess stoßen wird, auf der schwierigen Suche nach der Wahrheit.

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