: 10.000 Prager riefen: „Russen raus“
■ Anläßlich des 20.Jahrestages des Einmarsches der Sowjets in Prag Kundgebung / Stundenlange Diskussionen auf dem Wenzelsplatz / Hunderte unterzeichneten Petition / „Dubcek, Dubcek„-Rufe
Prag (ap) - Entgegen der erwarteten Ruhe in der tschechoslowakischen Hauptstadt haben am Sonntag abend schätzungsweise 10.000 Menschen anläßlich des 20.Jahrestags des Einmarsches sowjetischer und anderer Ostblocktruppen am 21.August 1968 für Freiheit und Reformen demonstriert. Mit der Invasion war die unter dem damaligen KP-Chef Dubcek als „Prager Frühling“ bekanntgewordene tschechoslowakische Reformbewegung zerschlagen worden.
Die Demonstranten zogen durch die Innenstadt, schwenkten Landesfahnen, riefen „Dubcek, Dubcek!“, „Es lebe die Freiheit!“, „Wir wollen Freiheit!“, „Wir wollen die Wahrheit!“, „Russen heim!“ und „Besatzer heim!“ Es war der größte Protest anläßlich eines Jahrestags der Invasion.
Die Polizei schaute während der ersten halben Stunde zu, schritt aber ein, als der Demonstrationszug die Universität erreicht hatte. Vorangegangen war eine improvisierte Kundgebung auf dem Wenzelsplatz, bei der Hunderte von Teilnehmern eine Bittschrift unterzeichneten, in der der Abzug der sowjetischen Stationierungstruppen, die Ansetzung freier Wahlen, die Abschaffung der Zensur, Demokratie und Menschenrechte gefordert wurden. Eineinhalb Stunden nach Beginn der Kundgebung begann die Menge unruhig zu werden. Der Ruf nach Freiheit wurde laut. Die Versammelten schlossen sich denen an, die vorgeschlagen hatten, man solle zum Altstädter Ring marschieren.
Die Kundgebung war aus einer Versammlung einer Gruppe entstanden, die sich Unabhängige Friedensinitiative nennt. Diese Gruppe hatte stundenlang diskutiert und dabei die zehn Punkte umfassende Petition entworfen. Diese wurde dann öffentlich verlesen und von den Zuhörern mit Beifall aufgenommen. Der Friedensaktivist Tomas Dvorak kündigte an, man werde sie der Staats- und Parteiführung sowie den Medien übermitteln.
Vorher hatte ein größeres Aufgebot an uniformierter Polizei und Geheimpolizisten einen anderen Versuch zu einer inoffiziellen Gedenkveranstaltung zum 20.Jahrestag verhindert. Etwa 200 Menschen waren auf dem Wenzelsplatz zwei Vertretern der Bürgerrechtsbewegung Charta 77 gefolgt, die am Denkmal von König Wenzel Blumen niederlegen wollten. Die beiden, Eva Kanturkova und Tomas Hradilek, sowie andere Personen mit Blumen wurden von der Polizei zurückgedrängt. Insgesamt wurden vier Festnahmen bekannt.
Zwei von drei am Samstag festgenommenen Sprechern der Charta 77 kamen noch am selben Tag wieder frei. Ein französischer Reporter berichtete, Bohumir Janat habe ihm am Sonntag morgen gesagt, er und Milos Hajek seien am Abend entlassen worden. Über das Schicksal des dritten, Stanislav Devaty, war nichts bekannt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen