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25 JAHRE TOD VON FRANCO – 25 JAHRE DEMOKRATIE IN SPANIENEin Stück Geschichte

„Franco ist gestorben“ verkündete am 20. November 1975 Regierungschef Carlos Arias Navarro mit gebrochener Stimme in einer Fernsehanspache. Die Reaktionen hätten nicht unterschiedlicher ausfallen können: Die einen ließen nach fast 40 Jahren Diktatur die Sektkorken knallen. Am Morgen nach dem „20-N“, wie der Tag seither heißt, seien die Mülleimer übergequollen, berichten bis heute viele Zeitzeugen mit glänzenden Augen. Die anderen versanken in tiefer Depression. Für sie war mit Francisco Franco der größte Staatschef aller Zeiten gestorben. Zehntausende zogen tagelang weinend an seinem Sarg vorbei. Heute, am 25. Jahrestag des „20-N“, gerät niemand mehr in Feierstimmung und nur noch ein paar hundert Ewiggestrige werden ins „Tal der Gefallenen“ ziehen – zu jener von den im Bürgerkrieg gegen Francos Truppen Unterlegenen und in Gefangenschaft geratenen Demokraten in Fels gehauenen Grabkapelle, in der sich der Diktator bestatten ließ.

25 Jahre nach seinem Tod ist Franco nicht mehr als ein Stück Geschichte. Zwar veröffentlichen alle großen Tageszeitungen Spaniens am Wochenende eine Sonderbeilage. „25 Jahre Demokratie“ – „25 Jahre nach Ende der Diktatur“ – „25 Jahre König Juan Carlos“ – die Titel waren je nach politischer Vorliebe gewählt. Doch wer Debatten über Bürgerkrieg, die Diktatur und die Auswirkungen auf die heutige Gesellschaft erwartete, wurde enttäuscht: Es dominierten Fotos, Erzählungen und Anekdoten. Selbst auf dem Buchmarkt überwiegt Leichtes und Seichtes. Zwei der bekanntesten Geschichtswissenschaftler des Landes haben – statt dicker Schmöker – je ein großformatiges Buch für den breiten Konsum vorgelegt. „Fotobiografie Francos – ein Leben in Bildern“ heißt das eine. Das andere, in identischer Aufmachung, widmet sich König Juan Carlos I. Selbst der in aller Welt gelesene, katalanische Schriftsteller Manuel Vásques Montálbán, der sonst durch seine von solider, linker Analyse geprägten Essays glänzt, legt dieses Mal nur ein Verschenkbuch vor – eine Sammlung von Schlagertexten aus 40 Jahren Franco-Herrschaft.

Nur ein Werk stört die Harmonie: „Sklaven Francos“. Der Autor Rafael Torres trägt Geschichten aus der Nachkriegszeit zusammen, als eine halbe Million Menschen der Repression und dem Hunger zum Opfer fielen. Er will damit „den Pakt des Vergessens aus den Jahren des Übergangs zur Demokratie“ brechen. Denn während Spanien mit seinem Strafgesetzbuch weltweit Diktatoren verfolgen lässt, leben die Schergen Francos dort weiterhin unbehelligt. Das Schweigen war der Preis für die „transición“, den friedlichen Übergang zur Demokratie. Darüber herrscht ein allgemeiner Konsens von links bis rechts, den sich nicht einmal Wissenschaftler zu brechen trauen.

Bis auf wenige Ausnahmen interessiert die Spanier der Blick zurück kaum. Der wirtschaftliche Aufschwung, der soziale Frieden, die demokratischen Freiheiten und der Platz im vereinten Europa – die Spanier sind stolz auf das Erreichte. Das macht selbstzufrieden. Selbst die Monarchie, die Franco noch vom Sterbebett aus der mehrheitlich republikanisch gesinnten Bevölkerung aufzwang, ist heute allgemein akzeptiert. Auch wenn sich König Juan Carlos I. nicht wie seine britische Kollegin Elisabeth II. die Herzen seiner Untertanen erobert hat – sie respektieren ihn als festen Bestandteil der von ihm mit errichteten neuen Ordnung.

Für die Mehrheit der nachgewachsenen Generation ist die Demokratie so selbstverständlich, dass selbst die Jahre der „transición“ nach 1975 in weite Ferne gerückt sind. Nur wenige sind sich heute noch des langen Ringens um jede Reform bewusst. Kaum einen interessieren die gesellschaftlichen Bewegungen, die jeden Schritt auf der Straße erstritten. Für die in Freiheit Herangewachsenen sind das ebenso Geschichten „meiner Alten“ wie die Reden von den „zwei Spanien“ – dem siegreichen Francos und dem unterlegenen der Verteidiger der legitimen republikanischen Ordnung. Auch wenn die Wunden nie ganz verheilt sind, sie geraten immer mehr in Vergessenheit. Nur noch zu Wahlkampfzeiten bemühen die Sozialisten gerne die beiden entgegengesetzten Spanien. Doch solche Schwarz-Weiß-Malerei zieht immer weniger. Ob sozialdemokratisch oder konservativ, immer weniger Spanier wählen nach tradierten Schemata. Der haushohe Sieg der konservativen Partido Popular von Regierungspräsident José María Aznar im März beweist dies. REINER WANDLER

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