10. Jahrestag der Ermordung Bhuttos: Pakistan hat an Zivilität verloren
Seit dem Mord an Benazir Bhutto sind die Militärs und die Islamisten stärker geworden. Dagegen zeigt sich die Regierung geschwächt.
Als vor zehn Jahren die Herrschaft von General Pervez Musharraf zu Ende ging, kehrte Expremierministerin Bhutto aus dem Exil zurück. Die einst erste Regierungschefin eines islamischen Landes galt für die Wahl 2008 als Favoritin. Schon bei ihrer Rückkehr entging sie in Karatschi nur knapp einem Anschlag mit 149 Toten. Doch bei einem weiteren Attentat wurde sie am 27. Dezember 2007 in Rawalpindi getötet. Die Regierung machte Pakistans damaligen Taliban-Führer Baitullah Mehsud verantwortlich, der in Südwasiristan an der Grenze zu Afghanistan kämpfte. Später erklärte ein Gericht auch Musharraf für verdächtig. Der Mord wurde nie aufgeklärt.
Bhuttos unbeliebter Ehemann Asif Ali Zardari gewann stellvertretend die Präsidentschaftswahl. Seine größte Leistung war, seine Amtszeit regulär zu beenden. Doch unter seiner bis 2013 dauernden Präsidentschaft gewannen die Taliban an Stärke. „Eine Präsidentschaft Bhuttos hätte keinen Unterschied gemacht“, glaubt der Atomphysiker Pervez Hoodbhoy. Der Professor ist Aushängeschild der liberalen Bildungselite. „Die Taliban sind unter Bhuttos erster Regierung in den 1990er-Jahren erst groß geworden. Sie hatte nur ihre Macht im Blick.“
Unter ihrem Witwer wich die Regierung vor den Islamisten zurück. Das zeigte sich, als der Bhutto-Vertraute und Provinzgouverneur Salman Taseer im Januar 2011 erschossen wurde. Er hatte sich für eine Christin eingesetzt, der Blasphemie vorgeworfen wurde. Nach dem Mord, den Islamisten feierten, traute sich kein Kabinettsmitglied auf Taseers Beerdigung.
Angriff auf Schule brachte die Wendung
Die Wende gegenüber den Terrorgruppen erfolgte erst nach einem Taliban-Angriff auf eine von der Armee betriebene Schule in Peschawar im Dezember 2014. Damals starben 141 Menschen, darunter 132 Schüler. Auf Terrorismus steht seitdem die Todesstrafe. Das Militär startete mehrere Offensiven, darunter in der Taliban-Hochburg Südwasiristan. Heute präsentiert die Armee in der dortigen Distrikthaupstadt Wana stolz ihre Erfolge. Beim Briefing in einem bunkerartigen Raum des Quartiers der 9. Division erklärt der kommandierende General, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte: „Wir sind jetzt in der Phase der Auslöschung des Gegners.“
Die Taliban und die Reste des Terrornetzwerkes al-Qaida wurden über die Grenze nach Afghanistan getrieben, aber es flohen auch eine halbe Million Zivilisten. Die seien inzwischen zurückgekehrt, sagt der General. Das Militär habe dafür gesorgt, dass alle Orte heute wieder einen Markt und eine Moschee hätten. Die Zahl der Schulen in der Region, in der nur jeder dritte Bewohner lesen und schreiben könne, sei verdoppelt worden.
Rahimullah Yusufzai
„Die Sicherheitslage ist viel besser“, erklärt der General. 139 Forts – mit Wachtürmen ausgestattete Betonfestungen auf Bergrücken – seien zur Sicherung der Region errichtet worden oder würden noch gebaut. Das Militärcamp ist bestens in Schuss. Ein Vorzeigecamp. Alles ist neu und modern, Spuren von Kämpfen gibt es hier nicht.
Dabei waren die Verluste des Militärs hoch, wie gern betont wird, um Kritik an der angeblich halbherzigen Terrorbekämpfung zurückzuweisen. Laut dem General starben seit März 2016 in Südwasiristan 830 Soldaten und Offiziere sowie 2.638 „Terroristen“. Sorgen mache ihm, dass sich auf Afghanistans Seite der Grenze der „Islamische Staat“ (IS) eingenistet habe.
Die zivile Regierung ist schwächer geworden
In Armeehauptquartier in Rawalpindi betont ein Militärsprecher, der ebenfalls nicht namentlich genannt werden möchte, den globalen Kontext: „Pakistan ist das einzige Land, das den Krieg gegen den Terror effektiv geführt hat. Wir sind kein Syrien geworden.“
Auch Kritiker des Militärs erkennen die Erfolge gegen islamistische Terrorgruppen an. Doch würden Teile des Militärs weiter mit Islamisten Politik machen. „Radikalislamistische Elemente haben heute mehr Einfluss als zur Zeit Bhuttos“, meint die Militärwissenschaftlerin Ayesha Siddiqa, die mit einem Buch über die Geschäfte des Militärs bekannt wurde. So würden Islamisten heute mehr Menschen wegen angeblicher Blasphemie ermorden, was aber nicht als Terrorismus zähle.
„Das Militär ist stärker und die von der Muslim-Liga geführte zivile Regierung schwächer“, sagt der angesehene Journalist Rahimullah Yusufzai. Er hatte als erster und letzter pakistanischer Journalist Al-Qaida-Chef Osama bin Laden interviewt. Die Schwäche der bis zum Sommer von Nawaz Sharif geführten Regierung ginge laut Yusufzai aber auch auf Korruption zurück.
Im November führten Militär und Islamisten die Regierung vor. Eine Islamistengruppe, die sich auf den Mörder des Gouverneurs Taseer beruft, hatte wochenlang die wichtigste Kreuzung der Hauptstadt Islamabad besetzt. Damit protestierte sie gegen eine neue, angeblich blasphemische Eidesformel. Als die Polizei schließlich unter dem Druck eines Gerichtsurteils räumen wollte, gab es sechs Tote und Hunderte Verletzte. Das daraufhin von der Regierung gerufene Militär wollte aber nur „vermitteln“. Dabei verhalf die Armee den Islamisten zum Sieg, während die Regierung nachgeben und den zuständigen Minister entlassen musste.
Kritik von Menschenrechtlern
Menschenrechtler kritisieren, dass zunehmend Aktivisten und Blogger, die sich für eine Aussöhnung mit Indien einsetzen oder das Militär kritisieren, verschleppt und zum Teil gefoltert werden, mutmaßlich von Islamisten oder Militärs. „Diese Fälle werden nie aufgeklärt“, sagt Siddiqa.
„Früher benutzte das Militär die Islamisten, um die Politik in Indien und Afghanistan zu beeinflussen. Doch heute nutzt es sie auch innenpolitisch, um die etablierten Parteien zu schwächen,“ meint ein in Islamabad lebender westlicher Beobachter. „Das Militär will eine Art Kriegsrecht, ohne es formal zu verhängen“, sagt Hoodbhoy. Die Wahl 2018 dürfte die Partei von Ex-Cricket-Star Imran Khan mit dem Segen des Militärs gewinnen. Galt er einst als Reformer, zieht er heute oft mit Islamisten an einem Strang. Bhuttos unerfahrener Sohn Bilawal wird keine Chance haben.
Die Reise fand auf Einladung der Botschaft Pakistans statt.
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