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100 Tage OppositionDie Durchhänger

Rot-Schwarz kann sich entspannen: Grünen, Linkspartei und Piraten fehlt eine gemeinsame Linie. Auch weil sie sich gegenseitig misstrauen.

Rot-Schwarz klare Grenzen ziehen sieht anders aus. Bild: k74/photocase

Zum Beispiel der Mindestlohn. Am Freitag ist die Abstimmung im Bundesrat, und Berlin wird sich enthalten, denn die Koalition aus SPD und CDU ist sich uneins. Eigentlich eine Steilvorlage für die Opposition im Abgeordnetenhaus. Doch eine gemeinsame Initiative, um den Konflikt der Regierung auszunutzen, fehlt.

"Da müssen wir schneller kommunizieren, das hat sich noch nicht eingespielt", sagt Uwe Doering, Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion, durchaus selbstkritisch. Das sei schließlich die beste Möglichkeit, die die Opposition habe: nach Differenzen zwischen den Koalitionsparteien suchen. Und genau da reingehen.

Schultrojaner, Wahlalter ab 16, Wasserverträge - ein paar Themen, bei denen die Opposition gemeinsam vorging, finden sich schon. Bisher gebe es vor allem eine vereinzelte, themenbezogene Zusammenarbeit, sagt Stefan Gelbhaar, stellvertretender Fraktionschef der Grünen. "Ob daraus mehr wird, muss man sehen." Auch Andreas Baum, Fraktionschef der Piraten, spricht von "punktueller Zusammenarbeit". Schließlich gebe es in der Opposition anders als in der Regierung keine gemeinsame Linie und keinen Druck zur Zusammenarbeit.

opposi.taz

Am 18. September 2011 wurde in Berlin ein neues Parlament gewählt, am 27. Oktober fand die konstituierende Sitzung statt. Seitdem sind gut 100 Tage vergangen – höchste Zeit, eine Bilanz derer zu ziehen, die das Rote Rathaus nur von außen betrachten. Setzt die Opposition Rot- Schwarz unter Druck? Wer wird Meinungsführer? Gibt es ein Oppositionsbündnis? Die Bilanz fällt nicht euphorisch aus. Svenja Bergt meint, es fehle bislang an gemeinsamen Initiativen. Stefan Alberti, Svenja Bergt und Uwe Rada nehmen Grüne, Piraten und Linke unter die Lupe – und beobachten Parteien, die sich erst noch finden müssen. Parteienforscher Niedermayer schließlich sagt im Interview: „Mit dieser Opposition hat Rot-Schwarz nicht viel zu befürchten.“ Es gibt aber nicht nur eine parlamentarische Opposition, sondern auch die Straße. Und die hat ohnehin schon im Wahlkampf die Themen gesetzt, meint Konrad Litschko. Das findet auch Uwe Rada: Allzu gemütlich sollten es sich SPD und CDU nicht machen.

Es wurde viel gemutmaßt, nachdem sich abzeichnete, dass es eine rot-schwarze Koalition geben würde. Ob eine so klare linke Opposition die Regierung nicht vor sich her treiben werde, bis es zu vorzeitigen Neuwahlen komme? Oder ob - im Gegenteil - die drei linken Parteien sich gegenseitig Konkurrenz machen und es das Hauen und Stechen nicht zwischen Opposition und Regierung, sondern innerhalb der Opposition geben könnte?

Bislang ist nichts davon zu sehen. Und das hat einen einfachen Grund: Die drei Oppositionsparteien stecken - jede für sich und mehr oder minder fortgeschritten - in einem Prozess der Selbstfindung. Bei den Piraten ist das naheliegend, schließlich sind sie neu, waren noch nie eine Fraktion und müssen sich mit den Regeln des parlamentarischen Betriebs erst vertraut machen. Da gibt es schon mal böses Blut, wenn sich mehrere Fraktionen absprechen, um etwa Gratis-Eintrittskarten abzulehnen - und dann die Piraten vorpreschen.

Den Grünen sind die Regeln des Parlamentsbetriebs zwar vertraut. Dafür haben ihnen das verpatzte Wahlergebnis, die verpasste Regierungsbeteiligung, die harte Landung auf der Oppositionsbank und die daraus resultierenden personellen Differenzen einige Hausaufgaben mitgegeben. Und schließlich die Linke: Gerade noch in der Regierung, auf einmal in der Opposition: Sie muss sich erst an ihre neue Rolle gewöhnen. Bei Anträgen welcher Partei hebt man noch mal die Hände?

Noch beäugen sich alle gegenseitig mit einem gewissen Misstrauen. Die Konfliktlinien sind komplex, jeder hat so seine Vorbehalte gegenüber jedem: Die Grünen müssen sich mit der Linkspartei anfreunden, der ehemaligen Regierungspartei. In Regierung und Opposition stimmten sie manchmal aus grundsätzlichen Erwägungen verschieden ab, obwohl die Positionen eigentlich dieselben waren. Genau das trägt auch die Linkspartei den Grünen noch etwas nach. Beiden gemeinsam ist, dass ihnen die Piraten etwas suspekt sind. Zwar alles nette Menschen, aber die politische Funktionsfähigkeit und die offenen Positionen … Umgekehrt sind die Piraten erst dabei, die anderen kennen zu lernen. "Der Austausch läuft im Moment ganz gut, aber wenn es um die konkrete thematische Arbeit geht, gibt es noch Luft nach oben", sagt Baum.

"Eigenständigkeit ist wichtig in der Opposition", sagt der Grüne Gelbhaar. Mit dieser Meinung ist er nicht allein. Auch wenn es nicht darum geht, ob aus einem Antrag tatsächlich ein Gesetz wird, befürchtet jede Partei, ihr Profil zu verlieren. Das ging bei der Diskussion über eine Absenkung des Wahlalters sogar schon den Piraten so. Sie wollen die Altersbegrenzung ganz kippen, die gemeinsame Initiative dagegen sah ein Wahlrecht ab 16 vor. Dagegen sein, weil man mehr will? Oder mittragen, weil es besser wäre als nichts?

Andererseits: Beinahe hätte es für die Opposition noch viel aussichtsloser ausgesehen - mit einer rot-grünen Koalition. Dann hätten in der Opposition gesessen: CDU, Linkspartei und Piraten. Da wäre es nicht nur zur Selbstfindung und danach vielleicht zu einem vorsichtigen Zusammenfinden gekommen. Sondern zum handfesten Kulturschock.

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4 Kommentare

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  • T
    tageslicht

    @Heike

     

    http://de.wikipedia.org/wiki/Sozialliberal

     

    Abgesehen davon finde ich die Piraten aber auch nicht linksliberal, zumindest nicht wirklich und nicht mit dem ehemaligen CSU-Schnösel als Vorsitzenden.

  • L
    lara

    @ Heike

     

    1.Wo die Piratenpartei steht, das ist noch nicht ausgemacht, es kommt darauf an, welche Kräfte sich künftig in der Partei durchsetzen. (wenn sich der momentane Piratenpartei-Bundesvorsitzende Herr Nerz durchsetzt, dann geht sie wohl eher in die neoliberale Richtung). Ob es schon links ist, ein bedingungsloses Grundeinkommen zu fordern, dessen konkrete Höhe und Ausgstaltung noch nicht mal fest steht, ist mehr als fraglich.

     

    2.Sicher ist aber:

    Die Grünen sind keine linke Partei, sondern letztlich eine neoliberale Partei. Das sieht man an ihrer ArbeitnehmerInnenentrechtungspolitik, die die Grünen von 1998-2005 gemeinsam mit der SPD auf Bundesebene gemacht haben. Mit der Einführung von Leiharbeit, Minijobs, Hartz IV, der betrügerischen Riester-Rente, den Kriegseinsätzen und der ebenfalls fatalen rot-grünen Deregulierung der Finanzmärkte.

     

    (Es wäre sehr schön, wenn die taz das endlich mal zur Kenntnis nehmen würde, das die Grünen keine linke Partei sind ! Das grenzt ja an Gehirnwäsche diese Partei dauernd als links zu verklären.)

     

    3. Wenn man die Politik der Partei PDS/DIE LINKE in den vergangenen 10 Jahren ihrer Regierungsbeteiligung auf Berliner Landesebene ansieht, muss man feststellen, das auch diese Partei in ihrer faktischen Politik nicht links ist. Die Schaffung des sinnvollen ÖBS = öffentlich geförderten Beschäftigungssektors war vielleicht das einzige linke Feigenblatt in ihrer Regierungszeit.)

     

    Fazit: Es gibt überhaupt keine linke Opposition im Berliner Abgeodnetenhaus, Dei Behauptung es gäbe eine linke Opposition ist angesichts der tatsächlichen Politik dieser drei Parteien reine Verdummung durch die Medien.

  • A
    adler

    Ein gemeinsames Projekt haben Grüne, Linke und Piratenpartei doch:

    Alle wollen sich selbst die Diäten erhöhen - zusammen mit SPD und CDU!

     

    TOLL!

     

    Ansonsten verbringen die Parteien offenbar den Hauptteil ihrer Zeit damit, parteiintern ihre Machtkämpfe auszufechten. - Sie werden ja mit Steuergeldern bezahlt, egal was sie machen. Leistung müssen sie nicht erbringen - die nächsten 5 Jahre können die Wählerinnen und Wähler niemanden abwählen.

     

    Dass die Opposition den berliner Senat noch nicht mal beim Mindestlohn geschlossen angreift, ist ein Trauerspiel und zeigt wie wenig Bezug die Abgeordneten zu den gravierenden Problemen der Normalbevölkerung haben.

     

    Wobei hier nochmal grundsätzlich festzustellen ist, dass ein lächerlich geringer Mindestlohn von 8,50 Euro - wie ihn die SPD auf Bundesebene fordert - selbst nach 49 Arbeitsjahren (wer bitte arbeitet heute 49 Jahre?) nur zu einer monatlichen Rente von ca. 670 Euro führt, von der man nicht leben kann.

  • H
    Heike

    Die Piratenpartei ist keine linke Partei, sondern eine sozialliberale!