141.-143. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Gedächtnis und Erinnerung
Bei der Vernehmung eines weiteren UN-Experten im Kongo-Kriegsverbrecherprozess versucht die Verteidigung, Widersprüche nachzuweisen.
STUTTGART taz | Und wieder geht es um das Massaker in Busurungi, um Goldhandel, um die Kommandostruktur der ruandischen Hutu-Miliz FDLR in der Demokratischen Republik Kongo. Wenn Claudio Gramizzi, ehemaliges Mitglied der UN-Expertengruppe zur Überwachung der Sanktionen gegen Kongos bewaffnete Gruppen, vor dem 5. Strafsenat im Stuttgarter Oberlandesgericht gegen die beiden angeklagten FDLR-Führer Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni aussagt, könnte man meinen, man hat alles schon einmal gehört.
Ja, die FDLR erhielt Waffen von Kongos Regierungsarmee. Ja, die Miliz betrieb Mineralienhandel und kontrollierte Zugänge zu Bergbaugebieten. Ja, es gab bei der FDLR Kindersoldaten. Ja, Murwanashyaka und Musoni standen „im Zentrum“ und waren „die Anführer“.
Das Verhältnis von FDLR-Präsident Murwanashyaka in Deutschland und FDLR-Militärführer Sylvestre Mudacumura beschreibt Gramizzi auf der Grundlage seiner vielen Gespräche mit ehemaligen FDLR-Kämpfer so: Mudacumura „als militärischer Anführer von Operationen“ und Murwanashyaka als „Anführer, der aus dem Ausland strategische Anweisungen gab“.
Doch grundlegend neue Erkenntnisse sind das nicht, und die Befragung lässt vor allem auf Eines schließen: auf die Arbeitsmethoden der UN-Expertengruppe, die im Kongo recherchiert, und die Unzuverlässigkeit schwammiger Erinnerungen. Das ist dann auch das Hauptthema der dreitägigen Befragung Gramizzis vom 13. bis 20. März.
Ein typischer UN-Experte
Gramizzi ist ein typischer UN-Experte: Er ist jung, er spricht unzählige Sprachen fließend, er hat seit vielen Jahren Afrika-Erfahrung und kennt sich gut in Krisen und Kriegsgebieten aus. Der italienische Staatsbürger, der in Brasilien geboren wurde und in Belgien aufwuchs, ist zwar Mathematiker, doch Jahre seiner Arbeit an der Elfenbeinküste, in Burundi, der Demokratischen Republik Kongo und Sudan machten ihn zum Rüstungsexperten.
Seitdem verdient er sich als „Berater“, „Experte“, „Ermittler“ und „Rechercheur“ seine Brötchen in den Konfliktzonen des afrikanischen Kontinents. So weiß er einiges über das Waffenarsenal und die Waffenbeschaffung der FDLR.
„Als Waffensammler sind Sie im Kongo richtig“, sagt Gramizzi, „von alten russischen, bulgarischen Waffen, ist alles da.“ Die Ausrüstung der Miliz sei „Standardausrüstung“ afrikanischer Bürgerkriegsarmeen, „Waffen vom Typ Warschauer Pakt“, meist Jahrzehnte alte Sturmgewehre, „AK47 oder T561, T56II oder jede andere Version“. Darin habe sich die FDLR nicht von anderen bewaffneten Gruppen im Ostkongo unterschieden.
Aber die FDLR setzte auch Macheten und Messer ein, „aus psychologischen Gründen, das es so gesehen wurde, dass es auf die Opfer schlimmere Auswirkungen haben sollte; in entlegenen Gebieten wollte man aber auch keine Munition verschwenden.“
FDLR-Goldexporte nach Burundi
Ausführlich gibt Gramizzi auch über die wirtschaftlichen Aktivitäten der FDLR Auskunft. „Die FDLR hatte Kontrolle über alle Handelswege“, sagt er. „Es gibt eine weite Bandbreite an Aktivitäten. Vor allem bei Bodenschätzen, aber nicht nur Mineralien, auch wenn das der wichtigste Zweig ist: Man garantierte Sicherheit für die Minenarbeiter und dafür mussten diese für den Zugang zu den Stollen bezahlen“.
Die FDLR hielt auch „das kommerzielle Monopol“ auf Konsumgüter, die die Bergleute beispielsweise im FDLR-kontrollierten Gebiet von Mwenga in Süd-Kivu kauften. In den Nationalparks Kahuzi-Biega und Virunga, in die sich die Miliz nach den Militäroperationen gegen sie im Jahr 2009 zurückzog, erzielte die FDLR erhebliche Gewinne vom Handel mit Holzkohle (makala).
Fred Irakesa, heute FDLR-Kommandeur in Süd-Kivu, war laut Gramizzi in den Goldexport Richtung Burundi verwickelt. „Er war auch zuständig für die Militärausrüstung in Süd-Kivu. Er erhielt Munition aus Tansania“.
Und er war in Telefonkontakt mit dem angeklagten FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka in Deutschland, sagt Gramizzi: laut einem interviewten Ex-FDLR-Kämpfer habe Irakisa gesagt, „man solle keine Angst vor Munitionsknappheit haben, im Fall des Mangels werde Ignace neue besorgen.“
Die Rolle der politischen Führung
Die Rolle der politischen Führung in Deutschland sei 2009 wichtiger geworden, als Kongos Armee begann, gemeinsam mit Ruanda in der Operation Umoja Wetu die FDLR zu bekämpfen und die Miliz sich zurückziehen musste. „Seit 2009 mussten lokale Kommandeure direkt an den Generalstab berichten“, so der UN-Experte.
„Die politische Führung in Europa spielte dabei eine besondere Rolle, das haben uns alle gesagt:“ Wenn die Diaspora Geld in den Kongo schickte, habe sie über die Aufteilung bestimmt.
Nach Umoja Wetu lautete die FDLR-Strategie so, sagt Gramizzi: Konfrontationen vermeiden, keine Gegenwehr, Rückzug in sichere Gebiete, auch in die Parks. Militärische Vergeltungsschläge, wenn nötig auch Angriffe auf die Bevölkerung, sollten internationale Aufmerksamkeit erzeugen und auch Gelegenheiten für Nachschub bieten.
Dies ist der Kontext, in dem die den Angeklagten als Führungsverantwortliche zur Last gelegten Kriegsverbrechen verübt wurden.
"Feuer brach sicher nicht von alleine aus"
Gramizzi hat genaue Details gesammelt über FDLR-Angriffe in den Gebieten Mwenga und Hombo-Bunyakiri in Süd-Kivu in einzelnen Zeiträumen des Jahres 2009. In letzterem habe er Informationen über 54 Zwischenfälle mit insgesamt 100 abgebrannten Häusern gesammelt. Gramizzi und seine Kollegen überprüften die Angaben stichprobenmäßig.
„Die FDLR war in keinem der Fälle in einen Kampf mit einer anderen bewaffneten Gruppe verwickelt“, gibt der UN-Experte die Schlussfolgerungen wieder und äußert sich genauer zu einem Einzelfall: „Es gab nur eine Partei, die das Dorf angriff. Nach meinem Verständnis ist das Feuer dort sicher nicht von alleine ausgebrochen. Zeugenberichte sagen, dass die FDLR die Häuser anzündete als letzten Akt vor dem Rückzug. Es gibt Berichte von Exekutionen, sexuellen Übergriffen, Entführungen.“
Zwei UN-Experten - zwei Aussagen
Gemeinsam mit seinem Kollegen Dinesh Mahtani, der bereits 2012 in Stuttgart aussagte, hatte Gramizzi von März bis Oktober 2009 im Ostkongo die Strukturen der FDLR recherchiert. Viele Reisen unternahmen die beiden Ermittler zusammen, viele Interviews führten sie gemeinsam.
Doch bei der Befragung durch den Senat, die Bundesanwaltschaft und die Verteidigung zeigt sich jetzt vier Jahre später: Die Aussagen von Mahtani und Gramizzi sind laut Annahme der Verteidigung unterschiedlich, obwohl sie auf denselben Informationen beruhen.
Ein Beispiel: Gramizzi wird nach den Befehlen gefragt, die die FDLR-Führung nach der Operation „Umoja Wetu“ an alle Einheiten via Funk durchgegeben haben soll. In einem der Befehle soll angeblich die Strategie angeordnet worden sein, zivile Einrichtungen anzugreifen - darunter auch Krankenhäuser - und Vergeltungsanschläge gegen Zivilisten durchzuführen, um eine „humanitäre Katastrophe“ anzurichten.
Laut der Anklage, die unter anderem auf Beweisen der UN-Ermittler basiert, soll dieser Befehl von FDLR-Präsident Murwanashyaka gegeben worden sein - ein zentraler Punkt. Den fraglichen Befehl, den die UN-Expertengruppe 2009 als Annex zu ihrem UN-Bericht dokumentierte, erhielten die UN-Experten „als Transkript von einem Funker, welches von Dutzenden bestätigt wurde“, erinnert sich Gramizzi. „Manche Zeugen haben ihn Murwanashyaka zugeschrieben, andere Mudacumura“.
Klar sei: FDLR-Kommandeur Mudacumura „gab alle Befehle; nur Mudacumura kann allen Einheiten Befehle geben“, so Gramizzi. Aber einigen seiner Interviewpartner zufolge „wurden die Befehle zumindest mit Murwanashyaka diskutiert... Bevor Mudacumura die Befehle gab, hatte er mit Europa telefoniert, vor allem mit Belgien, Deutschland und Frankreich. Zu den Befehlen aus Deutschland haben wir nachgefragt. In einigen Einheiten sagten die Kommandeure, dass der Präsident die Befehle gegeben hätte.“
Die Quellen der UN-Experten
In der Zeugenbefragung will die Verteidigung jetzt herausfinden, welche Quellen den UN-Ermittlern zur Verfügung standen, um dies zu behaupten. Gramizzi soll sich dazu auf seine Erinnerungen beziehen und nicht aus seinen Notizen auf seinem Computer ablesen, obwohl seine Recherchen bereits vier Jahre zurückliegen.
Gramizzi muss dabei oft ehrlich zugeben, dass er sich nicht genau erinnern könne. Der Vorsitzende Richter Hettich erlaubt ihm dann, seine Notizen als „Erinnerungsstütze“ zu Rate zu ziehen, so wie Mahtani und anderen Zeugen bisher auch.
Gramizzi berichtet von einem Interview mit einem ehemaligen FDLR-Major, der die Miliz verlassen hatte, aber zu seinen Dienstzeiten in der Leibgarde des Oberkommandos war. Dieser Major habe von Befehlen berichtet, darunter auch die Anweisung, Ruanda von Stellungen im Ostkongo aus zu bombardieren.
Laut der Aussage des Majors habe FDLR-Militärchef Mudacumura mit der politischen Führung in Europa gesprochen, kurz bevor er die besagten Befehle an alle Einheiten via Funk durchgegeben habe. Es sei zu schließen, „dass die Strategie sicher mit der Führung in Europa besprochen worden war“.
So ungefähr hatte am 9. Juli 2012, am 87. Verhandlungstag, auch Gramizzis Kollege Mahtani vom Interview mit diesem Major berichtet. Doch die Verteidigung hält dem Zeugen Gramizzi jetzt vor, sein Kollege habe berichtet, „der Major habe gesagt, es habe eben genau KEINEN Befehl gegeben, Zivilisten zu töten“.
Streit im Gerichtssaal
Ein Widerspruch? Darüber bricht im Gerichtssaal zwischen Bundesanwaltschaft und Verteidigung ein hitziger Streit aus. Denn ähnlich wie die unterschiedlichen Notizen und Erinnerungen der beiden UN-Ermittler, so haben auch Ankläger und Verteidiger die Aussagen Mahtanis bei der Befragung durch das Gericht im Juli 2012 möglicherweise unterschiedlich notiert - beziehungsweise geben sie das Geschehen von vor einem Dreivierteljahr unterschiedlich wieder. In deutschen Gerichten werden keine offiziellen Mitschriften geführt.
So bleibt letztlich ungeklärt im Raum stehen, was Mahtani angeblich gesagt haben soll. „Es ist gut zu merken, dass auch bei Ihnen Probleme mit den genauen Mitschriften gibt“, kommentiert Gramizzi das Gezanke spitzbübisch. Bei Gramizzi bleibt aber hängen, Mahtani habe etwas anderes ausgesagt als er selbst über ein Interview, das die beiden gemeinsam führten.
Was so eigentlich nicht stimmt. Der taz-Mitschrift des fraglichen 87. Verhandlungstages zufolge antwortete Mahtani mit „Nein“ auf die Frage der Verteidigung, ob der Major Angaben zu Befehlen, Zivilisten zu töten, gemacht habe.
Daraus macht die Verteidigung jetzt: „Der Major habe gesagt, es habe keinen Befehl gegeben, Zivilisten anzugreifen“. Und darauf bezieht sich die gesamte folgende Diskussion. Es ist aber eine inkorrekte Wiedergabe sowohl der Frage als auch der Antwort vom 87. Verhandlungstag.
"Strategische Ziele inklusive zivile Ziele"
“Der Unterschied, ob es einen Befehl gab, Zivilisten zu töten oder nicht, ist doch schon gravierend“, sagt Murwanashyakas Anwältin Lang schließlich. Zumindest darüber dürften sich alle einig sein.
Sie stellt die Frage noch einmal, klarer: „Hatte der Major konkret gesagt, wir hatten diese Befehle, Zivilisten zu töten?“ Gramizzi antwortet, ebenfalls klarer: „Der Major sprach von Befehlen, strategische Ziele zu suchen für Vergeltungsschläge, inklusive zivile Ziele. Soweit erinnere ich mich und das steht in meinen Notizen“.
Also wohl doch kein Widerspruch zu Mahtani. Aber das wird in der Verhandlung nicht mehr geradegerückt. (Mitarbeit: B. Schmolze)
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