30 Jahre nach Brandanschlag in Mölln: Idylle mit Brüchen
Der Brandanschlag von Mölln jährt sich zum 30. Mal. Wie blickt die Stadt heute darauf? Und: Werden die Opferfamilien zu wenig einbezogen?
S chon wieder Mölln! Fast 30 Jahre nach den Brandanschlägen auf die Häuser türkischer Familien wurde vor einigen Wochen erneut Feuer in der Kleinstadt östlich von Hamburg gelegt. Unbekannte hatten Flyer angezündet, die im Eingangsbereich der Moschee angebracht waren. Weil der Brand früh entdeckt wurde, entstand nur ein kleiner Schaden.
Die Moschee befindet sich in der Altstadt, nur wenige Hundert Meter von den Orten der Anschläge 1992 entfernt. Bürgermeister Ingo Schäper (SPD) verurteilte die „abscheuliche“ Tat. Sie werfe „ein schlechtes Licht auf Mölln“.
Dabei habe die Stadt „definitiv“ aus ihrer Vergangenheit gelernt. Es gebe eine offene und solidarische Gesellschaft mit hohem Migrationsanteil und einer aktiven Flüchtlingshilfe, das Verhältnis zwischen der türkischen Gemeinde und der Verwaltung sei freundschaftlich.
Das empfindet auch Bundestagsabgeordneter Konstantin von Notz (Grüne) so, der in Mölln geboren wurde und seit 2000 wieder dort lebt. Die Ereignisse von 1992 seien im Bewusstsein der Stadt sehr präsent, sagt er. Dennoch müsse man sich weiterhin intensiv mit der Tat auseinandersetzen – auch um wachsam gegenüber aktuellen Bedrohungen zu bleiben.
Besucht man die idyllische Kleinstadt am See, deckt sich der Eindruck mit den Aussagen der beiden Politiker. In der Haupteinkaufsstraße, in der sich auch die Moschee befindet, liegen türkische Geschäfte in enger Nachbarschaft mit Eisdielen und Kleidungsgeschäften.
Konsequenzen gezogen
Vordergründig scheint Mölln Konsequenzen aus den rassistischen Brandanschlägen vor fast 30 Jahren gezogen zu haben. Jährlich finden Gedenkveranstaltungen statt, die die Stadt organisiert. Kurz nach den Brandanschlägen 1992 wurde unter städtischer Mithilfe der Verein Miteinander leben gegründet. Er soll Menschen unterschiedlicher Kulturen zusammenbringen, leistet Bildungsarbeit und fungiert seither als Aushängeschild eines weltoffenen Mölln.
Ali Aygün ist Vorstandsmitglied der türkisch-islamischen Gemeinde und lebt seit 1974 in Mölln. 1992 wohnte er mit seiner Familie in der Ratzeburger Straße – dort überlebte er einen der Brandanschläge. Wegen des Feuers in der Moschee komme er zwar ins Grübeln, Grund zur Panik sehe er jedoch nicht, sagt der 53-Jährige. Einen rechtsradikalen Tathintergrund könne man aber nicht ausschließen.
Eine sichtbare rechte Szene existiere in Mölln zwar nicht, sagt Aygün, Anfeindungen gegenüber Gemeindemitgliedern habe er jedoch schon mehrfach mitbekommen: „Ich habe ab und zu gehört, dass Jugendliche oder Frauen auf der Straße angepöbelt wurden. Aber diese Situationen sind nie irgendwie eskaliert.“ Er selbst habe diese Erfahrungen nicht gemacht.
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Allerdings bleibt es nicht immer bei Pöbeleien: 2014 schütteten Unbekannte Tierinnereien in den Eingang der Moschee. „Einen Monat hat es gedauert, bis wir den Geruch wegbekommen haben“, sagt Aygün. Einige Jahre später seien Zeitungsabschnitte bei der Gemeinde eingeworfen worden, auf denen „Ausländer raus“ und handschriftlich ergänzt „Alle Türken raus aus Mölln“ geschrieben stand. Kurz vor dem Interview lag ein Zettel mit Hakenkreuz im Briefkasten der Moschee.
Für Aygün sind all das Einzelfälle. Dennoch nagen an ihm Zweifel. Mit Blick auf den baldigen Jahrestag der Anschläge kämen natürlich Gedanken auf: „Geht das jetzt wieder los? Bisher sind es aber nur Kleinigkeiten, über die ich schmunzle.“
Immer wieder rassistische Taten
Ganz anders schätzt Ibrahim Arslan die Lage ein. Der 37-Jährige überlebte den Brandanschlag in der Mühlenstraße als Siebenjähriger lediglich dadurch, dass seine Großmutter Bahide ihm nasse Decken um den Körper legte. Seine Großmutter, seine Schwester Yeliz und seine Cousine Ayşe starben bei dem Anschlag.
Für Arslan ist es leicht zu erklären, warum Menschen mit Migrationshintergrund rassistische Vorfälle nicht so hoch hängen wollen: Sie seien schlicht abgehärtet, weil sie in Mölln immer wieder rassistische Taten registrierten. Auch er selbst sei bei Gedenkveranstaltungen schon verbal angegriffen worden. „Es kam vor, dass Passanten angefangen haben rumzuschreien oder auch zu weinen, weil sie meinten, dass wir sie durch unsere Veranstaltung stigmatisieren“. Auch hätten Leute „Heil Hitler“ gerufen und seien dann weggelaufen.
Als Arslan 2019 ein Fernsehteam in Mölln begleitete, habe sie ein vorbeigehender Passant angeschrien, dass sie nicht die Wahrheit über das Geschehen 1992 wüssten und Arslans Vater das Haus selbst angezündet habe. „Das ist so eine Geschichte, die in Mölln immer wieder erzählt wurde. Das ist diese typische Täter-Opfer-Umkehr. So was kommt auch von der Bevölkerung, die dort lebt.“
Dass in Mölln viel darüber spekuliert worden sei, ob nicht die Familien selbst hinter dem Anschlag steckten „ist für uns ein zweiter Anschlag“, sagt Arslan. Und das Phänomen gebe es nicht nur in Mölln: „Dass nach solchen Taten immer Familienangehörige aus der migrantischen Community gesucht werden, die man kriminalisieren kann, ist ein bundesweites Problem.“
Bündnis Möllner Willkommenskultur
Der nach den Anschlägen gegründete Verein Miteinander leben besitzt eine Begegnungsstätte im Bahide-Arslan-Gang. Das Gebäude, die „Lohgerberei“, befindet direkt am Kurpark, hinter dem zweiten Brandhaus in der Mühlenstraße, in dem die 51-jährige Bahide Arslan und ihre Enkelinnen, die Zehnjährige Yeliz Arslan und die 14-jährige Ayşe Yılmaz starben. Das Bündnis Möllner Willkommenskultur betreibt dort eine Fahrradwerkstatt, ein Café International und bietet Deutschkurse an.
Mit der Willkommenskultur und dem Verein Miteinander leben hat Ali Aygün viel Kontakt: „Ich finde, sie machen eine sehr gute Arbeit“, sagt er. „Sie laufen nicht weg und versuchen wirklich, etwas auf die Beine zu bringen.“
Ibrahim Arslan dagegen sieht die Arbeit dort kritisch. Seine Familie hat beim Entstehungsprozess der „Lohgerberei“ mitgeholfen. „Als wir 2007 angefangen haben, eigene Gedenkveranstaltungen zu organisieren, haben wir festgestellt, dass die Begegnungsstätte kein solidarischer Ort für unsere Familie ist“, sagt er. Sie sei eine Begegnungsstätte für die etablierten, elitären, weißen Deutschen der Stadt. Bei ihren eigenen Gedenkveranstaltungen hätten die Arslans bei der „Lohgerberei“ vor verschlossenen Türen gestanden. „Nicht einmal die Toiletten haben sie für uns zugänglich gemacht.“
Ibrahim Arslan, Überlebender
Arslan, der bei der Kraftfahrzeugbehörde in Hamburg arbeitet, organisiert seit 2013 mit anderen die „Möllner Rede im Exil“, eine alternative Gedenkveranstaltung an wechselnden Orten, bei der die Betroffenen im Mittelpunkt stehen. Zuvor war die „Möllner Rede“ Teil der offiziellen Gedenkveranstaltung der Stadt Mölln gewesen, die Familie Arslan war daran beteiligt, die Redner:innen auszusuchen. Der Stadt, sagt Arslan, seien die Reden „zu politisch“ geworden.
Auch die Möllner Begegnungsstätte habe nie das Bedürfnis gehabt, sich „unsere Sichtweise anzuschauen“, sagt Arslan, der seit über fünf Jahren selbst Bildungsarbeit betreibt, indem er etwa an Schulen geht oder Workshops gibt. Anlässlich des 30. Jahrestags sei er in diesem Jahr das erste Mal für einen gemeinsamen Workshop angefragt worden.
„Es ist total witzig zu beobachten: Wann immer die Jahrestage sich runden, gibt es das besondere Bedürfnis, uns einzubeziehen.“ Arslan fühlt sich für die Imagepolitik der Stadt ausgenutzt. Diese habe es nach 30 Jahren immer noch nicht geschafft, gemeinsam mit den Opferfamilien „eine Gedenkveranstaltung auf Augenhöhe“ zu organisieren.
Mark Sauer vom Vorstand von Miteinander leben weist den Vorwurf, der Verein arbeite nicht mit den Anschlagsopfern zusammen, zurück: Man habe das Gedenken „bereits vor vielen Jahren in den Händen gelassen, in die es nach unserer Meinung gehört, in die Hände der Familien, die von den Brandanschlägen unmittelbar betroffen waren, und der Stadt Mölln“.
Bürgermeister Schäper will sich zu den „unterschiedlichen Sichtweisen“ nicht äußern. Der SPD-Mann, der erst seit dem Frühjahr 2022 im Amt ist, sagt aber, er wolle bei der zukünftigen Gestaltung des Gedenkens „alles daransetzen, vertrauensvoll und würdevoll mit den Betroffenen zusammenzuarbeiten“.
Ob das gelingt, müssen dann die Betroffenen entscheiden.
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