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20 Jahre „Perlentaucher“Immer auf der Suche

Das Kulturmagazin „Perlentaucher“ hat Geburtstag. Seit 20 Jahren setzt es mit Presseschauen und eigenen Texten auf Ideologieferne und Streitfähigkeit.

Prost Perlentaucher! Foto: Lohfink/plainpicture

Ob er und seine Kolleg*innen in diesen Tagen mit gewissem Stolz auf ihre Projektgeschichte schauen, ist nicht gut zu beurteilen: Für ein persönliches Treffen ist in diesen Tagen ja kein Raum. Aber Thierry Chervel, ehemaliger taz-Kulturredakteur, danach Kulturkorrespondent der Süddeutschen Zeitung in Paris, kann auch telefonisch seine Zufriedenheit formulieren und auf seinen Perlentaucher gucken. 20. Geburtstag feiert in diesen Tagen das wichtigste „Kulturmagazin“ im Online-Bereich – aber was heißt hier „das wichtigste“: Es gibt ja kein anderes.

Und was macht diesen Nachrichtendienst besonders? Ältere Menschen werden sich erinnern, dass es vor der Digitalisierung ungefähr einen halben Zentner Papier täglich brauchte, um sich einen beinah vollständigen Überblick über das Debatten- und Diskursgeschehen, über Kulturelles und Politisches zu verschaffen.

Im Perlentaucher ist dies alles in einer Revue zu haben, unterteilt in die täglich veröffentlichten Rubriken „9Punkt – Die Debattenrundschau“ sowie „Efeu – Die Kulturrundschau“, darüber hinaus in einer regelmäßigen Magazinrundschau (der relevanten internationalen Periodika). Im „Ententeich“ werden Texte veröffentlicht, die von Autoren des Hauses exklusiv für den Perlentaucher verfasst sind und direkt in die gängigen Debatten intervenieren.

Das ist eigentlich ein simples Konzept: Alles wahrzunehmen, was kulturell und politisch Stimmen wiedergibt. Keine ideologischen Beschränkungen, alles aus einer linksliberalen Warte heraus wahrgenommen – besonders in den sehr späten Abend- wie sehr frühen Morgenstunden, damit die aktuellen Aufbereitungen jeweils eine bis fünf Minuten nach neun Uhr am frühen Vormittag freigeschaltet werden können.

Zusammenfassung statt Original

Und was war das entscheidende Moment für Thierry Chervel – der mit Anja Seliger und Thekla Dannenberg, auch ehemalige taz-Redakteurinnen, sowie freien Mitarbeiter:innen den Perlentaucher aufbereitet, dieses „Kulturmagazin“ zu begründen? „Vielleicht habe ich das Revolutionäre am Internet früher erkannt als andere, weil ich mich im Studium recht intensiv mit der Geschichte des Buchdrucks befasst hatte.

Es gab da dieses Buch ‚The Printing Press as an Agent of Change‘ von Elizabeth Eisenstein, das zeigte, wie der Buchdruck alle Bereiche komplett auf den Kopf stellte. Und es gab ein paar Urerfahrungen wie die, dass die New York Review of Books plötzlich am Computer zu lesen war. Vorher musste man dafür zum Bahnhofskiosk fahren.“ Das bestärkte, so sagt Chervel, „eine Presseschau zu machen“.

Diese Presseschauen (mit Texten aus etablierten Medien wie der FAZ, NZZ, SZ oder taz, aber auch mit Fundstücken jenseits des Wahrnehmungsmainstreams, Blogs beispielsweise) waren für die auflagenstarken Medien selbstverständlich auch beleidigend: Man erfuhr und erfährt über den Perlentaucher, was so gemeint und erörtert wird. Auf der anderen Seite bekämpften die Geschäftsführungen von FAZ und SZ das „Kulturmagazin“, schon aus ökonomischen Gründen: Sehr oft sind die Kondensate von Texten so gut, dass sich die Lektüre der ganzen Artikel kaum mehr lohnt.

Persönlich wohlhabend wird man durch Arbeit für den Perlentaucher nicht, Chervel und Kolleg:innen refinanzieren sich durch Anzeigen und freiwillige Abonnements und bezahlen sich selbst mit untertariflichen Löhnen.

Perlentaucher-Gründer Thierry Chervel Foto: imago images

Und wie stellt sich Thierry Chervel die Zukunft des Perlentaucher vor – rosig wegen der Printkrise? „Von der Zeitungskrise sprach man schon vor 20 Jahren, also wird es wohl die Zeitungen auch in 20 Jahren noch geben, zumindest als Marken. Der ‚Perlentaucher‘ ist in den letzten 20 Jahren immer mehr zu einem eigenständigen Medium geworden.“

Was zutrifft auch insofern, als Chervel ein journalistisches Verständnis von liberaler Streitfähigkeit kultiviert: Nichts wird dem Gebot des „Deplatforming“ unterworfen, dem Vorsatz, andere als die eigenen (Milieu-)Stimmen unerwähnt zu lassen, und von der Idee, dass etwas nicht geäußert werden darf, weil es „den Rechten dient“, halten die Perlentaucher:innen auch nichts. Ob Mohammed-Karikaturen, die Würdigung Salman Rushdies, den Streit darüber, ob man mit „Rechten“ reden dürfe oder ob Religion einen besonders favorisierten Rang erhalten darf (nein!), etwa in Sachen Sterbehilfe oder Organtransplantation – man setzt auf Ideologieferne und Streitfähigkeit.

„Immer mehr braucht es Medien“, so Chervel, „die den klassischen Qualitätsbegriff in die neue digitale Öffentlichkeit übertragen.“

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