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20 „Stinte“ im Netz!

■ „Stint“, Bremens Literatur-Zeitschrift, wird zehn / Allwöchentlich Auswahl aus einer Flut von Manuskripten

„Vulkan/verschiffsschaukelt“ heißt es ganz oben im Register der ersten zehn Jahre Stint. Verfügten die Herausgeber im Jahre 1989 über Hellseherkraft, als der Text erschien? Gab es Eingeweihte, die schon damals wußten, wo das Geld der Ostwerften bleiben wird? Das ist natürlich Quatsch. Genauso wenig wie heute hat damals in Bremer jemand den großen Durchblick gehabt, geschweige denn ihn veröffentlicht. Dieser Titel benennt ein Gedicht von Peter Abromeit, den „Hammerschlagertext“. Zutage kommen diese längst gedruckten Texte anläßlich des zehnten Geburtstags der Bremer Literaturzeitschrift „Stint“. Nun ist Band 20 ausgeliefert: Grund genug heute zu feiern.

Schließlich konnte in der literarischen Wüste eine literarische Zeitschrift überleben. Und dabei hatte man am Anfang nicht mehr als ein sechsköpfiges Redaktions-Kollektiv und einen absurden Name? „Stint“ mußte einer Doppelbelastung standhalten: 1.) wird so ein Fisch genannt, der nur in der Region vorkommt. Bernd Gosau versicherte, daß der „lachsähnliche Fisch“ jedes Jahr im März aus „den Tiefen des Ozeans“ kommt, um ausgerechnet in Bremen bis zum Weserwehr zu schwimmen und dort zu laichen. Und 2.) bedeutet „to stint“ im Englischen etwa so viel wie: „innehalten, stocken“, und das paßt auch recht gut zur Literaturproduktion. Bernd Gosau, von Anfang an dabei, erinnert sich an die Geburtsstunde der literarischen Zeitschrift. Profanes dominierte: „Wir wollten unsere eigenen Arbeiten veröffentlichen, aber auch anderen Bremer Autoren ein Forum bieten.“ So bescheiden die Absicht war, schon in der zweiten Nummer löste sie sich ein. Neben den literarischen Produkten der Redakteure waren auch fremde Texte vertreten.

Und das sollte so bleiben. Wie alle Literaturzeitschriften kann sich auch „Stint“ vor Einsendungen kaum retten. „Jeden zweiten Tag hat der Postbote ein Manuskript dabei.“ Doch wie man am 20. Band sehen kann, werden weiterhin nur etwa 150 Seiten gedruckt, die eine mehr oder weniger gelungene Auswahl zeigen. Wie also wird ausgewählt? „Wiglaf Droste würden wir nie drucken“, gibt der Redakteur an „das wäre uns zu zynisch.“ Im Alltag hilft nur „Grobsortierung“, verrät Bernd Gosau, der alle eingereichten Texte mindestens zweimal anschaut. Was erspart er den Lesern? „Zur Zeit wird viel von dieser Gewaltliteratur geschrieben, diese Trash-Literatur mögen wir nicht. Viele junge Autoren sind noch mit der Aufarbeitung der Familien-Geschichte beschäftigt. Diese Psycho-Geschichten, auch die Beziehungsgeschichten sind ungeeignet.“ Was die erste Hürde passiert, das wird von allen Redakteuren gegengelesen.

An jedem Freitag ist dann Redaktionskonferenz. Man werde sich meist einig, erläutert Gosau das demokratische Prinzip. Der Service auch für die abgelehnten Autoren ist bei Stint beachtlich. Jede Einsendung wird beantwortet und oft gibt es sogar das Angebot über die Texte zu reden. Große Reichtümer sind mit Stinten nicht zu verdienen: Weder die Autoren noch die Redakteure bekommen für ihre Arbeit je eine Mark. Der Druck trägt sich zu etwa gleichen Teilen aus der jährlichen Unterstützung der Kultursenatorin von 10.000 Mark, dem Verkauf der gedruckten Auflage von 1.000 Stück und durch selbst eingeworbene Sponsoren. Hergestellt wird nunmehr ein Heft, das sich treu geblieben ist. Von kurzfristigen Höhenflügen ist man schnell wieder zur Erde gekommen. „Wir hatten mal die spleenige Absicht, den nordeuropäischen Raum abzudecken“, erinnert sich Gosau, geblieben ist davon die Spürnase für die Entdeckung junger Autoren. Da hat sich Stint einiges zugute zu halten: Sujata Bhatt, die in Bremen lebt und im englischen Sprachraum schon seit langem hoch gelobt wird, wurde im Stint zum ersten Mal in deutscher Sprache gedruckt. Die Lyrikerin Vera Kissel galt den Stint–Fängern lange schon als Geheim-Tip. Und der 1972 aus Polen ausgewanderte Artur Becker schreibt nun an seinem ersten großen Roman.

In der gegenwärtigen Ausgabe setzt sich die typische Stint-Linie fort. Zwischen den Buchdeckeln die von den dezenten Zeichnungen von Hermann Stuzmann gebildet werden, verbergen sich 24 Beiträge der unterschiedlichsten literarischen Genres: Ein Dramolett, fiktive Briefe von Daniel Charms, im Mittelteil dann Lyrik und letztendlich eine reiche Auswahl an Prosa: von der Enthüllung des „Ritter-Sport-Joghurt-Geheimnisses“ bis zur Räuberpistole aus einem erfundenen orientalischen Land – alles made in Bremen.

Susanne Raubold

Feier mit Lesungen von Stint-Autoren und Stint-Kochrezepten heute abend im Ambiente um 20 Uhr.

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