3sat-Doku über ungeklärte Katastrophe: Das fliegende Feuer
Eine Katastrophe ungeklärter Ursache vor 100 Jahren in Sibirien: ein explodierter Mückenschwarm? Atombombe in der Zeitspalte? Eine 3sat-Dokumentation forscht nach.
"Über der Taiga flog dieses Feuer", erinnert sich der ewenkische Jäger an die Erzählungen seines Großvaters, der zu den wenigen Augenzeugen der Katastrophe, die Forschern als "Tungska-Ereignis" seit 100 Jahren Rätsel aufgibt, gehörte. Hinterher war in den Weiten Sibiriens ein Gebiet von der Größe des Saarlandes verwüstet, die Druckwelle war noch bis Berlin und in ganz Skandinavien zu spüren.
Doch was genau am 30. Juni 1908 kurz nach sieben Uhr früh in Sibirien geschah, ist bis heute ungeklärt - und das ist auch gut so. Wie sonst hätte es zu so wunderbar wirren Erklärungsversuchen kommen können, hier sei ein Mückenschwarm explodiert? Beziehungsweise ein US-Atombomber habe in den Siebzigerjahren seine radioaktive Fracht verloren, die zufällig in eine Zeitspalte gefallen und unglücklicherweise exakt am 30. Juni im Jahre 1908 an der Steinigen Tunguska wieder aufgetaucht wäre?
Christoph Schuchs Film "Das Rätsel von Tunguska" geht den zahlreichen Mythen und Spekulationen auf den Grund und ist dabei ein kleiner Glücksfall. Denn ihm gelingt es, bei aller Seriosität der Wissenschaftsdoku deren Duktus aufzubrechen und herrlich albern zu sein: Da werden die schönsten Verschwörungstheorien mit montypythonhaften Animationen nachgestellt. Auch Gottlieb Polzer kommt zu Wort, der auf einer Burg in Sachsen die "Erste ständige Internationale Tunguskameteoritenausstellung" unterhält und unter anderem explodierende Mücken für die Katastrophe verantwortlich macht. Oder ein seriöser russischer Herr, der das fragliche Ufo zum Glück auf Video gebannt hat.
Auch jenseits solcher Absurditäten bleiben die wesentlichen Fragen bis heute offen: Waren es eine oder mehrere Explosionen? War es ein Meteoriteneinschlag oder ein Gasleck aus dem Erdinneren? Gegen den steinigen Besuch aus dem All spricht, dass bis heute keinerlei Meteoritenreste, Sternenstaub oder Ähnliches im seit 1927 immer wieder beforschten Gebiet gefunden wurden. Einschlagskrater gibt es auch nicht, obwohl ein italienisches Wissenschaftlerteam in einem für die Gegend ungewöhnlich geformten tiefen See einen solchen Krater ausgemacht haben will und Meteoritenreste unter dem Seeboden vermutet.
Der Film begleitet den deutschen Geographen Christoph Brenneisen nach Sibirien auf der Suche nach Erklärungen. Dass auch diese Expedition keine abschließende Lösung bringen wird, macht der engagierte Film von Anfang an klar und nimmt sich so im Vergleich zum sonst eher üblichen, allwissenden populären Wissenschaftsfernsehen angenehm zurück. Noch hübscher wäre es allerdings gewesen, die durch eigene kleine Trailer präsentierten Erklärungsversuche aus Absurdistan breiter über den Film zu streuen und sie zum Leitmotiv des "Rätsels von Tunguska" zu machen.
Es ist 3sat hoch anzurechnen, dass der mit Geld für Eigenproduktionen nicht eben gesegnete Sender sich auf diesen Film eingelassen hat. Filmautor Christoph Schuch macht denn auch kein Hehl aus dem Umstand, dass mehrere andere Sender das Projekt abblitzen ließen. Und das, obwohl Wissenschafts-TV derzeit Konjunktur hat.
Format-Zwang im TV
Doch die Formatierungszwänge im deutschen Fernsehen ließen kaum Raum für einen Film, der etwas anders erzählt, sagt Schuch. Und der ausdrücklich kein "Terra-X-Müll mit bedeutungsschwangerer Stimme aus dem Off" sein will. Drei Jahre haben Schuch und seine Koautorin Ute Mügge-Lauterbach gebraucht, bis sie das Geld für "Das Rätsel von Tunguska" zusammenhatten.
Aber es gibt natürlich Stoffe, die es noch schwerer haben: Von Schuchs Projekt, einen Film über die Fußballweltmeisterschaft der Obdachlosen zu drehen, wollte nicht einmal die Filmförderung etwas wissen. Geschweige denn das Fernsehen.
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