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50 Jahre TürkInnen in DeutschlandKüsse und Entschuldigungen

Die meisten Deutschen glauben immer noch gern, EinwanderInnen seien minderwertig. Und verdienten nicht einmal, dass man ihnen höflich und respektvoll begegnet.

So leicht wie bei den Flaggen ist die Annäherung zwischen Deutschen und EinwanderInnen nicht immer. Bild: AP

Zwei Küsse und eine Entschuldigung waren der Anfang meiner journalistischen Begegnungen mit türkischen EinwanderInnen. Mein erster Auftrag führte mich in den Achtzigern in ein Bottroper Mädchenzentrum. Die türkeistämmigen Mädchen dort überraschten mich durch vertrauensvolle Offenheit, liebevoll-fröhlichen Umgang miteinander und mit mir. Ich fühlte mich fremd. Und gut aufgehoben.

Dann kam eine Nachzüglerin dieser Runde. Mit Wangenküsschen grüßte sie die Anwesenden - mich eingeschlossen, um sich dann zu entschuldigen: "Oh, Verzeihung, Sie sind ja Deutsche!"

Eine symptomatische Begegnung: Die Entschuldigung bezog sich auf die von ihr angenommene (kulturell begründeten) Übertretung der (ebenso kulturell begründet) anderen Grußgewohnheiten und auch anderen Grenzen von zulässiger Nähe bei mir, der Deutschen. Ein, so ein Fachwort, interkulturelles Missverständnis, das durch den taktvollen Satz des Mädchens behoben werden konnte.

Stolz statt Vorurteil

Wohin das alles führt, hat niemand geahnt. Das Anwerbeabkommen mit der Türkei, das am 1. September 1961 in Kraft getreten ist, hat die Republik grundlegend verändert. Die Türken kamen, viele blieben. Und heute? Sind sie Deutschland, genau wie der Rest. Betrachtet man diese Entwicklung einmal ganz unaufgeregt, kann man zu dem Schluss kommen: Die Einwanderung aus der Türkei ist eine Erfolgsgeschichte.

Natürlich gibt es Probleme. Wie sollte sich eine so tiefgreifende Veränderung auch ohne vollziehen? Aber verengen wir den Blick einmal nicht auf sie, wie es die Sarrazins dieser Welt so gerne tun. Dann sehen wir: Das Zusammenleben klappt vielerorts erstaunlich gut. Registrieren wir also endlich: Vieles wird besser. Die Anzahl der türkischstämmigen Abiturienten und der binationalen Ehen steigt, die Mittelschicht wächst, selbst die Anzahl der Einbürgerungennimmt wieder zu. Türkischstämmige Abgeordnete sitzen in vielen Parlamenten, sie werden Grünen-Chef und niedersächsische Sozialministerin.

Fatih Akin steht für den deutschen Film, Feridun Zaimoglu für die deutsche Literatur, Mesut Özil für den deutschen Fußball. Sie alle sind ein Gewinn. Und sie zeigen: Es kann klappen mit dem Aufstieg - und dem Mitmischen. Wir setzen auf ein Happy End. (Sabine am Orde, stellvertretende Chefredakteurin)

Es braucht Takt

Takt und Höflichkeit sind sicher gute Grundlagen für einen im Wortsinn zivilen und menschlichen Umgang miteinander und wären damit auch heute noch ein großer Fortschritt im deutschen Diskurs über "Integration".

Doch ist das genug? Höflich, sogar respektvoll mag man problemlos zu seiner türkeistämmigen Haushaltshilfe, dem arabischen Gemüsehändler sein. Ein Gespräch auf Augenhöhe ist das nicht automatisch. Das verhindern Machtstrukturen, die mit gutem Benehmen nicht zu überwinden sind. Dies bräuchte neben Takt die Bereitschaft, sich als gleich, gleichwertig und gleichberechtigt anzuerkennen.

"Sie" müssen wie "wir" werden

Keine Ahnung, von wem der Satz stammt: "Jeder Mensch, der in den Spiegel blickt, sieht einen Menschen - nur der Deutsche sieht einen Herrenmenschen." Eine Zuspitzung und Verallgemeinerung, die ich mir nicht anmaßen würde; doch tatsächlich ist der deutsche Diskurs über und mit Einwanderern heftig geprägt von dem Glauben an deren Minderwertigkeit. "Sie" müssen wie "wir" werden, wollen sie Anerkennung haben: Erzkonservative, von der Mehrheit der EinwanderInnen selbst kritisierte Traditionen wie Zwangsverheiratung etwa werden zu typischen Ausformungen türkischer Kultur stilisiert. Einwanderern, die an solchen Praktiken Kritik üben, wird attestiert, sie seien eben schon so deutsch geworden, dass sie diese archaischen Eheanbahnungsgewohnheiten zu kritisieren vermögen.

Ein solches Urteil ist tatsächlich eine Taktlosigkeit, mehr noch, eine Unverschämtheit: Es kultiviert nur das rassistische Bild vom wilden Fremden und dem zivilisierten Deutschen. Dass ein Großteil zivilgesellschaftlicher Errungenschaften einst selbst erst nach Deutschland importiert werden musste - teils mit, teils gegen den Willen der Eingeborenen - wird sehr gern ignoriert.

Vermutlich war auch die Entschuldigung der jungen Türkin in jenem Mädchenzentrum ein Zeichen dieser Machtstruktur: Selbst respektvolle Hinnahme ihrer Gewohnheiten konnte sie von mir, der Deutschen, weder voraussetzen noch verlangen. Die Wangenküsschen sind längst integriert in deutsche Umgangsformen. Der Rest hat sich leider kaum geändert. Dafür wäre eine Entschuldigung fällig.

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4 Kommentare

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  • S
    suswe

    Wünschenswert wäre in diesem Zusammenhang auch respektvolleres/sozialverträglicheres Verhalten von manchen Migranten gegenüber ihrer Umwelt.

  • M
    Martina

    Beleidigung des Türkentums

     

    "Die Wangenküsschen sind längst integriert in deutsche Umgangsformen. Der Rest hat sich leider kaum geändert. Dafür wäre eine Entschuldigung fällig."

     

    Die Autorin benennt klar und ehrlich, was in ausschließlich türkischen Kreisen, unter Integration verstanden und gefordert wird.

     

    Diese unterirdische Borniertheit geht mir auf den Keks.

     

    Ich würde ihr raten, sich mit Abgeordneten in Verbindung zu setzen, um eine Gesetzesinitiative im Bundestag einzubringen, das türkische Gesetz zur "Beleidigung des Türkentums", wortgleich in deutsches Recht zu übernehmen.

     

    So könnten: "Die meisten Deutschen" endlich im Gefängnis lernen, wie Integration funktioniert.

  • J
    Joo

    Dies ist ein Artikel der von Einseitigkeit und Vorurteilen nur so strotzt.

    Der Autorin scheint ebenfalls vorhandene Abneigung der Einwanderer, in diesem Fall ja Türken, entgangen zu sein.

    Über die Ansicht, alle Deutschen wären "dreckig",ungläubige Hunde und es nicht wert, mit Ihnen verheiratet zu sein,schweigen wir mal.

     

    Aber nun wieder einen Artikel zu veröffentlichen, in dem die Deutschen als Herrenrasse dargstellt werden, die sich über alle anderen Stellen und immer alles besser wisssen,lässt in mir nichts gutes über den innerdeutschen Dialog erahnen.

     

    Ständig werden unsere armen Zugereisten, von denen jeder freundlich,hilfsbereit und tolerant ist, von den neidischen,misslaunigen und im inneren ultra nationalsozialistisch eingestellten Deutschen abgelehnt und diskriminiert.

     

    Liebe Frau Wierth,gehen sie doch mal auf Ihre Mitmenschen zu und sprechen Sie mit diesen, Sie werden erstaunt sein, dass Ihre Vorurteile nur auf die wenigsten Deutschen zutreffen.

     

    Artikel wie dieser führen nur dazu, dass jeder der politisch korrekt gedrillt wurde, aufschreckt wie ein Kaninchen und das Weite sucht, wenn ihm unberechtigterweise solche Vorwürfe gemacht werden.

  • WH
    Wer hätte das gedacht

    Und schon wieder so ein 50-jähriges Jubiläum.

     

    Und wie dicht die beieinander sind, dass die Ostdeutschen nicht mehr kommen durften, dafür aber die Türken. Ein Schelm, wer dabei böses denkt oder gar Verbindungen sieht!