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350 Jahre AltonaWir Dänen

Zum Jubiläum von Altona schwächelt die pro-dänische Bewegung in Hamburgs kleiner Schwester. Lange galt das "Andere" hier als das Bessere.

Unter dänischer Flagge: Altona feiert 350 Jahre Stadtgeschichte. Bild: dpa

HAMBURG taz | Wenn am 23. August im Rathaus Altona an die Vergabe der Stadtrechte vor 350 Jahren erinnert wird, wird auch Olaf Wuttke in der Festversammlung sitzen. Bevor er das Rathaus betreten wird, wird er darauf achten, welche Flaggen auf den Balkonen im ersten Stock gehisst sind.

Wenn alles mit rechten Dingen zugeht, dann weht dort neben der deutschen und der Hamburger Flagge auch die Altonaer. Und das ist keine Selbstverständlichkeit.

„Wir haben Anfang der 1990er-Jahre erreicht, dass zu besonderen Anlässen außen am Rathaus Altona auch die Altonaer Flagge weht und nicht nur die Hamburger“, sagt Wuttke der taz. „Vorher gab es noch nicht einmal eine Altonaer Flagge im Rathaus.“

Ein paar Jahre zuvor hatte Wuttke, der von 1986 bis 2001 für die GAL und für das Wahlbündnis Regenbogen in der Altonaer Bezirksversammlung saß, mit einer Handvoll Gleichgesinnter die Initiative „Altonaer Freiheit“ gegründet.

Die Initiative wollte deutlich machen, dass „sich Altona keineswegs als untergeordneter Bezirk Hamburgs verstand und versteht“, sagt Wuttke. „Viele Altonaer fühlen sich von Hamburg seit Jahrzehnten stiefmütterlich behandelt.“

Besondere Aufmerksamkeit weit über die Stadtgrenzen hinaus fanden die Freiheitskämpfer mit dem Appell an die dänische Königin Margarethe II: „Altona muss zurück an Dänemark“. Diese Parole findet man auch heute noch hin und wieder auf Hauswänden und Facebook-Seiten.

Was sich zunächst anhört wie Neo-Dadaismus oder Pølser-Romantik, hatte einen historisch durchdachten Hintergrund. „Altona war als zweitgrößte Stadt Dänemarks weit weg von Kopenhagen und hatte dadurch selbst in absolutistischen Zeiten eine relativ große Autonomie. Diese Geschichte wollten wir fortschreiben“, sagt Wuttke. „Außerdem war die dänische Zeit wirtschaftlich und kulturell fruchtbarer als die Hamburger Zeit.“

Tolerant und liberal

In der Tat genoss Altona bis weit ins 19. Jahrhundert hinein in Europa den Ruf, besonders tolerant und liberal zu sein – besonders im Vergleich zu seinen pfeffersäckischen Nachbarn. Mit der Verleihung der Stadtrechte durch König Frederik III. hielten westlich der Großen Freiheit Gewerbe- und Religionsfreiheit Einzug.

„In Hamburg gibt es kein Kaffeehaus und außerhalb der Stadt keinen Vergnügungsort, wo die sogenannte schöne und vornehme Welt frequentiert, da Juden gelitten würden“, stand Anfang des 19. Jahrhunderts in der Publikation Hamburg und Altona. Eine Zeitschrift zur Geschichte der Zeit, der Sitten und des Geschmacks. „In Altona hingegen kenne ich keinen öffentlichen Ort, der nicht für die jüdische Nation so gut offen wäre, als für Christen.“

Zwar soll es in der Altonaer GAL eine sogenannte Pølser-Fraktion gegen haben, aber der Altonaer Freiheitswille und die Anknüpfung an die dänische Geschichte ging über die Parteigrenzen hinweg. „Auch die CDU hat etliche Anträge mitbeschlossen, wie zum Beispiel die Rückholung des Altonaer Stadtarchivs, das weit weg in Hamburg vergraben war“, erinnert sich Olaf Wuttke.

Das politische Ziel einer Zwei-Städte-ein-Bundesland-Lösung nach dem Vorbild von Bremen und Bremerhaven wurde aber auch mit überfraktioneller Zusammenarbeit nicht erreicht.

Auch in der Alltagskultur drückte sich der Altonaer Freigeist häufig mit dänischen Symbolen aus: Entweder hisste man den Dannebrog aus dem WG-Fenster oder man trug ein T-Shirt mit dem Aufdruck „altona.dk“. Doch ausgerechnet jetzt, wo hoch offiziell der dänischen Zeit Altonas gedacht wird, scheinen sich deren zivilgesellschaftliche Apologeten vom Acker zu machen.

Die Website altona.dk ist offline und auch von der Altonaer Freiheit hört man nichts mehr, seit Olaf Wuttke nicht mehr deren Sprecher ist. Er ist raus nach Wedel gezogen, wo er heute für die Grünen im Stadtrat sitzt.

Wäre Wuttke noch in Altona aktiv, wäre die Rednerliste auf der Festversammlung sicher anders ausgefallen. „Immerhin darf der dänische Generalkonsul reden“, sagt Wuttke.

„Dass neben ihm zwei Hamburger reden, stellt das zeitliche Verhältnis der jeweiligen Herrschaften allerdings auf den Kopf. Man hätte zwei Dänen und einen Hamburger reden lassen sollen – oder zumindest einen richtigen Altonaer. Olaf Scholz wohnt zwar hier, kommt aber aus Osnabrück.“

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5 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Naja, da würde ich das Werk "Altona - Geschichte einer Stadt" von H. Stahncke empfehlen.

     

    Zwar gewährte der dänische König vor 350 Jahren Religions- und Gewerbefreiheit, die viele Verfolgte anlockte. Er tat dies aber mit dem Hintergedanken, dass diese oft gut ausgebildeten Neuankömmlinge aus Holland oder Portugal der dänischen Stadt im Konkurrenzkampf mit Hamburg Vorteile verschafften, sagt Stahncke.

     

    Toleranz sei keine Idee der Altonaer gewesen, sondern eine der Landesherren. Für die Altonaer selbst waren die neuen Siedler wohl eher Konkurrenten, die nicht im eigentlichen Dorf wohnen durften, sondern im neuen Ortsteil "Freiheit" - der Großen Freiheit an der heutigen Reeperbahn. "Sicher, Dänemark hat Altona groß gemacht", sagt der Historiker. Aber Dänemark habe später Altona am langen Arm verhungern lassen. "Die Zeitgenossen haben unter den Dänen gelitten, sie konnten nie wie die Hamburger selbst bestimmen." Als die dänischen Soldaten dann 1864 wieder abrücken mussten, habe man in Altona gejubelt. Der "Dänemark-Kult", glaubt Stahncke, der sei erst in den 70er-Jahren entstanden, als das kleine Nachbarland für viele Hamburger zum beliebten Ferienziel wurde.

     

    Auch die Legende von der angestrebten Unabhängigkeit verpasst das Altona-Buch, das völlig ohne überhöhte Heimatkunde-Folklore auskommt, einen Dämpfer. Die beiden Altonaer Oberbürgermeister Bernhard Schnackenburg und Max Brauer etwa hatten bereits Anfang des 20. Jahrhunderts einen Anschluss an Hamburg angestrebt, schreibt Stahncke.

     

    Doch Hamburg lehnte die Übernahme der hoch verschuldeten Nachbarstadt ab, die auch nie wie so oft zitiert die "schöne Schwester" gewesen sei. Stahncke: "Altona war alles mögliche: Widersacher, Konkurrent, Profiteur, Partner und schließlich Opfer Hamburgs." Aber nicht die schöne Schwester, sondern in Betrachtung der Zeitgenossen wohl eher ein "langweiliges Provinzstädtchen und Arbeiterslum".

    • @Verkehrsfritze:

      Altona ist auf skandinavischem Boden gebaut. Der "Alte Schwede", ein riesiger Findling am Elbstrand gibt davon Zeugnis, dass skandinavischer Boden während der Eiszeit nach Hamburg verschoben wurde. Nein, mal ganz im Ernst, Geschichte sollte man nicht zurückdrehen wollen, das funktioniert einfach nicht. Altona ist aber nicht nur für Hamburger immer noch etwas Besonderes und die dänische Vergangenheit spielt dabei sicher eine ganz entscheidende Rolle. Man sollte sich die positiven Eigenheiten wie z.B. Toleranz und Weltoffenheit schon bewahren - finde ich. Immerhin steht Hamburg vielfach in der Welt gerade für diese Tugenden, ob nun begründet oder nicht, sei mal dahingestellt.

      • @Rainer B.:

        Da möchte ich nicht widersprechen. Ich finde es nur fragwürdig, wenn man versucht sich selbst solche Eigenschaften zuzuschreiben, denn gerade Toleranz und Weltoffenheit sind Dinge, die eher jene zu beurteilen haben, die anderswo auf solche Werte nicht stoßen und bspw. diskriminiert werden. Sich eine Identität zu schaffen, indem man sich von anderen abgrenzt und sie schlechtmacht, halte ich für fragwürdig. Und gerade das stellt man häufig in Altona fest. So ein kollektives "Wir sind besser als Ihr" wie in Altona habe ich in keinem anderen Bezirk je erlebt. Auch nicht in jenen wie Wandsbek, die zeitgleich mit Altona Teil Hamburgs wurden, nachdem sie es über Jahrzehnte schon versucht haben. In Altona redet man sich hingegen ein, dass man nie zu Hamburg wollte und schiebt es auf NS-Gesetze, obwohl es genau umgekehrt war. Mir ist auch nicht aufgefallen, dass man in Blankenese, Ottensen oder Lurup toleranter gegenüber Migranten, Homosexuellen und anderen benachteiligten Gruppen ist als in Hoheluft, Winterhude, Harburg oder Rahlstedt. Erstere Stadtteile stehen auch eher für "exklusive", recht homogene Bevölkerungsstrukturen.

        • @Verkehrsfritze:

          Das bleibt leider auch alles sehr im Subjektiven und jeder macht da andere Erfahrungen in und mit den diversen Stadtteilen. Interessant fände ich es, wenn man mal die Verwaltungspraxis der Bezirke im Hinblick auf "Toleranz" und "Weltoffenheit" untersuchen und vergleichen würde. Dazu müsste man sich natürlich vorher erstmal auf halbwegs zuverlässige Kriterien für "Toleranz" und "Weltoffenheit" verständigen. Kein leichtes Unterfangen.

    • @Verkehrsfritze:

      Ups, Ergänzung. Da gingen meine Anführungszeichen flöten. Ab Absatz 2 handelt es sich um ein Zitat von Axel Tiedemann im Hamburger Abendblatt (20.08.14) anlässlich der Altonaer Mythen bzw., wie man heute sagt, urban legends.