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50 Jahre Bundesrepublik DeutschlandHier ist mein Heute

■ „Migranten ziehen Bilanz“: Elena Marburg über ihre Pionierzeit

Nach der Anfrage von der taz hatte ich zunächst mit mir selbst die Frage zu klären, inwieweit ich in den zehn Jahren nach der Wiedervereinigung eine Bundesbürgerin geworden bin. Ich bin eine gebürtige Bulgarin, seit 24 Jahren in Berlin zu Hause und arbeite am äußeren Rand der Stadt, in Marzahn. Es mag für manche abartig klingen, aber ich lebe und arbeite gern dort. Dies ist mehr den Menschen zu verdanken, mit denen ich täglich zu tun habe oder schon lange befreundet bin und die wie ich noch danach suchen, was in uns außer dem Paß den Bundesbürger ausmacht.

Ich erinnere mich, wie ich zur Wendezeit die Zeitung als Lesestoff entdeckt habe – damals politisierte das Tempo des schwindelerregenden Galopps der Ereignisse uns alle. Selbst die bislang verschmähten Propagandablätter bekamen schrille Farben. Heute denke ich, daß vielleicht jenes Bekenntnis zur Meinungsvielfalt mein erster innerer Kontakt mit der Freiheit war. Das Karussell der Veränderungen nahm uns mit. Nichts war mehr so, wie es vor kurzem noch war und als unverrückbares Faktum festgestanden hatte. Das machte natürlich Angst.

Ich habe das Glück gehabt, nach Arbeitsverlust als eine der ersten Entlassenen und zwei Tage vor der offiziellen Vereinigung eine neue und für mich gänzlich neuartige Aufgabe zu bekommen, auf die ich wohl ein ganzes Leben lang mit meiner Biographie hingearbeitet habe. Alles konnte ich in diese Aufgabe als Ausländerbeauftragte einbringen: meine Migrationserfahrung; das analytische Denken einer Naturwissenschaftlerin; das Rechtsverständnis aus dem postgradualen Rechtsstudium; die Kommunikationsfähigkeit einer Slawin. Dazu kam die im Umbau begriffene Verwaltung, in der ich meinen festen Platz hatte. Es war eine schwierige, aber auch herrliche Pionierzeit. Dieses Gefühl, gebraucht zu sein, gehört zu werden und etwas geben zu können, das gibt die Kraft, um – ohne die Visionen aus den Augen zu verlieren – die vielen kleinen Trippelschritte auf dem sehr steinigen Weg zielgerichtet zu gehen und andere mitzureißen. Es war und ist wie ein neues Lebensbuch zu schreiben und Bruch zugleich.

Ach ja, der deutsche Paß und meine Identität als Bundesbürgerin: Den Paß habe ich 1994 bekommen, emotional habe ich mich sehr schwer damit getan. Es war mir so, als ob ich mit der Aufgabe der Heimatstaatsbürgerschaft mich auch von den Zurückgebliebenen in Bulgarien lossage, eine Art Verrat. Nach wie vor helfe ich dort, womit ich kann, verfolge die dürftigen Medienmeldungen über dieses, „mein“ Land, und die Sorgen seiner Menschen sind auch meine. Der Kontakt und die Verbindungen sind nach wie vor eng.

Und dennoch: Ich bin eine Bürgerin dieser Bundesrepublik, weil ich mich hier einbringe und mein Lebenswerk dem hiesigen Gemeinwesen dient; weil alles hier ist, was ich bisher aufgebaut habe und was ich liebe. Hier ist mein Heute, das Gestern ist Bestandteil meines Wesens. Elena Marburg ‚/B‘Die Autorin ist Ausländerbeauftragte des Bezirks Marzahn

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