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40 Jahre taz: Wohnungspolitik in BerlinDa baut sich was zusammen

Wenn die taz über Berlin berichtete, ging es von Anfang darum, wem die Stadt gehört. Eine nicht wirklich erfreuliche Geschichte der letzten 40 Jahre.

Eine Losung, die die taz und Berlin seit 40 Jahren begleitet, hier aus dem Jahr 1999 in Lichtenberg Foto: dpa

Es war im Rathaus Schöneberg, im ersten Obergeschoss des Sitzungssaals des Westberliner Abgeordnetenhauses am 15. Januar 1981. Der Regierende Bürgermeister Dietrich Stobbe von der SPD musste erklären, wie es dazu kommen konnte, dass der Bauunternehmer Dietrich Garski beim Bau von Militärakademien in Saudi-Arabien Kredite in den Wüstensand gesetzt hatte, für die die Westberliner mit 112 Millionen Mark bürgten.

Ein Bauskandal. Wenn Berlin keinen Bauskandal hat, stimmt etwas nicht mit der Stadt. Dank des Flughafens BER ist diesbezüglich seit etlichen Jahren alles in Ordnung. Dietrich Stobbes Vorgänger Klaus Schütz (SPD) musste als Regierender zurücktreten, weil das Prestige-Bauprojekt des Steglitzer Kreisels aus dem Ruder gelaufen war.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie im Januar 1981 plötzlich Fritz Teufel und Dieter Kunzelmann, die beiden Urkommunarden, von den Zuschauerbänken des Abgeordnetenhauses aufsprangen und lautstark den Senat als korrupt und unfähig geißelten; bis Saaldiener sie unsanft vor die Türe expedierten. Dietrich Stobbe wollte fünf Senatoren neu wählen lassen, doch vier fielen durch. Er trat schließlich zurück.

40 Jahre taz

Am 27. September 1978 erschien die erste sogenannte Nullnummer der taz. Es gab noch keine tägliche Ausgabe, aber einen kleinen Vorgeschmack auf das, was die Abonnent*innen der ersten Stunde von der „Tageszeitung“ erwarten können. Die erste Nullnummer können Sie sich

.

In Erinnerung an die allererste taz-Ausgabe haben die taz-Gründer*innen am 26. September das Ruder übernommen und die Printausgabe der taz vom 27. September 2018 produziert. Dieser Text stammt aus unserer Gründer*innen-Sonderausgabe.

Der Berlin-Teil der taz war zu diesem Zeitpunkt erst knapp zweieinhalb Monate alt, am 3. November 1980 war die erste Ausgabe erschienen. Das alles überragende Thema des Lokalteils in seinen ersten beiden Jahren entwickelte sich im Windschatten des Garski-Skandals. Mehr und mehr junge Anarchist*innen besetzten leerstehende Häuser, zunächst in Kreuzberg, dann in der ganzen Westberliner Innenstadt.

Der noch größere Skandal als die fahrlässige Verschleuderung von Steuermillionen war die Sanierungspolitik des Senats, der seit 1949 von der SPD angeführt wurde. „Flächensanierung“ hieß es, ganze Blöcke von Altbauten abreißen und Bunkerarchitektur draufbetonieren.

Was stehen blieb, wurde entkernt, Hinterhäuser und Quergebäude abgerissen, die Vorderhäuser teuer saniert. Staatsknete floss reichlich, gemeinnützige oder städtische Wohnungsbaugesellschaften und zunehmend private Bauträger bekamen Sanierungsgebiete, landeseigene Immobilien und jede Menge Subventionen. Im Gegenzug überreichten etliche von ihnen dezent illegale Parteispenden in Kuverts.

Hausbesetzer brachten 1981 insgesamt 169 Liegenschaften in Westberlin an sich, zwei Mitarbeiter des taz-Lokalteils – Benny Härlin und Plutonia Plarre – waren auch dabei. An die 100 Häuser wurden legalisiert, viele Bewohner*innen organisierten sich in Genossenschaften und bezahlen heute Mieten von weniger als fünf Euro kalt den Quadratmeter. Doch Hausbesetzer brauchen ein Machtvakuum, schließlich greifen sie das Allerheiligste des Kapitalismus an, das Privateigentum. Als die DDR zusammenbrach, nutzten junge Aktivist*innen das Machtvakuum in Ostberlin und besetzten dort 120 Häuser. Walter Momper, Regierender Bürgermeister der SPD, ließ im November 1990 auf einen Schlag 12 Häuser in der Mainzer Straße räumen, die meisten anderen bekamen Verträge.

Der organisierte Angriff auf die Mieterstadt Berlin erfolgte nach dem Ende des DDR-Sozialismus. 1993 gab es in Berlin etwa 1,87 Millionen Wohneinheiten, davon waren 532.000 städtisch. Entsprechend dem von der Bundesregierung diktierten Einheitsvertrag mussten die Ostberliner Wohnungsbaugesellschaften 15 Prozent ihrer Bestände privatisieren.

Eine Große Koalition unter Eberhard Diepgen (CDU) beschloss, dass auch die städtischen Wohnungsbaugesellschaften in Westberlin 15 Prozent ihrer Bestände privatisieren mussten. In Ostberlin kam es zur Rückübertragung vieler Altbauten.

Wenn Fehler der Politiker zum Tragen kommen, beziehen sie meist schon ihre üppigen Pensionen

Dem Senat reichte das nicht, er verhökerte 1998 die städtische Gesellschaft Gehag mit 29.000 Wohnungen an US-Finanzinvestoren. Finanzsenatorin war damals Annette Fugmann-Heesing (SPD), die auch die Wasserbetriebe, Bewag und Gasag privatisierte und heute ein schönes großes Haus an einem See in der Uckermark eignet.

Alle waren beim Kampf gegen die Mieterstadt Berlin dabei. Die rot-rote Landesregierung unter Klaus Wowereit privatisierte 2004 die größte städtische Wohnungsbaugesellschaft, die GSW, mit rund 65.000 Wohnungen, für 405 Millionen Euro an US-Heuschrecken. Sie firmiert inzwischen als „Deutsche Wohnen“. Die Linke trug diesen Wahnsinn mit; im Senat saß die derzeitige Bausenatorin Katrin Lompscher, damals Gesundheitssenatorin. Federführend war der heutige bekennende Rassist Thilo Sarrazin (SPD) als Finanzsenator; Michael Müller als SPD-Fraktionsvorsitzender war auch mittenmang dabei.

Ein Nachteil des an sich positiven Personalwechsels in Demokratien ist folgender: Wenn die Fehler der Politiker*innen zum Tragen kommen, beziehen diese meist schon ihre üppigen Pensionen. Der Kreuzberger Grünen-Abgeordnete Christian Ströbele hatte die Bausenatorin Ingeborg Junge-Reyer immer wieder auf die kommende Wohnungsnot hingewiesen; die Sozialdemokratin hatte erklärt, es gäbe keine Wohnungsprobleme und es würde auch keine geben. Und schied 2011 aus dem Senat aus.

Bis dahin hatte die politische Klasse die Zahl von städtischen Wohnungen von 532.000 auf 270.000 reduziert. Nachdem die Bevölkerung ab 2004 langsam und in den letzten fünf Jahren kräftig zu wachsen begonnen hatte, schossen die Mieten nach oben. Schlechte Zeiten für die 85 Prozent der Berliner*innen, die ihre Bleibe mieten.

Neben ausländischen Investoren kaufen große Teile des Berliner Mittelstands panisch alle verfügbaren Liegenschaften zu immer stolzeren Preisen. Im Jahr 2017 stiegen die Immobilienpreise in Berlin um über 20 Prozent. Die durchschnittlichen Preise, so hieß es im britischen Guardian, seien seit 2004 um mehr als 120 Prozent gestiegen. Die Mieten sind entsprechend in die Höhe geschossen.

Diejenigen Politiker, die uns das eingebrockt haben, sofern sie noch im Amt sind, fordern mittlerweile mal jammernd, mal mit starken Worten ein Ende des Mietenwahnsinns, aber ihre politischen Initiativen sind ­Placebos oder wirken leider kaum.

Wenn die Berliner Bezirke jetzt durch die Ausübung des Vorkaufsrechts Mieter vor besonders üblen Spekulanten retten, erscheint das sozial, aber prächtig daran verdienen tun die spekulierenden Verkäufer; die Zeche bezahlen die Steuerzahler. Es ist – mit Verlaub – zum Kotzen.

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1 Kommentar

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Der Artikel ist inhaltlich gut, aber ehrlich gesagt finde ich es übel, wenn ein Journalist nicht mehr in der Lage ist, korrekt indirekt zu zitieren, also den Konjunktiv 1 zu benutzen.

    Sontheimer schreibt:

    "Die Sozialdemokratin hatte erklärt, es gäbe keine Wohnungsprobleme und es würde auch keine geben."

    Er bemutzt hier einfach zweimal den Konjunktiv 2, und zwar einmal in der offziellen Version ("gäbe"), abgeleitet vom Präteritum, und dann einmal in der Ersatzform ("würde geben").

    Er meint offenbar, die erste Version sei Präsens und die zweite Futur. Mitnichten. Beides ist Präsens.

    Abgesehen von der falsch verwendeten Zeitform: Nötig wäre der Konjunktiv 1, den man gemeinhin beim indirekten Zitieren benutzt. Der Satz muss also korrekt lauten:

    "Die Sozialdemokratin hatte erklärt, es gebe keine Wohnungsprobleme und es werde keine geben."

    Einmal Konjunktiv 1 Präsens und einmal Konjunktiv 1 Futur.

    Nichts für ungut, aber ein Grammatikkurs täte so manchen Journalisten und Journalistinnen gut. Warum? Sie sollten ihr Handwerkszeug beherrschen.