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100. Geburtstag von Erich FriedDer unversöhnliche Philanthrop

Er war ein unbequemer Schriftsteller zwischen allen Stühlen. Dennoch ist lohnenswert, das Werk von Erich Fried zum 100. Geburtstag neu zu entdecken.

Lyriker der Studentenrevolte: Erich Fried Foto: Imago

Beide nannte man sie Störenfriede. Als Erich Fried 1988 an ­einem Krebsleiden starb, schrieb Marcel Reich-Ranicki den Nachruf in der FAZ. Der Holocaust-Überlebende zählte den Verstorbenen, dessen Werk durch Wortspiele, Figuren der Ironie und eine plakative politische Didaktik gekennzeichnet ist, zu den „bedeutendsten deutschsprachigen Lyrikern nach 1945“.

Der Nachruf erschien unter dem herausfordernden Titel „Ein deutscher Dichter“. Hatte doch der 17-jährige jüdische Flüchtling Fried, 1938 in höchster Not den Nationalsozialisten im „angeschlossenen“ Österreich entkommen, einem verblüfften Einwanderungskomitee in London auf Anfrage eben­diesen Berufswunsch mitgeteilt – und war zugleich aus Gründen niemals deutscher Staatsbürger geworden. Reich-Ranicki stellte diese Irritation mit Bedacht ins Zentrum seines ­Artikels.

Er wies zudem darauf hin, dass Fried noch während des Zweiten Weltkriegs einen in seiner Muttersprache verfassten Gedichtband mit dem provokanten Titel „Deutschland“ (1944) publizierte, gefolgt von „Österreich“ (1945). Man muss dieses demonstrative Festhalten des Exilanten an seiner Herkunft vor dem Hintergrund der Traumatisierung sehen. Im Mai 1938 hatte er in Wien mit­erleben müssen, wie sein Vater am Abend der Rückkehr aus dem Gestapo-Folterkeller an den Folgen von schwersten Misshandlungen gestorben war. Nazischergen hatten Hugo Fried die Magenwand durchgetreten.

Überlebender der Shoah

Reich-Ranicki beschrieb das daraus resultierende Dilemma Erich Frieds mit nüchterner Empathie. Wie sein Nachrufer war auch der Gestorbene, dessen Großmutter in Auschwitz ermordet wurde, Überlebender der Shoah. Trotz aller Erfolge blieb auch Fried bis zuletzt Außenseiter. Der deutsche Bestseller-Lyriker kehrte niemals aus dem Londoner Exil nach Deutschland zurück. Stattdessen tingelte er seit seinem 1966 publizierten ersten politischen Gedichtband „und Vietnam und“ regelmäßig wie „jene Wanderrabbis“ durch die Bonner Republik, die „einst predigend und agitierend durch Palästina zogen“.

Schon in Reich-Ranickis augenzwinkernder Beschreibung des atheistischen Lyrikers als nomadisierender Geistlicher klingt Skepsis gegenüber Frieds „Ankommen“ in Westdeutschland an. Umso mehr in seiner folgenden Formulierung: „Der ein Leben lang unter seiner Einsamkeit und Isolierung, seiner Nichtzugehörigkeit zu leiden hatte, glaubte, endlich eine Heimat gefunden zu haben. Doch nicht die Bundesrepublik hielt er für seine neue Heimat, sondern die westdeutsche Linke.“

Fried erlebte, wie sein Vater an den Folgen von Misshandlung gestorben ist

Täuschte sich Fried in diesem Zuhause? Nachdem er seit den 1950er Jahren als Sprecher antikommunistischer Sendungen beim britischen Sender BBC aufgetreten war, hatte er sich 1968 zur politischen Kehrtwende entschieden. Er wurde zum engagierten Lyriker der Studentenrevolte. Fried avancierte zu einem dichtenden Darling der Linken. Durch sein berühmtes Foto mit First-Nations-Federschmuck wurde er zur Ikone für alternative WGs. Frieds Bücher verkauften sich 300.000-fach, davon allein der Bestseller „Liebesgedichte“ (1979) 150.000 Mal. Als liebenswerter Lyriker erfuhr der Autor eine Popstar-ähnliche Verehrung, die sich heute so niemand mehr vorstellen kann.

Pazifismus und RAF-Sympathie

Erich Frieds zeitgenössischer Vorbildstatus bleibt ein Phänomen. Seine Protestgedichte, die trotz der Kritik des pazifistischen Autors an der Gewalt des Linksterrorismus der 1970er Jahre gerne als RAF-Sympathie beargwöhnt wurden, waren konservativen Politikern ein Dorn im Auge. So wollte der Bremer CDU-Vorsitzende Bernd Neumann Frieds Gedicht „Die Anfrage“, so wörtlich, „lieber verbrannt sehen“, weil es die Länge der Gefängnisstrafen für Ulrike Meinhof und Horst Mahler mit mangelnden vergleichbaren Verurteilungen von Nazitätern konfrontierte: „Wieviel tausend Juden / muss ein Nazi ermordet haben / um heute verurteilt zu werden / zu so langer Haft?“

Erich Fried Werke

Thomas Wagner: „Der Dichter und der Neonazi: Erich Fried und Michael Kühnen.“ 176 Seiten, Klett-Cotta Verlag, Stuttgart, 2021.

Erichs Frieds Erinnerungen „Mitunter sogar Lachen“ sowie ein Band mit Gesprächen und Interviews sind aus Anlass des 100. Geburtstages im Wagenbach-Verlag Berlin neu erschienen.

Fried hatte in seinem letzten Lebensjahrzehnt späte Würdigungen erfahren und unter anderem den Bremer Literaturpreis (1983) und den Büchner-Preis (1987) erhalten. Der Gassenhauer-Erfolg von Frieds Gedichten rief nun jedoch auch linke Polemiker auf den Plan. Der Arno-Schmidt-Forscher Jörg Drews nannte Fried in der Süddeutschen einen „Merkverselieferanten“, der „jede Art von Qualitätskontrolle“ verloren habe und „schwatzhaftes Gestammel als Liebeslyrik“ veröffentliche. Henryk M. Broder, der diese Invektiven 1987 genüsslich in einem vernichtenden Fried-Dossier im Spiegel zitierte, verhöhnte den Dichter als „Mutter Teresa für den kritischen Studienrat mit SDS-Erfahrung“.

Broder beschuldigte Fried, Nutznießer eines „Juden-Bonus“ zu sein, weil er dem Nachkriegspublikum unter der Flagge christlicher Feindesliebe genau das liefere, was es sich zur Erleichterung seines Gewissens von einem wie ihm wünschte. Fried ermögliche es den Deutschen, dass man „einem Juden ganz unbefangen gegenübertreten kann, nicht, wie im deutsch-jüdischen Verhältnis üblich, mit Schuldgefühlen, sondern von Mensch zu Mensch, geeint durch die gemeinsame Angst vor dem dritten Weltkrieg, Waldsterben und radioaktiven Radieschen“.

Unmögliche Freundschaft

Broder traf damit einen wunden Punkt, den auch eine aktuelle Publikation des Kultursoziologen Thomas Wagner behandelt. Der schmale Band analysiert die ungewöhnliche Freundschaft Frieds mit dem Neonazi Michael Kühnen (1955–1991). Wie ein treusorgender Vater glaubte der Ältere von beiden an die Kraft der Liebe und die Möglichkeit, irregeleitete Menschen durch Verständnis und Zuwendung auf den Pfad der Tugend zurückzuführen.

Fried war ein Philanthrop. Davon zeugt bereits sein einziger Roman „Ein Soldat und ein Mädchen“ (1960). Er handelt von einem amerikanisch-jüdischen Soldaten, der mit einer grausamen KZ-Aufseherin schläft, weil sie sich das in ihrer letzten Nacht vor ihrer Hinrichtung wünscht. Der Text spielt anhand dieser Figur, die der historischen „Hyäne von Auschwitz“, Irma Grese, nachempfunden ist, durch, inwiefern Liebe selbst zu einer solchen Täterin denkbar sein könnte.

Wagner folgert, dass der zentrale Gedanke des Romans an „Erkenntnisse der Psychoanalyse und die Liebesbotschaft des Neuen Testaments“ anschloss. Demnach sei, so die Bemerkung in Frieds Nachwort zur Erstauflage von „Ein Soldat und ein Mädchen“, ein aufrichtiges Bekenntnis zur eigenen Schuld erst dann möglich, wenn „Menschen von der anderen Seite bereit sind zu verstehen und zu lieben“. Wagners Buch macht deutlich, wie diese Utopie mit Frieds Traumatisierung zusammenhing, wie viel Kraft es den Autor kostete, in seinem Verhältnis zu dem überzeugten Nazi Kühnen daran festzuhalten – und wie vergeblich seine Bemühungen letztlich bleiben mussten.

Untypische Empathie

Auf der anderen Seite konnte Fried sehr unversöhnlich sein, wenn er Ungerechtigkeiten anprangern wollte. Seine für westdeutsche Linke seit den 1970er Jahren nicht eben untypische Empathie für die Palästinenser ging sogar so weit, dem Staat Israel seine Existenzberechtigung abzusprechen und das demokratische Land mit dem „Dritten Reich“ gleichzusetzen. In einem nach seinem Tod in der taz veröffentlichten Interview erklärte Fried, er glaube, dass „ein Staat Israel, der Bürger verschiedener Rechtsstufen postuliert, ebensowenig Daseinberechtigung hat wie das Dritte Reich“.

In den Gedichten „Höre, Israel!“ und „Ein Jude an die zionistischen Kämpfer“ betrieb Fried plumpe Täter-Opfer-Umkehr und dämonisierte die Israelis kurzerhand als „neue Gestapo“, „neue Wehrmacht“, „neue SA und SS“ und als „Hakenkreuzlehrlinge“.

Auch diese „Israelkritik“ macht Frieds Fall frappierend aktuell – wenn auch auf problematische Weise. Dennoch machte sich dieser Dichter um die deutsche Erinnerungskultur verdient. Er schrieb gegen die Verleugnung der Verbrechen des Nationalsozialismus an. Es wäre falsch, Bizarrerien und Irrwege wie Frieds Freundschaft zu Kühnen oder seinen rabiaten Antizionismus zum Anlass zu nehmen, sein Werk in Bausch und Bogen zu verdammen. Frieds 100. Geburtstag sollte Anlass sein, sein Werk kritisch neu zu lesen. So urteilte auch schon Reich-Ranicki: „Der Name Erich Fried wird nicht in Vergessenheit geraten, darf nicht in Vergessenheit geraten.“

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7 Kommentare

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  • Wenn der heutige Faschistenversteher und AFD Unterstützer Hendrik M. Broder Erich Fried 1987 vernichtend kritisieren wollte, dann muss an Erich Fried etwas Aussergewöhnliches gewesen sein. Er ergriff Partei für die Gedemüdigten und Verfolgten gleich welcher Coleur und wandte sich gegen jede mit politischer, medialer oder finanzieller Macht gesteuerte Hetze gegen Minderheiten. Er war sicher kein Dichter der Mitte sondern er war mit seiner eindrucksvollen Stimme so etwas wie ein früher Rapper, der Mißstände in Versform anprangerte. Wenn man diesen kleinen und lauten Mann auf dem Podium oder auf der Bühne hörte und sah, spürte jede/r, er meint es ernst, er ist ehrlich. Er hatte darum auch über die undogmatische und antiautoritäre Linke hinaus Bewunderer und Fans. Das Wort des Psychologen aus Auschwitz Viktor A. Frankl gilt hier sinnbildlich: In Wirklichkeit gibt es aber nur zwei Menschenrassen, nämlich die ‚Rasse‘ der anständigen Menschen und die ‚Rasse‘ der unanständigen Menschen. Erich Fried war ein herausragender anständiger Mensch.

    • @stephan buchkremer:

      Danke. Diese Parallelität zu Viktor Frankl kam mir auch - anschließe mich.

  • Die ganze Welt soll bleiben (Dokumentarfilm, DDR 1988, Ausschnitt)



    Erich Fried – Ein Porträt



    kuenste-im-exil.de...ied.html?catalog=1

  • Zitat: „[...] Reich-Ranicki: ‚Der Name Erich Fried wird nicht in Vergessenheit geraten, darf nicht in Vergessenheit geraten.‘“

    Ja da schau her! Schade, dass an dieser Stelle nicht wenigstens eine Warum-Frage kommt. Eine progressive Zeitung, finde ich, darf sich nicht im Zitat erschöpfen. Sie sollte fragen, was sich der Zitierte wohl gedacht haben mag bei seinem Ausspruch. Sie ist sonst keine progressive Zeitung, sondern eine konservativ-regressive. Dass sich MRR mit einem Zitat zufrieden gegeben hätte, ist für mich im Übrigen zwar vorstellbar, aber nicht wirklich tröstlich.

    Wenn Erich Fried tatsächlich „ein unbequemer Schriftsteller zwischen allen Stühlen“ war (was ich nicht wirklich beurteilen kann), könnte es jedenfalls genau deswegen „lohnenswert“ sein, sein „Werk“ anlässlich seines 100. Geburtstages neu zu entdecken, und nicht etwa „dennoch“. Und nein, das ist keine Wortklauberei. Bequeme tote Dichter sind schließlich eher unergiebig für die positive Entwicklung einer konfliktbeladenen Gesellschaft wie unserer. Sie lösen keine Debatten aus, sondern höchstens ein wohliges Gefühl der Bestätigung - dem nicht selten ein herzhaftes Gähnen folgt.

    Womit ich nicht gesagt haben will, dass alles, was grade als „Debatte“ durchgeht, auch tatsächlich einer Konfliktlösung dienen kann. Manch ein Meinungs-Austausch soll auch einfach nur einen Austausch der Meinung bewirken - beim Anderen, versteht sich. Und ist der nicht willig, wird das als Erlaubnis gewertet, (verbale) Gewalt anzuwenden.

    • @mowgli:

      anschließe mich Ihnen & Ihrem Vorredner Khaled Chaabouté vollinhaltlich. Es ist dieses lausige Wischi-Waschi di tazis - was mehr & mehr einreißt - was längst mehr als peinliche Formen annimmt!

      kurz - Nix auffe Pfanne.



      Aber bedeutungsvoll auf dicke Hüse - Hüse? - öh Hose - rumseibeln.



      Von diesen selbstkastriert ahnungslosen “Edelfedern untere Kajüte“ hat‘s zunehmend mehr. Schwatz-grii grüßt!;((



      Mit Georg Sesslen - pappig-langweilig •

  • Ja, wie auch schon dieser Gedenktext, der eigentlich zum Verriss tendiert, aufzeigt, werden TAZ und Fried wohl keine Freunde mehr.

    Damit steht die TAZ natürlich in einer Linie mit SZ, ZEIT, Spiegel, FAZ, Welt usw.

    Hauptunterschied: Sie alle haben vergessen, verdrängt, nie wissen wollen, wo Nicaragua liegt, nur dass die TAZ früher Sandino Dröhnung verkauft hat. Zu der Zeit, als Fried das Nicaragua-Gedicht schrieb, war ich dort mit ein paar anderen Deutschen zum Kaffeepflücken und habe bis heute noch gute Kontakte nach Nicaragua. So viel hat sich gar nicht geändert; Reagan und seine Contras wurden aktuell durch Trumps und jetzt Bidens Milizen ausgetauscht, das war's.

    Nicaragua liegt natürlich in Deutschland!

  • Zum happy Birdsday mal so:

    „Zu sagen »Hier herrscht Freiheit«



    ist immer



    ein Irrtum



    oder auch



    eine Lüge:



    Freiheit herrscht nicht“

    Helzrichen Gwücklunsch - Erich Fried - zum 100.

    unterm—— servíce — als Schlagobers —



    Quelle: beruhmte-zitate.de...eit-ist-immer-ein/



    (Irgendwann zu Friedensbewegungszeiten -



    Irgendwo in Dortmund - mit seiner braunen Ledertasche & klar - ner Perle am Start:



    Eindrucksvoll - Erich Fried halt!;))