40 Jahre Mehringhof: „Westberlin brodelte“
Das alternative Kreuzberger Kulturzentrum Mehringhof feiert seinen 40. Geburtstag. Ein Gespräch mit Mitbegründer Rainer Nitsche.
taz: Herr Nitsche, was hatten Sie eigentlich am 7. Dezember 1979 an?
Rainer Nitsche: Ein Jackett, das ich mir gerade in Italien gekauft hatte.
Teuer?
Es war nicht teuer, aber es war sehr elegant. Dann noch ein normales Hemd und Jeans halt. Aber keine Turnschuhe.
Das war der Tag, an dem Ihre Mitstreiter und Sie den Vertrag mit der Druckerei Berthold AG über den Kauf des Fabrikgebäudes Gneisenaustraße 2 unterzeichneten. Hatten Sie da Bammel, dass noch etwas schiefgehen könnte?
Ne. Als wir den Termin hatten, war alles ganz wunderbar klar. Die Berthold AG hatte einen Prokuristen, einen sehr angenehmen Menschen, der sich gefreut hat, dass es endlich jemanden gibt, der ihnen diese Riesenfabrik abnimmt. Es gab eigentlich keine Phase, in der wir dachten, es könnte nicht klappen.
Rainer Nitsche, geboren 1945, war von 1974 bis 1980 Lehrer der Schule für Erwachsenenbildung und von 1979 bis 1983 einer der Geschäftsführer im Mehringhof. 1981 gründete er den Transit Verlag. Foto: privat
Der Bezirk und die damals regierende SPD hatten allerdings nichts unterlassen, Sie als Geschäftspartner madig zu machen.
Das war etwas paradox. Den Tipp, dass es in Kreuzberg an dieser prominenten Ecke etwas zu kaufen gibt, haben wir aus dem Rathaus bekommen, aus dem Kreuzberger Stadtplanungsamt. Als es dann aber ans Eingemachte ging und die Verhandlungen mit der Sparkasse begannen, versuchte der damalige Finanzsenator Klaus Riebschläger – natürlich ein Sozialdemokrat, da war ja alles SPD damals – im Aufsichtsrat der Sparkasse dagegenzuschießen. Der damalige Juso-Vorsitzende Walter Momper aber hat uns unterstützt. Zu unseren Unterstützern gehörte auch die CDU-Fraktion in der BVV Kreuzberg. Die wollten einem mächtigen Unternehmen wie der Berthold AG nicht in die Verkaufsverhandlungen pfuschen.
Hat sich die Berthold AG davon beeindrucken lassen?
Das war schon beeindruckend. Während einige unserer Leute schrecklich aufgeregt waren, blieben die Berthold-Leute total cool. Die haben sich nicht mal nervös machen lassen, als die SPD davon fantasierte, wir wollten den Mehringhof nur kaufen, um im Keller Bomben zu basteln. Die fanden auch gut, welche bunte Mischung von Projekten da reinwollte.
Wie kam es überhaupt dazu, dass Sie ein Fabrikgebäude mitten in Kreuzberg kaufen wollten. Zu der Zeit wurde doch eher besetzt?
Das hat vor allem mit der Schule für Erwachsenenbildung (SfE) zu tun, auf die die Initiative zum Kauf zurückging. Das war und ist heute noch eine selbstverwaltete Privatschule, die damals aus den gemieteten Räumen in Tempelhof rauswollte. Weil die Schüler Schulgeld zahlen mussten, beziehungsweise das über Bafög ging, kam für die SfE eine Besetzung nicht in Frage. Das ging auch anderen Projekten so, die teilweise indirekt über staatliche Mittel finanziert wurden.
Unter dem Motto „40 Jahre Mehringhof. 40 Jahre Selbstverwaltung. Wir bleiben alle!“ feiert der Mehringhof am 10. August ab 15 Uhr Geburtstag – mit Konzerten, Theater, Film und Essen.
Für die Schule für Erwachsenenbildung war aber der Mehringhof viel zu groß. Sie mussten also noch andere Projekte finden. War das schwer?
Westberlin brodelte damals vor Initiativen. Von Kinderläden bis freie Schulen, es gab Initiativen in verschiedensten sozialen Bereichen. Viele hatten auch das Gefühl: Jetzt ist es mal genug mit Opposition und Streiten, jetzt stellen wir selber etwas auf die Beine. Wir müssen zeigen, was wir draufhaben und wie wir es besser machen können. Das war eine richtige Befreiung von den theoretischen Linienkämpfen, die es damals immer noch, etwa unter den K-Gruppen, gab. Und es entwickelte sich so eine richtige Gründerphase.
Sie brauchten zum Kauf ein Eigenkapital von 400.000 Mark. Woher hatten Sie das?
Das war erst mal ein hoher Berg, aber wir hatten sechs Gründungsmitglieder, neben der SfE etwa Stattbuch, den Gesundheitsladen, Netzwerk Selbsthilfe, aber auch andere wie den Fahrradladen, die Räume suchten und Unterstützer fanden. So kam das Geld zusammen. Auch Günter Grass hat uns damals 20.000 Mark geliehen.
Sie haben dann die Mehringhof Grundstücksverwaltungs GmbH gegründet. Plötzlich waren Sie Vermieter. Gab es da auch mal böses Blut?
Ich war am Anfang auch in der Geschäftsführung. Wir mussten die Müllabfuhr organisieren, die Entwässerung, eine neue ökologisch vernünftige Heizung, Umbauten und so weiter. Das musste erst mal geübt werden. Natürlich gab es auch Probleme mit Projekten, die die Miete nicht bezahlt haben. Das mussten wir aber als Geschäftsführung nicht alleine machen, es gab von Anfang an die Mieterversammlung, eine wirksame Transparenz.
Also mussten nicht Sie die Projekte rausschmeißen, die die Miete nicht zahlen, sondern das Kollektiv.
Rausgeschmissen haben wir keinen.
Gab es auch Konflikte, etwa zwischen Gewerbetreibenden, die Geld verdient haben, und Sozial- und Kulturprojekten?
Eigentlich nicht. Im Grunde haben alle für sich alleine dafür sorgen müssen, dass sie das Geld für die Miete zusammenkriegen.
Es gab immer wieder Angriffe der Polizei, etwa beim Volkszählungsboykott 1987 oder bei den Durchsuchungen wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung? Hat das zusammengeschweißt oder gab es da auch Konflikte?
Konflikte gab es schon. Es gab auch eine autonome Fraktion, die immer in der Minderheit war, aber manchmal stark genervt hat. Die fanden, dass die anderen Projekte zu sozialdemokratisch oder der Alternativen Liste zu nahe waren. Das passierte aber nicht in solchen Situationen, da standen wir dann zusammen. Und bei diesen Gelegenheiten zeigte sich, dass Privatbesitz Vorteile hat: wenn die Polizei unser Grundstück betrat, zum Beispiel bei Versammlungen von Hausbesetzern, konnten wir darauf pochen, dass sie uns erst mal einen juristisch einwandfreien Grund nennen musste. Und ganz nebenbei: der Mehringhof wurde immer bestens überwacht: vom Verfassungsschutz, vom BKA und, bis 1989, auch von der Stasi.
Am 10. August findet die 40-Jahre-Feier statt. Was ist für Sie der Mehringhof heute?
Eine der seltenen und gelungenen Gründungen in einer sehr komplexen Gestalt. Eigentlich ist es ein Wunder, dass er bis heute existiert. Das spricht aber auch dafür, dass die Fundamente der damaligen finanziellen und organisatorischen Konstruktion gestimmt haben. Allerdings hat sich mit der Zeit auch gezeigt, dass der Mehringhof nicht wirklich, wie von uns erhofft, der Ort des kreativen Austauschs zwischen sozialen, handwerklichen, politischen und kulturellen Projekten geworden ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin