200 Jahre unabhängiges Venezuela: Sozialistische Bruderländer
Seit der Krebserkrankung seines Bruders Hugo führt Adán Chávez Venezuela. Das kennt man vom Modell Kuba. Den heutigen 200. Jahrestag der Unabhängigkeit feiern sie gemeinsam.
Es ist ein Jammer: Da feiert Venezuela am heutigen Dienstag den 200. Jahrestag seiner Unabhängigkeit und Präsident Hugo Chávez, der selbsterklärte Nachfolger des lateinamerikanischen Freiheitshelden Simón Bolívar, ist krank. Krebs. Sichtlich abgespeckt, hat er es selbst Ende vergangener Woche in einer Fernsehansprache erklärt. Doch Chávez wäre nicht Chávez, würde er den nationalen Großfeiertag im fernen Kuba verbringen. In letzter Minute hat er ein Flugzeug nach Caracas bestiegen.
Sein Freund und politischer Ziehvater Fidel Castro wird ihm sicher zur Fortsetzung seiner Rekonvaleszenz unter der Obhut kubanischer Ärzte geraten haben. Der alte Castro hat Erfahrung mit schwerer Krankheit. Nach zwei schweren Darmoperationen musste er vor fünf Jahren den Feiern zu seinem eigenen 80. Geburtstag fernbleiben und auch dem Jubel am 50. Jahrestag seiner Revolution.
Auch bei Chávez geht es ums Gedärm. Drei Wochen lang war in vagen medizinischen Kommuniqués von einem Abszess im Becken die Rede, der einen schnellen Eingriff nötig gemacht habe. Jetzt aber ließ Chávez heraus, dass bei dieser Operation ein Krebstumor gefunden wurde und er ein zweites Mal unters Messer musste.
Die Brüder im Schatten
Bei Fidels Krankheit hatte dessen Bruder Raúl die Aufgabe übernommen, das kubanische Volk über den Gesundheitszustand des Staatschefs zu (des)informieren. Bei Hugo machte es nun sein Bruder Adán. International war dieser Mann bislang weitgehend unbekannt. In Venezuela aber war er schon in der Vergangenheit präsent. Immer fest an der Seite des Präsidenten, aber klar: mindestens einen Schritt hinter ihm. So wie Raúl über 50 Jahre lang seinen Bruder Fidel gestützt und begleitet hat. Erst als der krank wurde, trat er aus dem Schatten.
Sicher, Raúl ist fünf Jahre jünger als Fidel und Adán knapp zwei Jahre älter als Hugo. Sonst aber haben die beiden vieles gemeinsam. Beiden fehlt das Charisma ihrer Brüder. Sie haben nicht diese fast magische Fähigkeit, sich als Einzelne im Handumdrehen mit einem Millionenpublikum zu verbinden, sodass jeder sich persönlich angesprochen fühlt. Sie wirken eher trocken, wie aus Papier. Und doch sind sie für ihre Brüder unentbehrlich. Die nämlich vergaßen im Überschwang ihres Flirts mit dem Volk immer wieder die gerade politische Linie. Wer flirtet, flunkert immer ein bisschen, auch gegenüber sich selbst. Die Brüder achteten darauf, dass das nicht zu weit ging. Dass die Männer im Rampenlicht wieder zurückkehrten zum kubanischen Kommunismus oder zum Sozialismus Venezuelas.
Raúl Castro war schon lange überzeugter Kommunist, als Fidel das noch weit von sich gewiesen hat. Und Adán Chávez hat sich bereits als 16-Jähriger der damaligen linksrevolutionären Bewegung MIR angeschlossen und war später, als Hugo in der Armee diente, im Umfeld von kleinen Guerilla-Gruppen zu finden. Ohne Adán, sagen Kenner der Familie, wäre Hugo heute nicht der Apostel des Sozialismus des 21. Jahrhunderts.
Adán ist ein exakter Mann. Er hat Physik und Mathematik studiert und beides auch an Universitäten gelehrt. Er war Botschafter in Havanna - wo sonst? - und Bildungsminister. Heute ist er Gouverneur von Barinas, dem Bundesstaat, aus dem die Familie stammt. Gewählt worden ist er wohl eher, weil er der Bruder des Präsidenten ist, nicht wegen der eigenen Ausstrahlung.
Die Leere die die Krise schafft
Könnte er auch dessen Nachfolger werden, wenn Hugo sich nicht mehr erholt? Bei Raúl hat das ja ganz gut geklappt. Früher hat man Witze über ihn gemacht. Man raunte sich gar zu, er sei schwul - was in Kuba noch immer als Beleidigung gilt. Man wollte damit wohl sagen, er sei nicht so ein richtiger Kerl wie Fidel. Heute aber wird Raúl von seinen Landsleuten respektiert.
Einsam und absolut regierende Männer, die nichts delegieren, alles bis ins letzte Detail selbst entscheiden, schaffen um sich herum eine große Leere. Eine gesundheitliche Krise löst damit immer auch gleich eine des Staates aus. Alles gerät plötzlich ins Wanken, nichts ist mehr sicher. Bis auf den einzigen Hafen, in den sich jeder Lateinamerikaner auch im schrecklichsten Sturm flüchten kann: die Familie. Und so rettete Raúl Castro durch sein Einspringen das Lebenswerk von Bruder Fidel.
Jetzt hat Hugo Chávez Krebs. Doch zum Glück ist da noch Adán.
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