29-Euro-Ticket in Berlin vor dem Aus: Fahrt aufs Abstellgleis
Im Zuge der Sparpläne für 2025 beerdigt Schwarz-Rot das 29-Euro-Ticket. Für Unmut sorgt aber vor allem die geplante Preiserhöhung beim Sozialticket.
![Franziska Giffey in einem Straßenbahn-Simulator Franziska Giffey in einem Straßenbahn-Simulator](https://taz.de/picture/7362545/14/37047861-1.jpeg)
Insgesamt verspricht sich die Regierungskoalition durch diesen Schritt Einsparungen in Höhe von 100 Millionen Euro. Das geht aus einer Liste mit den bis zuletzt noch offenen und nun geeinten Sparvorhaben hervor. Das Dokument liegt der taz vor.
Das Ticket war das zentrale Versprechen der SPD und ihrer damaligen Spitzenkandidatin Franziska Giffey im Berliner Wiederholungswahlkampf Anfang 2023. Die CDU war ohnehin nie eine große Freundin des „Giffey-Tickets“, ebenso wenig wie die im Mai gewählten neuen SPD-Landeschef:innen Nicola Böcker-Giannini und Martin Hikel.
Auch die Grünen und der Umweltverband BUND kritisierten immer wieder die teure hauptstädtische Extrawurst und warben dafür, stattdessen das deutschlandweit gültige 49-Euro-Ticket für bestimmte Nutzer:innengruppen zu rabattieren. Ein Vorschlag, der im Senat auf taube Ohren stieß. Nun wird es weder ein Rabattsystem noch das 29-Euro-Ticket geben.
„Wahrscheinlich nicht zum 1. Januar“
Wann genau das Ticket abgeschafft wird, ist vorerst offen. Zwar wird die BVG in dem Koalitionspapier vom Sonntag „angewiesen, die Beschlusslage schnellstmöglich umzusetzen“. Zugleich wird aber auch „anerkannt“, dass die Abschaffung „wahrscheinlich nicht bereits zum 1. Januar erfolgen kann“. Schon zuvor hatte die Koalition durchblicken lassen, dass im Fall eines Aus für das 29-Euro-Ticket bereits abgeschlossene Jahresabos bis zum jeweiligen Vertragsende gültig bleiben.
Franziska Giffey, SPD
Giffey selbst teilt am Montag mit, dass sich niemand Einsparungen leicht mache: „Dennoch müssen wir verantwortungsvoll mit den öffentlichen Ressourcen umgehen.“ Es gehe schließlich darum, „die soziale und sichere Stadt zu erhalten“, so die SPD-Wirtschaftssenatorin. Zur Wahrheit gehört: Das in der Koalition vor allem von ihr und SPD-Fraktionschef Raed Saleh durchgedrückte Konkurrenzangebot zum 49-Euro-Ticket hat sich nie zu einem Verkaufsschlager entwickelt.
Während sich das Bedauern über das Abräumen des „Giffey-Tickets“ im politischen Raum insgesamt dann auch in Grenzen hält, sorgt die ebenfalls anstehende Preiserhöhung für das Sozialticket von derzeit 9 auf dann 19 Euro für umso lautere Kritik. Auch hier ist noch unklar, wann die Maßnahme umgesetzt werden soll.
Dem Vernehmen nach baut Schwarz-Rot aber darauf, rund 25 Millionen Euro an Zuschüssen im Etat von Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) damit einsparen zu können. Antragsberechtigt für das „Berlin-Ticket S“ sind unter anderem Wohn- oder Bürgergeldbezieher:innen – alles in allem wird es derzeit von gut 200.000 Berliner:innen in Anspruch genommen.
Sozialticket: Geringer Spareffekt, großer Schaden
Hier zuzuschlagen sei ein Unding, findet der haushaltspolitische Sprecher der Linksfraktion, Sebastian Schlüsselburg. „Für eine unterm Strich derart kleine Summe soll einfach mal die Teilhabe und Mobilität von armutsbetroffenen Menschen eingeschränkt werden. Das geht überhaupt nicht“, sagt Schlüsselburg zur taz.
Ähnlich sieht das André Schulze von den Grünen. Die Erhöhung treffe ausgerechnet jene Berliner:innen, die ohnehin über die geringsten finanziellen Möglichkeiten verfügen, sagt der Haushaltspolitiker zur taz. „Raed Saleh hatte versprochen, dass es keine Kürzungen im Sozialen geben wird. Das Versprechen hat er mit diesem krassen Anstieg klar gebrochen“, so Schulze.
Ungedeckte Schecks Bereits Ende 2023 war bei der Verabschiedung des Doppelhaushalts für 2024/2025 klar, dass der Gesamtetat in Höhe von rund 40 Milliarden Euro pro Jahr nicht durch entsprechende Einnahmen gedeckt ist.
Größte Verlierer Im Haushaltsjahr 2025 will die Koalition daher 3 Milliarden Euro wieder kürzen. Den größten Batzen mit rund 660 Millionen Euro muss die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt verkraften.
Stunde der Wahrheit Die Spitzen der schwarz-roten Koalition wollen den ausgehandelten finalen Sparplan für das kommende Jahr am Dienstag vorstellen. (rru)
Nicht minder erschreckend sei das geplante überproportional große Streichkonzert beim Umwelt- und Klimaschutz. Von den 350 Millionen Euro, die ursprünglich im Haushaltsjahr 2025 für entsprechende Projekte zur Verfügung stehen sollten, sollen bis zu 80 Millionen gestrichen werden, fast 20 Prozent. Schulze erinnert daran, dass Schwarz-Rot 2023 angetreten war, mehr in den Klimaschutz zu investieren: „Auch davon ist jetzt nichts mehr übrig.“
Kritik auch aus den Reihen der Koalition
Selbst die Umwelt- und Klimaschutzpolitiker:innen der Koalition kritisieren die Pläne. Der CDU-Abgeordnete Danny Freymark spricht von „einem harten Schlag“. Natürlich sei ihm bewusst, dass der Landeshaushalt dringend konsolidiert werden müsse. Aber er wolle doch daran erinnern, dass es 2023 einen wenn auch am Ende erfolglosen Volksentscheid gab, in dem sich fast 450.000 Berliner:innen für mehr und nicht weniger Klimaschutz ausgesprochen haben.
Deutlicher noch wird seine Fachkollegin Linda Vierecke. „Ich verstehe nicht, warum man ausgerechnet diesen Bereich doppelt so stark belastet wie andere“, sagt die umwelt- und klimaschutzpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion zur taz. Die geplanten Einschnitte seien „ein absolut fatales Signal“ für Berlin. In Zeiten der globalen Klimakrise müsse sich die Stadt auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereiten. „Mir scheint, dass hier noch nicht alle die Dramatik der Situation ganz begriffen haben.“
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