30 Jahre Schmidt-Theater auf St. Pauli: Das Theater des anderen Hamburg
Zu schwul und zu schräg: Nicht jeder hätte diesem Haus eine Zukunft vorausgesagt. Aber am 8. August feiert das Schmidt-Theater auf St. Pauli sein 30-jähriges Bestehen.
Gentrification: Das Wort existierte damals noch nicht. Als es dann zur Alltagsvokabel eingeweihter Linker wurde, war das, was es meint, mit Hamburg-St. Pauli längst passiert: Die Verwandlung eines metropolen Viertels nach dem Prinzip „Hässliches Entlein“. Oder nennen wir es den „Aschenputtel“-Modus – Schönheit und Auserwähltheit auf den zweiten Blick.
St. Pauli jedenfalls war in den siebziger Jahren, was ja bald auch schon ein halbes Jahrhundert zurückliegt, das hansestädtische No-Go, allem „Starclub“ und der „Großen Freiheit“ zum Trotz. Beatles, Tony Sheridan, lokale oder spätere Weltberühmtheiten hin oder her: St. Pauli war, man glaubt es heute kaum noch, echter Schmutz.
In den Hinterhöfen roch es mies und faulig, die Fassaden waren ungepflegt, die Kneipen atmeten noch nicht die gediegene Atmosphäre szeneastischer Präsenz. Auf St. Pauli traf man, Heinz Strunks Roman „Der goldene Handschuh“ bezeugt das glaubwürdig, Leute, die man aussätzig nennen könnte, sprachlich von größter Ferne zu mittelschichtiger Politkorrektheit – rund um das Millerntor, das war das Revier der unfeinen Leute.
Okay, in einigen Seitenstraßen wohnten schon damals die ersten alternativen Emporkömmlinge: Für Eppendorf und seine Onkel-Pö-Kultur zu arm und dunkel, für das traditionsbürgerliche Hamburg ohnehin verloren. Corny Littmann wohnte dort, in seiner WG, in der die Produktionen seiner „Brühwarm“-Erfolge entstanden.
Das Gefühl von Echtheit
So um die frühen achtziger Jahre wurde es auf St. Pauli in der Tat alternativer, zugänglicher sozusagen: Die militant eroberten Hafenstraßen-Häuser, ein, wie sich immer leicht prognostizieren ließ, alternativ-autonomes Reihenhausprojekt in bester Lage, taten das Ihre, St. Pauli, das Schmuddelviertel am Hafensaum, so fett wie kein anderes Quartier auf die To-Go-Out-Karte zu hieven.
Der FC St. Pauli, ehemals ein räudiger Verein am Millerntor, nicht ernst zu nehmen von der Hamburger Fußballbevölkerung, weil der HSV nun einmal der Dominator war, wuchs – auch mit Hilfe der taz Hamburg – per Imagetransfer zu einer Marke antirassistischen, multikulturellen Kalibers heran.
Pauli, das war Basis, das war vor allem das Gefühl von Echtheit, nicht von gepuderter Falschheit, als die man das patrizische Hanseatentum rund um Börse und Rathaus ja auch entziffern kann. Die Reeperbahn, das war die Schwachstelle in diesem Wandel der Wahrnehmungen: Immer noch Sex, nichts als Sex, Davidwache, Drogenhandel und Immobilienspekulation: Überall war St. Pauli im Aufbruch, nur die Champs-Élysées des Stadtteils, die Reeperbahn, war immun gegen die kulturellen Änderungen.
Dann kam Aids
Aber dann kam Aids, seit 1983 war die Infektionskrankheit öffentlich bekannt und rasch mythisiert – und einige der Puffs und Sexhäuser mussten schwerste ökonomische Einbußen hinnehmen. Sex sells? Kaum mehr auf St. Pauli. Es wurde ruhiger, weniger anmacherisch in den Straßen rund um die Reeperbahn, sogar Domenica in der Herbertstraße hatte jetzt viel Zeit, zu einem öffentlich beliebten Gast in Talkshows zu werden.
Sex, das war der Effekt von Aids eben auch, war sehr gefährlich geworden – und um dies zu klarzukriegen, musste man über Triebe und Treibstoffe reden. Aids jedenfalls hätte der Reeperbahnkultur fast das Genick gebrochen: Wozu sollte man ein solches Amüsierviertel brauchen, wenn nicht wenigstens dort die hormonell gesteuerte Notdurft erledigt werden konnte?
So brauchte St. Pauli einen anderen Zweck, eine andere Daseinsberechtigung. Und der Mann, der dies in Werk setzte, war faktisch der Erfinder des Schmidt-Theaters am Spielbudenplatz: Corny Littmann, Professorensohn und einer der Könige des alternativen Kulturbusiness. Zusammen mit Lilo Wanders, also Ernie Reinhardt, eröffnete er am 8. August 1988 um 8 Minuten nach 8 Uhr, mitten in die Zeit des „Tagesschau“-Wahrnehmungsuniversums, das Schmidt-Theater – es war sozusagen das Schauspielhaus der bürgerlichen Moderne, das Lustspieltheater für die aufsteigenden alternativen Kader unserer grünen Szenen.
Saftiges Nicht-Fips-Asmussen-Entertainment
Das liegt nun erstaunliche 30 Jahre zurück. Littmann und Reinhardt haben sich entzweit, so ist zu hören, was aber nichts daran ändert, dass das Schmidt-Theater beherzte, gelegentlich vulgäre, auf jeden Fall schenkelklopfende, kaum subtile Kunst lieferte – Littmann betont nicht ohne Süffisanz, dass man als Unternehmen nie eine staatliche Mark erhalten habe, auch keinen Euro, um den Spielbetrieb am Laufen zu halten.
Später kam noch, in knappster Nachbarschaft am Spielbudenplatz, das Tivoli Theater hinzu – beide Häuser sind alternative Revuetheater, die man nicht betritt, um hinterher die Welt aus den Angeln heben zu wollen, aber versorgt zu werden mit saftigem Nicht-Fips-Asmussen-Entertainment.
Beide sind auf ein Publikum abonniert, das nicht zu den Topdurchblickerkreisen zählen muss, um sich den Schein von Eingeweihtheit einheimsen zu können. Schmidt: Das ist der Theater gewordene Triumph, wie man einen Stadtteil gentrifiziert, ohne ihn vollständig kulturell zu entkernen.
Lichtermeere am Hafen
St. Pauli ist durch das Schmidt-Theater zum attraktivsten Viertel in Hamburg geworden – ein Haus der Animationen, die Lichtermeere am Hafen zu genießen, die Metropole hochleben zu lassen. Wobei man daran erinnern muss, dass dem Unternehmen Littmann’scher Prägung keine lange Zukunft vorhergesagt wurde: zu schwul sei es, zu schräg, zu derb. Aber niemand konnte ahnen, dass genau dies das Counterprogramm zum oft anstrengenden Theater ist, das sonst so in Hamburg gegeben wird.
Innerhalb der letzten 30 Jahre ist überhaupt viel passiert, dort, und in Hamburg sowieso. Zwischen Max-Brauer-Allee und Hafenkante gibt es keinen Fleck mehr, der Beschaulichkeit bietet, alles ist irgendwie alternativ, links, volxtümlich, quirlig. Immer noch ist das Drogengeschäft in der Hand von Gangs, die aber wechseln. Mal die einen, mal die anderen – es geht auf St. Pauli geradewegs zu wie in Mario Puzos „Der Pate“: Über illegale Geschäfte es zu Reputierlichkeit bringen, viele migrantische Familie haben dies geschafft – nicht mit besonderer Zimperlichkeit.
So auch das unlängst um ein drittes, kleineres „Schmidtchen“ erweiterte Theater-Imperium: Man bespaßt das Kreuzfahrt-Unterhaltungsgeschäft und hält sich über Wasser, man bringt Stars hervor, und Olivia Jones ist nur einer der prominentesten unter vielen.
Ein Ohnsorg-Theater für die alternative Szene
St. Pauli wäre ohne die Gentrifizierung, die damals nicht so hieß, in Schutt und Moder untergegangen, als sei’s ein morscher Dogenpalast in Venedig – aber die Linken und Alternativen haben dieses Viertel erobert und zu ihrem gemacht. Mit Geschäften und mit Allianzen, die auch vor Grundstückshaien nicht Halt machten.
Corny Littmann hat für seine Verdienste manchen Preis bekommen, darunter auch eine der wichtigsten Hamburger Auszeichnungen, den Max-Brauer-Preis. Den kriegt nun wirklich nur der hanseatische Adel, und komme er aus modernster Monarchie.
Ohne das Schmidt hätte der grüne Bundestagskandidat des Jahres und zwischenzeitliche Präsident, klar, des FC St. Pauli, 1980 das nie geschafft: Gut, dass es dieses Ohnsorg-Theater für die alternative Szene gab – und gibt. Herzlichen Glückwunsch!
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