100 Jahre Marineschule Mürwik: Gedenkraum für den Großadmiral
Die Flensburger Institution wird dieser Tage 100: ein Gang durchs Museum, vorbei an Uniformen und an Seekarten mit eingezeichneten Schlachtverläufen. Die für die Offiziersanwärter bestimmte Sammlung der Schule zeigt, wie schwer sich die Marine mit ihrer Vergangenheit tut.
Eben lag der Orden noch unter Glas - und plötzlich war er weg. Rausgenommen aus der Vitrine, obwohl doch Joachim Czech fast direkt daneben stand. "Da können Sie gar nicht so schnell gucken", sagt er. Der Archivassistent zieht ein bedauerndes Gesicht, hebt die Schulter hoch und lässt sie wieder fallen.
Wir stehen im künstlichen Licht, im Erdgeschoss der ehemaligen Kommandeursvilla der Marineschule Mürwik in Flensburg. Draußen gruppieren sich backsteinerne Gebäude in mattem Rot, eingefasst von einer Mauer, hier und da garniert mit Giebelchen und Türmchen, die dem Ensemble etwas Verspieltes und Weltfernes geben. Noch dazu wabert von unten grad der Nebel weiß schlierig aus der Flensburger Förde den Hügel hoch, verfängt sich in den Bäumen: Dieser Tage wird die Marineschule Mürwik hundert Jahre alt.
"Wir sind hier eine wehrgeschichtliche Sammlung, kein Museum, auch wenn wir am Dienstagnachmittag für die Öffentlichkeit öffnen, das ist wichtig", sagt Czech. Eine Sammlung also, gedacht dafür, dass gelegentlich die Offiziersanwärter und -anwärterinnen sich umschauen können. Es mache einen Unterschied, ob man im Unterricht von einer geschichtlichen Epoche wie dem Kaiserreich höre - "oder ob man mal in unserer Sammlung steht und ein Objekt aus genau dieser Zeit in die Hand nehmen kann", sagt Czech. Wobei das mit dem In-die-Hand-nehmen bitte nicht wörtlich genommen werden soll, der Orden kam nie zurück.
Die eine Marine, auf die sich der Marineangehörige einfach beziehen könnte, so wie das in Frankreich möglich ist, gebe es in Deutschland nicht, sagt Czech. "Wir versuchen hier die Geschichte der diversen deutschen Marinen zu erzählen", sagt er, "denken Sie nur daran, dass nebeneinander die Bundesmarine und die Volksmarine der DDR existierten." Und er geht kurz voran, bleibt vor einem Bild stehen, dass die Einberufung des ersten Parlaments auf deutschem Boden zeigt, 1848 in der Frankfurter Paulskirche: Der Aufbau einer Marine sei übrigens einer der ersten Beschlüsse des damaligen Parlaments gewesen, auch wenn man natürlich im Rückblick nicht von einem deutschen Parlament sprechen könne, so wie Deutschland in Fürstentümer und Grafschaften aufgeteilt war.
Und nun geht es los, Raum für Raum, Stockwerk für Stockwerk: Schiffsmodelle und Fahnen, Uniformen und Seekarten mit eingezeichneten Schlachtverläufen reihen sich aneinander. Auch eine Kopie des Kriegsgemäldes "Der letzte Mann" darf nicht fehlen - das bekannte Durchhalte-Bild von 1914: Einer noch hält trutzig die Reichskriegsflagge hoch. Zerbrochene Degen symbolisieren den nächsten verlorenen Krieg. Im Treppenhaus hängen dazu Fotos von Kriegsschiffen und U-Booten, versenkt, zerschossen, mit letzter Kraft davongekommen, gleich einer Ahnengalerie.
Zugleich ist die Marineschule selbst ein Objekt, das einiges über die Geschichte der Marine erzählen kann. Sie residierte ursprünglich in Kiel, doch mehr Platz wurde benötigt, zudem entwickelte sich Kiel in eine etwas andere Richtung: Immer mehr Arbeiter bevölkerten die Werften und zugleich die Häuser, und sie waren dem Militär und damit auch der Marine und ihren schnieken Offizieren nicht immer wohl gesonnen. Und so zog man besser um nach Flensburg, in den damals abgeschiedenen Ortsteil Mürwik, in den lange nicht einmal eine feste Straße führte, alles mit der Fähre angeliefert werden musste. Ließ sich auf der Höhe des Fördeufers eine wuchtige Anlage errichten, die im Volksmund bald "das rote Schloss am Meer" genannt wurde. Angelehnt an die Marienburg in Westpreußen, nicht nur eine bauliche Reminiszenz an den Deutschen Ritterorden, der einst im Mittelalter bis ins Baltikum herrschte.
Dann kommt sie auch schon, eine Art Karl-Dönitz-Gedenkecke: flankiert von zwei wahrlich schaurigen, weil nicht nur schlecht gemalten Portraits, die den Großadmiral einmal in nachdenklicher, einmal in verschlossener Pose zeigen sollen. Denn mit Dönitz kam einst die Weltgeschichte nach Mürwik. Hierhin zieht sich Hitlers Nachfolger am 3.Mai 1945 zurück, Dönitz installiert eine letzte Reichsregierung, mit täglichen Kabinettssitzungen; bietet den Alliierten an, jetzt gemeinsam gegen die Sowjetunion vorzugehen. Lässt noch nach der Kapitulation vor der Schule den Maschinengefreiten Hans Süß erschießen - der habe einen Befehl "gehässig" kommentiert. Bis Dönitz dann doch am 23. Mai verhaftet und in Nürnberg vor Gericht gestellt wird.
Über Dönitz Rolle enthält man sich eines eindeutigen Kommentars in Mürwik. Stattdessen ist da zu lesen: "Karl Dönitz war eine herausragende militärische Führerpersönlichkeit mit starker Ausstrahlungskraft. Seine nationalsozialistische Überzeugung und die persönliche Nähe zu Hitler haben seine Person zum Anlass streitiger Auseinandersetzungen werden lassen."
Kein Wort findet sich, dass Dönitz sich nie entschieden vom Nationalsozialismus distanzierte und dass 1980 die Bundeswehr und damit auch die Marine ihren Angehörigen strikt untersagte, in Uniform an dessen Beerdigung im finsteren Sachsenwald teilzunehmen. Zu der schickte Rudolf Heß von Spandau aus einen Kranz, und der ehemalige Vize-Admiral der Bundesmarine Edward Wegener bedankte sich dafür, dass Dönitz seine Soldaten stets makellos im Krieg geführt habe. Aber vielleicht wird das ja im Rahmen des Unterrichts diskutiert, als Beispiel um zu zeigen, wie schwer es der Marine bis heute offenbar fällt, einigermaßen klar ihre Rolle im nationalsozialistischen Machtsystem zu betrachten.
"Ich habe 24 Stunden für meinen Unterricht zur Verfügung", erklärt Andreas Mückusch, Lehrstabsoffizier für Wehrgeschichte: "Allein die Weimarer Republik und welche Rolle das Militär und natürlich auch die Marine dabei spielten, dass diese Republik nie eine Chance hatte, könnte ich damit gut füllen." Und ja - es seien zu viele Nachbildungen von Schlachten ausgestellt; es seien zu viele Details aus heute fernen Epochen berücksichtigt, gespickt mit Feinheiten, die nur für Marineexperten interessant seien. Auch fehle weitgehend ein Blick auf die Sozialgeschichte der Marine; auf die Beweggründe, sich für ein Leben in Waffen an Bord zu entscheiden, je nach Epoche und den politischen Bedingungen. Und Mückusch weist einmal in die Höhe und einmal in die Tiefe: Es wird wohl auf absehbare Zeit kein Geld dafür zur Verfügung stehen können, die Sammlung zu aktualisieren, ob sie nun öffentlich angelegt ist oder nicht. Man müsse ja überhaupt abwarten, welche Veränderungen auch der Marine bevorstünden.
Draußen wird es langsam duster, es wird kalt, der Wachhabende mag verständlicherweise nicht heraustreten. Und so bleibt er in seinem Häuschen, winkt nur nett herüber. Fast wie ein Zivilist.
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