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40 Jahre SesamstraßeNeue Puppen braucht das Land

Die Sesamstraße wird 40 – und die rote Puppe Elmo übernimmt die Moderation. Der Einzug des US-Stars steht für den stetigen Wandel der TV-Legende.

Moderatorin Caren Miosga flirtet mit Elmo. Ist er deshalb so rot? Bild: dpa

HAMBURG taz | Die Stahltür von Studio 6 an der Jenfelder Allee im Nordosten der Hansestadt schließt sich behutsam – „Psst, leise, wir drehen!“ – und man steht einfach erst mal da und guckt.

Es ist eben ein komisches Gefühl, wenn man sich plötzlich den Helden der eigenen Kindheit gegenübersieht. Da ist Finchen, diese tantig bebrillte Schnecke, und sie sieht immer noch so aus, wie man sie vor 20 Jahren der nachgewachsenen Generation Vorschulkinder vorm Fernseher überlassen hatte. Die Piepsstimme immer noch so nervig-nörgelig, was einem damals aber noch nicht negativ auffiel.

Und da hängen Ernie und Bert, seltsam leblos, auf Stäben nebeneinander, und man denkt daran, wie empört man damals war, als Ernie Bert den Schokoladenkuchen wegaß und ihn dann auch noch frech belog, ein Monster habe den Kuchen gestohlen – bis das Fantasiemonster tatsächlich auftauchte und Ernie einen Schreck bekommt (Merke: Lügen wird bestraft!).

Oder wie die beiden in ihren Betten lagen und Schäfchen zählten (Übe: Der Zahlenraum von 1 bis 10!). Und wie man eigentlich nie mitzählte, sondern sich jedes Mal bekrümelte vor Lachen über die Schafpuppen, die mit so einem komischen Pfeifgeräusch durchs Bild flogen.

Längst gemeinsames Kulturgut

Die „Sesamstraße“, die zu großen Teilen hinter ebenjener Stahltür von Studio 6 auf dem Gelände von Studio Hamburg entsteht, ist längst gemeinsames Kulturgut für mindestens zwei Generationen hierzulande geworden. Die Dritte, die sich vom zwielichtigen Händler Schlehmil und Ernie („Hey, du?“ – „Wer, ich?“ – „Psst. Jaaa, genau! Wie wär’s mit einem O?“) das Alphabet erklären lässt und sich mit Graf Zahl („Baby, zähl doch mal bis 9 für mich“) tapfer durch die einstelligen Ziffern gruselt, wächst gerade heran.

Im Januar wird die deutsche „Sesamstraße“ nun 40 Jahre alt, der NDR spendiert seinem Quotengaranten bei den 3- bis 5-Jährigen – gut 35 Prozent dieser Altersgruppe erreicht der Sender laut eigenen Angaben – neben einer neuen Staffel mit insgesamt 39 Folgen, die bereits ab kommenden Montag laufen wird, sogar eigens eine Gala: die „Lange ’Sesamstraßen‘-Nacht“, die derzeit im Studio Hamburg aufgezeichnet und am 12. Januar im dritten NDR-Programm ausgestrahlt wird.

Mit Finchen natürlich, die irgendwie schon immer dabei war, mit Caren Miosga, die sonst eigentlich sehr ernsthaft die „Tagesthemen“ präsentiert, an diesem Vormittag aber sichtlich Gefallen daran findet, mit den Puppen herumzualbern („Ganz neue Gesichter an Frau Miosga!“, murmelt die Regie zufrieden) und Elmo ihre Moderationskarten auf die große orangefarbene Schaumstoffnase haut.

Elmo hat schon Michelle Obama getroffen

Moment, Elmo? Elmo ist neu. Die Puppe sieht ein bisschen aus wie Grobi, bloß in einem ziemlich pinken Rot, und ist in der US-„Sesamstraße“ längst ein Star – der Barbiepuppenhersteller Mattel verdient mit Elmo Merchandise-Millionen, die Puppe hat sogar schon Michelle Obama getroffen, um mit Kindern über gesunde Ernährung zu reden (in den USA darf sogar das Krümelmonster seit 2005 bloß noch Grünzeug statt Kekse mögen).

Mutter und Sohn, so müsse man sich das Verhältnis zwischen seiner Komoderatorin Julia Stinshoff und Elmo denken, erklärt Martin Reinl, der ihn spielt. Reinl kennt man durch seine Auftritte als Hund Wiwaldi in „Zimmer frei!“ und der „Wiwaldi-Show“. „Er ist ein liebes Monster, das vielleicht manchmal Quatsch macht, es aber nie böse meint“, sagt er über Elmo.

Bild: taz
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Viel Interpretationsspielraum hatte Reinl nicht: „Die Figur gibt es in den USA seit ungefähr 20 Jahren, das Wesentliche ist festgelegt – der größte Unterschied, den wir gemacht haben, ist, dass Elmo bei uns älter ist.“ In den deutschen Folgen hat Elmo bereits die Ich-Perspektive entdeckt, statt von sich nur in der extrem kleinkindlichen dritten Person zu sprechen.

Mit Elmo wird die Kinderserie noch mal ordentlich umgekrempelt. Umgezogen ist sie zwar schon einige Male – aus der Wohnküche mit Lilo (Lieselotte Pulver) und Manfred (Krug) am holzvertäfelten Tresen in den 70ern in ein vorgartenähnliches Ensemble mit Wald, Höhle und Mülltonne in den 80ern und schließlich zuletzt in eine Art Spielstraße samt türkischem (!) Gemüseladen. Doch die Grundstruktur, der Mix aus Rahmenhandlung im Studio und Einspielerfilmchen mit Krümelmonster, Ernie und Bert, Kermit und Co. blieb stets dieselbe.

Lena Meyer-Landrut singt „Wer, wie, was“

Nun wird die Rahmenhandlung wegfallen, die Einspieler sind nur noch durch Elmos und Julias Moderationen verbunden. Selbst vor „Wer, wie, was“, der ewig-einzigen Titelmelodie, hat man nicht haltgemacht: Statt wie zuerst vom Hamburger Kinderchor oder wie zuletzt von den Puppen selbst, wird der Ohrwurm nun von Lena Meyer-Landrut gesungen. Poppiger soll es klingen, grooviger. Die Kinder mögen Finchens Gequietsche, sie werden es auch Lena nicht übelnehmen.

Überhaupt scheint der „Sesamstraße“ nichts etwas anhaben zu können. Die Aufregung um das Konkurrenzformat „Teletubbies“ kam und ging auch wieder, mit „Prinzessin Lillifee“, der „Sendung mit der Maus“ und „Löwenzahn“ lebt man in friedlicher Koexistenz. „Sesamstraßen“-Redakteur Holger Hermesmeyer glaubt an die „magische Realität“ des Puppenspiels: „Sie faszinieren, sie wirken greifbar und sie können mit Menschen in Interaktion treten, sie können improvisieren, wie das animierte Figuren nie könnten. Gleichzeitig verkörpern sie etwas, was es eigentlich nicht gibt – zum Beispiel Wolle, eine sprechendes Schaf.“

Die Grenzen zwischen Mensch und Puppe, sie verschwimmen auch im Studio. „Ich mache keinen Unterschied zwischen Puppe und Schauspieler, ich arbeite mit beiden gleich“, sagt Regisseur Jojo Wolff, der nun will, dass Elmo Caren Miosga mit einem Lippenstift schminkt. Komoderatorin Stinshoff, merkt Hermesmeyer an, habe man auch deshalb ausgesucht, „weil sie so gut mit den Puppen konnte. Mit denen muss man ganz natürlich reden, als wenn das richtige Menschen wären. Das kriegt nicht jeder hin.“

Zweimal ist Puppenspieler Reinl nach New York geflogen, um sich mit Kevin Clash, der für seine Interpretation des Elmo 2009 einen Emmy bekam, auf seine Rolle vorzubereiten: „Die haben wahnsinnig viel Wert auf die Lache gelegt. Ich hatte dann ein Training mit Kevin und musste ihm stundenlang hinterherkichern.“ Mit Elmo, sagt Reinl, ist er eigentlich angekommen: „Ich habe als Kind die ’Sesamstraße‘ geliebt. Sie ist schuld, dass ich Puppenspieler geworden bin.“

„Manche Puppen sind auserzählt“

Elmo, der Neue, und die unverwüstliche Schnecke Finchen – andere wie Herr von Bödefeld aus den 80ern sind längst Geschichte: „Manchmal hat man das Gefühl, dass einige Puppen schlicht auserzählt sind“, sagt Hermesmeyer. „Oder sie passen nicht mehr ins Puppenensemble, weil es vielleicht mittlerweile ein Übergewicht an ’lieben‘ Puppen gibt.“

Schließlich waren es bei der „Sesamstraße“ auch immer gesellschaftliche Trends, die über die Puppen bestimmten. Die dauergewellte Vogelfigur Tiffy durfte in den Nullerjahren den Kindern den PC vorstellen und fiel dann 2005 einem Update der gesellschaftlichen Realitäten in der Kinderserie zum Opfer: Sie wurde ersetzt von der Puppe Moni, alleinerziehende Mutter, samt ihrer Tochter Lena, die öfter mal ein bisschen länger im „Sesamstraßen“-Kindergarten fremdbetreut wurde (Lektion aus dem Leben: Singlemütter).

Eine ironisch-historische Fußnote übrigens, dass mit Elmo nun ein Amerikaner prominent in die „Sesamstraße“ einzieht: 1973 weigerte sich der BR, die „Sesamstraße“ zu senden – Begründung: Die deutschen Kinder könnten sich kaum mit den schwarzen Schauspielern in der Sendung identifizieren. Zum Glück ist Elmo bloß pink – und solange niemand auf die Idee kommt, deswegen eine Homodebatte anzustrengen, ist die „Sesamstraße“ wohl auch für bayerische Kinder gerettet.

Im Studio 6 schaut sich Regisseur Jojo Wolff die Szene mit den Moderationskarten noch mal an und kichert auch nach der vierten Klappe noch über einen gelungenen Gag. Auf dem Monitor wird aus der in Einzelteile (Stimme, Puppe, Puppenspielerin auf fahrbarem Rollbrett) zerhäckselten Kindheitsillusion wieder – eine Illusion. Und man steht einfach nur da und guckt fasziniert.

■ Ab Montag laufen die ersten 13 Folgen der neuen „Sesamstraße“ immer montags bis freitags um 8 Uhr im Kika

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3 Kommentare

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  • T
    Toni73

    Warum eigentlich morgens um 08.00 und nicht mehr abends?

  • W
    www.spassprediger.de

    Finchen & jüngere Autorin: Wohl wahr. Sesamstraßen-Besucher der ersten Stunde werden sich wahrscheinlich eher an Geschichtenerzähler Bob (sychronisiert von Lutz Mackensy), Ladenbesitzer Mister Huber und Mülltonnnbewohner Oscar erinnern. Für mich jedenfalls war und ist die Sesamstraßen-Ära, die mit Einzug deutscher Schauspieler und Puppen begann, stets "Sesamstraße 2.0".

  • HS
    h s

    Die Aussage "Finchen, die irgendwie immer schon dabei war" laesst auf eine eher juengere Autorin schliessen 8)