2009 nur noch 1700 Fälle: Weniger Verdachtsfälle bei Scheinehen
Im Jahr 2009 gab es nur 1.700 Fälle, 2000 noch knapp 5.300. Die Migrationsexpertin der Linkspartei sagt: Die Pläne der Regierung verstoßen gegen Europarecht.
BERLIN taz | Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Aufenthaltsrecht von ausländischen EhepartnerInnen verstößt gegen Europarecht, bemängelt Sevim Dagdelen, migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag. Dagdelen verwies auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom Donnerstag. Laut dem Urteil dürfen einmal gewährte Erleichterungen für türkische Arbeitnehmer beim Aufenthaltsrecht nicht mehr zurückgenommen werden, erklärte Dagdelen.
Die Bundesregierung plant eine Verschlechterung im Aufenthaltsrecht, die auch TürkInnen betrifft: Ein Gesetzentwurf, der demnächst in den Bundestag eingebracht werden soll, sieht vor, dass nachgezogene ausländische EhepartnerInnen im Falle einer Scheidung künftig wieder erst nach drei statt wie bisher nach zwei Jahren Ehe ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erlangen sollen. Damit sollen laut Bundesregierung "Scheinehen" bekämpft werden.
Dieser Gesetzentwurf verstoße nach dem EuGH-Urteil gegen Europarecht, erklärte Dagdelen. "Die Bundesregierung muss ihr Vorhaben stoppen, wenn schon nicht aus Interesse an den betroffenen Frauen, dann eben aus europarechtlichen Gründen", erklärte Dagdelen. Die Erhöhung der Ehebestandszeit von zwei auf drei Jahre sei ein Skandal, denn Frauen in Gewaltverhältnissen oder auch Zwangsehen müssten so aus Angst vor einer Abschiebung ein Jahr länger ausharren, rügte Dagdelen.
Die Bundesregierung begründet die geplante Verschärfung bei der Mindestdauer mit Scheinehen, die eingegangen würden, um ein Aufenthaltsrecht zu erlangen. In einer Antwort auf eine Anfrage Dagdelens räumte das Bundesinnenministerium jedoch ein, dass im Jahre 2000, dem Jahr, in dem die Mindestdauer von damals drei auf zwei Jahre verkürzt wurde, noch gegen 5.269 Tatverdächtige wegen des Verdachts der "Scheinehe" ermittelt wurde. Im Jahre 2009, nachdem die zweijährige Mindestehedauer schon lange in Kraft war, lag die Zahl der Verdächtigen jedoch mit 1.698 Personen deutlich niedriger.
Das Bundesinnenministerium wies allerdings darauf hin, dass diese Verminderung auch mit der EU-Osterweiterung zu tun haben könnte - seitdem gelten für Ehen mit OsteuropäerInnen andere aufenthaltsrechtliche Bestimmungen. Welche Konsequenzen sich aus dem EuGH-Urteil ergeben, werde geprüft, erklärte ein Ministeriumssprecher auf Anfrage der taz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen