67. Filmfestspiele in Venedig: Tricks und Finten
Lidokino II: der Eröffnungsabend der Festspiele in Venedig gehörte gleich drei Filmen, die mit Action, Blut und Schockmomenten nicht geizten.
![](https://taz.de/picture/298758/14/lido.20100901-19.jpg)
Die Mostra macht Krach. Wenn es etwas gibt, wovor sie garantiert keine Angst hat, dann sind das Effekte. In der Sala Volpi ist der Ton am Dienstagnachmittag so laut eingestellt, dass der Festivaltrailer, der schon bei normaler Lautstärke an eine Kirmes erinnert, noch lange in den Ohren tönt. Und der gestrige Eröffnungsabend gehörte gleich drei Filmen, die mit Action, Blut und Schockmomenten nicht geizten: Darren Aronofskys Psychothriller "Black Swan", Andrew Laus Actionspektakel "Legend of the Fist: The Return of Chen Zhen" und schließlich Robert Rodriguez Rachefantasie "Machete". Bis Redaktionsschluss waren die ersten beiden zu sehen; dass auch der dritte nicht auf subtile Reize setzt, lässt sich schon deshalb vorhersagen, weil Rodriguez mit "Machete" zum Spielfilm ausbaut, was er im Rahmen der beiden Grindhouse-Filme als Faketrailer in Szene setzte.
Andrew Lau versteht seinen Film als Hommage an Bruce Lee, der im November 70 Jahre alt würde. Chen Zhen, der Held bei Lau war auch der Held in Wei Los "Fist of Fury" aus dem Jahr 1972. Damals spielte Lee die Hauptrolle, diesmal Donnie Yen, und beide Helden haben eine Mission: Sie wollen die Japaner, die in den 1920er Jahren im Begriff sind, den Norden Chinas zu besetzen, nach Kräften sabotieren. Kung Fu kämpft hier also gegen Karate, und gern ließe man sich auf die Schönheit der Fausthiebe, der Hebeltechniken und Sprungtritte ein, wäre da nicht dieser aufdringliche Patriotismus in Laus Inszenierung. Die Eröffungssequenz freilich ist toll: Chen Zhen rettet sich und seine Leute aus den Schützengräben des Ersten Weltkriegs, in die er durch einen fiesen Winkelzug der Kolonialpolitik hineingeraten ist. Andrew Lau zieht dabei alle Register des Martial-Arts-Spektakels, und es ist eine echte Überraschung, zu sehen, wie gut sich die Topoi des Weltkriegsfilms, die Bajonette, die schlammigen Uniformen und die Schützengräben, mit den Tricks und Finten der Hongkong-Kampfkunst vertragen.
Darren Aronofsky war zuletzt 2008 mit "The Wrestler" am Lido zu Gast und wurde damals mit dem Goldenen Löwen belohnt. Auch sein neuer Film schaut sich dort um, wo harter Körpereinsatz die Grundlage für Kunst und Unterhaltung bildet. Nach dem Wrestling ist nun das Ballett an der Reihe. Die New Yorker Tänzerin Nina (Natalie Portman) hat die Hauptrolle in einer Inszenierung von Tschaikowskis "Schwanensee" inne. Sie gibt die unschuldige, reine weiße Schwanenkönigin Odette und zugleich die dämonische, verführerische schwarze Odile. Die Zeit des Castings und der Proben wird für sie zum Albtraum, da sie an vielen Problemen leidet - an einer kontrollierenden Mutter, an ihrem eigenen Perfektionismus, an ihrem Hang zur Selbstverletzung und schließlich an einer von vielen Komplexen verstellten Sexualität. Weil Aronofsky kein Mann der leisen Töne ist, inszeniert er jedes Motiv drastisch und bis zum bitteren Ende aus.
Sein Film ist Schwarzweißmalerie im Wortsinn. Schön ist dieser Hang zum Groben, wo "Black Swan" zu unerwarteten Lösungen findet - etwa wenn Aronofsky eine sexuelle Fantasie seiner Heldin zunächst recht realistisch filmt, dann aber, in dem Maße, wie Ninas Erregung steigt, ihre Haut zur pickeligen Haut eines gerupften Vogels mutieren lässt. Irgendwann freilich weiß man nicht mehr so recht, wie lange man die stets jammernde Heldin denn noch aushalten soll. Je weiter "Black Swan" voranschreitet, desto mehr gleicht die Hauptfigur einem gehetzten Hühnchen und desto größer wird der Wunsch, ihr mit den Worten des Choreografen Thomas (Vincent Cassel) zuzurufen: "Lass doch mal locker, leb doch mal ein bisschen." CRISTINA NORD
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!