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12 1/2 Jahre für Denis-Entführer

■ Marcus N. wegen Menschenraub, räuberischer Erpressung und Geiselnahme verurteilt / Gericht betroffen von „ungeheurer Brutalität“ / Verteidigung: Verzweiflungstat eines seelisch und geistig Kranken

Der 23jährige Marcus N. muß für 12 1/2 Jahre ins Gefängnis. Gestern verurteilte die II. Große Strafkammer des Bremer Landgerichts den Entführer von Denis Mook wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit Geiselnahme und räuberischer Erpressung. Bei der Festsetzung des Strafmaßes blieb das Gericht nur geringfügig unter der möglichen Höchststrafe von 15 Jahren. Die Staatsanwaltschaft hatte 14 Jahre Haft für N. gefordert, die beiden Verteidiger N.s hielten 9 Jahre für „tat- und schuldangemessen“.

„Bestürzt und betroffen“ fühlte sich das Gericht insbesondere von „der ungeheuren Brutalität“, mit der N. die Entführung durchgeführt und den kleinen Denis tagelang gefesselt und geknebelt in einer Holzkiste eingesperrt hatte. Vorsitzender Kurt Kratsch wörtlich: „Wir können nur erahnen, was der Junge durchgemacht hat.“ Als Zeichen „besonders ausgeprägter krimineller Energie“ wertete Kratsch überdies die Tatsache, daß N. nicht ein Kind reicher Eltern, sondern ein x-beliebiges Kind entführt hatte, um den Staat um eine Million Lösegeld zu erpressen: „Das ist etwas grundsätzlich Neues. Wenn das Beispiel Schule macht, gehen wir schlimmen Zeiten entgegen.“ Strafmildernd fielen dem Vorsitzenden während der halbstündigen Urteilsbegründung nur zwei Gesichtspunkte ein: Erstens wird Marcus N. neben der 12 1/2-jährigen Haftstrafe nach dem gestrigen Schuld

spruch auch noch eine alte Reststrafe von fast zwei Jahren absitzen müssen. Zweitens wird er seinen Opel Ascona, in den er Denis Mook am 22. September 1988 gezerrt und in die Eifel verschleppt hatte, dann nicht mehr besitzen. Das Auto wurde als „Tatwerkzeug“ eingezogen.

Das Gericht wies damit sämtliche Strafmilderungsgründe zurück, die N.s Verteidiger zuvor während ihres zweistündigen

Plädoyers geltend gemacht hatten. Für sie ist die Entführung von Denis Mook vor allem die „verzweifelte Tat eines verzweifelten Täters“. Vor allem in der gestörten Beziehung zu seinem Vater, einem streng katholischen Religionslehrer, sahen die Anwälte die psychologischen Hintergründe für N.s kriminelle Karriere. Nachdem N. als Kind jahrelang erfolglos versucht habe, den rigiden Leistungsan

forderungen und intelektuellen Ansprüchen seines Vaters zu genügen, habe der eingeschüchterte Junge sich schließlich verzweifelt aus „der überbehütenden, aber auch erdrückenden Umklammerung“ seines Elternhauses gelöst. Seine ersten Straftaten – N. ist bereits mehrfach wegen räuberischer Überfälle auf Sex-Shops, Drogerien und Juweliere vorbestraft – waren für die Verteidigung vor allem hilflose Versuche der Flucht und eines Neuanfangs jenseits seines kleinbürgerlichen Elternhauses. Erst als die dilettantischen Fluchtversuche des schüchternen Jungen in die Kriminalität scheiterten und die ersten Vorstrafen ihm gleichzeitig die Rückkehr in jeden gutbürgerlichen Beruf verbauten, sei N.s Plan zu einem „großen Coup“ gereift. Mit einem einzigen großen „Befreiungsschlag“ habe N. den Traum vom großen Geld verwirklichen wollen – nicht um anschließend in Saus und Braus zu leben, sondern um leben

zu können wie – sein Vater: Harmlos, bescheiden, aber gesichert. Die Entführung des kleinen Denis, so die Argumentation der Verteidigung, war für seinen Entführer beides: Radikale Abwendung von den Maßstäben seiner Eltern und letzter Versuch, ihnen gerecht zu werden.

Richter Kratsch zeigte sich von derartigen pychologischen Einfühlungsversuchen weitgehend unbeeindruckt. Für das Gericht hatten zwei Gutachter N.s Schuldfähigkeit hinreichend bewiesen. Für Kratsch war unzweifelhaft, daß N. sich jederzeit über die Folgen seiner Tat im Klaren war und ihren Ablauf minutiös geplant hatte. Entsprechend wies das Gericht den Antrag zurück, ein weiteres Gutachten über N.s seelische und geistige Verfassung einzuholen.

Äußerlich unbewegt nahm N. das Urteil gestern zur Kenntnis. Einige Male hatte es den Anschein, als müsse er lächeln.

K.S.

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