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10 Jahre Staatsziel TierschutzDer Hoden des Ferkels ist unantastbar

Vor zehn Jahren erhielt das Tierschutzgesetz durch den deutschen Bundestag verfassungsrechtlichen Rang. Für die Tiere hat sich dadurch nichts verändert, sagen Tierschützer.

Ab 2017 sollen Ferkel nicht mehr ohne Betäubung kastriert werden – bis dahin bleibt es schmerzhaft. Bild: dpa

BERLIN taz | Es herrschte Aufbruchstimmung: Mit nur 19 Gegenstimmen votierten die Abgeordneten des Bundestages am 17. Mai 2002 dafür, den Tierschutz zum Staatsziel zu machen. Seit diesem Jahr steht der Schutz der Tiere gleich neben dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen in Artikel 20 a des Grundgesetzes, das Tierschutzgesetz erhielt verfassungsrechtlichen Rang.

„Mit der Wirklichkeit hat dieser Anspruch zehn Jahre danach leider nichts zu tun, immer noch werden Tiere völlig unnötig gequält“, sagte Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, bei einer Bilanz am Donnerstag in Berlin. Verschiedene Tierschutzverbände kritisieren, dass Bundesverbraucher-schutzministerin Ilse Aigner das Tierschutzgesetz nicht grundlegend reformiert, obwohl die Voraussetzungen in diesem Jahr gut wären.

Die Ministerin arbeitet das Gesetz momentan um, da sie die EU-Versuchstierrichtlinie aus dem Jahr 2010 bis November in nationales Recht umsetzen muss. „Doch statt diese Chance zu nutzen, betreibt die Ministerin mit ihrer Novelle nur Stückwerk“, sagte Schröder.

Auch andere Verbände sind unzufrieden: Die Vereinigung Ärzte gegen Tierversuche hatte die von der Bundesregierung vorgelegten Entwürfe im Februar als „vollkommen inakzeptabel“ bezeichnet. Konkret plant Aigner vier Neuerungen: Es soll eine Tierschutz-Versuchstierverordnung geben, die die Mindestanforderungen der EU-Versuchstierrichtlinie abdeckt, etwa das „fast vollständige Verbot“ von Tierversuchen mit Menschenaffen.

Überzüchtung

Ein von der EU angeregtes vollständiges Verbot erwägt Deutschland nicht. Darüber hinaus sollen Ferkel ab 2017 nicht mehr ohne Betäubung kastriert werden, Fohlen nicht mehr mit Brandmarke gekennzeichnet werden und das Verbot von Qualzucht strenger formuliert werden. Dieses reguliert Überzüchtung aus ästhetischen oder nutzungsbedingten Gründen.

Schröder kritisierte vor diesem Hintergrund, dass bis 2017 weiterhin 20 Millionen kastrierte Ferkel im Jahr unnötig leiden. Was den Begriff der Qualzucht angehe, so sei dieser auch in der neuen Gesetzesfassung nicht genauer definiert worden. „Puten mit überzüchteten Brustfleisch, die nicht mehr stehen können, wird es damit weiterhin geben“, sagte Schröder.

Ähnlich enttäuscht hatten sich andere Tierschutzverbände seit Bekanntwerden des Gesetzentwurfs geäußert. „Mit dem angestrebten Verbot wird erkannt, dass die betäubungslose Kastration von Ferkeln tierschutzwidrig ist“, schrieb die Deutsche Juristische Gesellschaft für Tierschutzrecht. „Warum das Verbot erst 2017 eintreten soll, ist nicht nachvollziehbar.“

Doch am meisten regt die Tierschützer auf, dass Tierversuche weiterhin nicht grundsätzlich verboten sind und die Forschenden nur genauer Bericht erstatten müssen. Sie unterliegen weiterhin keiner strikten Beweispflicht dafür, dass ein Tierversuch zur Testung einer Chemikalie oder eines Medikaments unumgänglich ist.

Grundsätzliches Verbot

Die Tierschützer fordern dagegen ein grundsätzliches Verbot im Tierschutzgesetz und eine zusätzliche Verordnung, die regelt, in welchen Ausnahmen Versuche erlaubt werden könnten. Insgesamt wurden laut Verbraucherschutzministerium 2010 rund 2,9 Millionen Wirbeltiere in deutschen Laboren zu Tests herangezogen - das sind rund eine Millionen mehr Tiere als 2002, dem Jahr des Staatsziels.

Indem man den Tierschutz auf eine rechtliche Ebene mit der verfassungsrechtlich geschützten Forschungsfreiheit hob, wollte man die Zahl der Tierversuche damals eigentlich reduzieren. „Alles andere hat mit einem Staatsziel Tierschutz nichts zu tun“, sagte Schröder.

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12 Kommentare

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  • TL
    Tim Leuther

    @Leonhard Beisel

     

    "Anstatt endlich anzuerkennen, dass Tierquälerei genauso schlimm und ächtenswert ist wie Menschenquälerei [...]"

     

    Antispeziesmus und Humanismus sind nicht unter einen Hut zu Bringen.

  • TL
    Tim Leuther

    @Elisabeth Petras

     

    Die Leute Antwortern emotional und sind sich der Tragweite ihrer Aussage nicht bewusst, beziehungsweise die Fragestellung in der Umfrage verleitet Sie dazu.

     

    Beweis: Welchen Marktanteil hat Demeter beim Fleisch?

     

    Die Leute sind nicht verwirrt von all den Siegeln. Sie wollen nur nicht 10 bis 20 mal so viel für das Fleisch zahlen. Und wenn man den Leuten vorgaukelt es ginge auch zu einem Preis der nur 50% höher ist, oder doppelt so hoch, der verschaukelt Sie. Die Leute wollen ein Siegel das viel wert ist und nichts kostet. Das ist unmöglich, und das ist das Problem.

     

    Daher: Bescheuertes Staatsziel.

     

    Nebenbei: Bei den ganzen Staatsregeln geht es nicht um Labels, sondern um verbote! Ich kann keine Käfigeier mehr kaufen, obwohl die Gesünder sind als dieses Bodenhaltungskram. Meine Genundheit und meine Arbeit werden entwertet, weil irgendwelche Hippies dem Federvieh Rechte geben wollen.

  • TL
    Tim Leuther

    @Martin Huning

     

    Sie sind auch ein Mensch.

  • MH
    Martin Huning

    Ehrlich gesagt gefällt mir weder der Gedanke unbetäubt kastriert zu werden noch betäubt kastriert zu werden wird in der ökologischen Viehzucht auch kastriert ?

  • EP
    Elisabeth Petras

    In diversen Umfragen sprechen sich EU-Bürger immer wieder für mehr Tierschutz in der Landwirtschaft aus - auch durchaus auf EU-Ebene (vgl. die dort existierenden Umfragen). E. Aduro ist ganz offensichtlich NICHT am Tierschutz interessiert, da er das Staatsziel GG Art. 20 a als "bescheuert" bezeichnet.

     

    Seine Arumentation hinkt allerdings, denn selbst eine Umfrage des Bauernverbandes ergab, dass 93% der Verbreucher sich mehr Tierschutz in der Landwirtscahft wünschen! Mittlerweile gibt es eien ganz fische neue Umfrage des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen. Diese ergab, dass Tierschtuz Verbrauchern wichtig ist, es aber leider zu wenig verlässliche Siegel aus Verbrauchersicht gibt oder sie im Wirrwarr der unterschiedlichen Seigel den Überblick verlieren.

     

    Dies alles entspricht genau unseren Beobachtungen: Eien Kennzeichnung, die wirklich zuverlässig ist, muss her, die quälerische Herstellung muss überdies immer wieder bekannt gemacht werden, nebst allen unappetitlichkeiten wei die hohe Verbreitung von Campylobakter in der Massentierhaltung.

     

    Es stimmt ganz und gar nicht, dass das Thema keinen interesiert - das hätte Enzo Aduro - warum auch immer? - scheinbar gern!

     

    Es ist aber dennoch nötig, dass die Gesetze endlich tierfreundlicher gestaltet und entsprechend kontrolliert werden (vgl. meine Mail weiter unten mit detailierten Vorschlägen), denn der Bürger erwartet vom Gesetzgeber ein Vorgehen gegen Misstände!

     

    Warum empfinden denn fast alle Bürger die derzeitige Form der Tierhaltung als Skandal? Weil zwar der Verzehr von Fleisch, nicht aber die lebenslange Quälerei von Tieren ethisch akzeptiert ist. Und andere Tiere verzehren zwar Tiere, doch keines quält diese lebenslang, wie es der grausame "moderne" Mensch tut!

  • EA
    Enzo Aduro

    @Elisabeth Petras

    Selbst wenn man das alles toll kennzeichnen würde: Die Leute interessiert es am Ende des Tages nicht.

     

    Zumindest wenn es Geld kostet. Die meisten die Biofleisch kaufen, tun dies auch nur weil Sie angst um Ihre Gesundheit wegen Medikamenten haben, nicht wegen dem Tierleid.

     

    Der Vergleich mit dem Hehler passt aus mehreren Gründen nicht, da der Souverän Opfer bei Diebstählen ist.

     

    Man kann nicht einerseits den Tierschutz eine Demokratische Legitimation zusprechen, wenn es offensichtlich eine überwältigende Mehrheit nicht interessiert. Das einzige was für Tierschutz spricht ist das die Tierschützer derart die öffentliche Agenda dominieren, das es politisch inkorrekt ist dagegen zu argumentieren. Bei Politikern also karriereverkürzend.

     

    Aber sobald die Kameras der Öffentlichkeit weg sind, interessiert es kein mehr.

     

    Daher auch die Verlogenheit bei dem Thema. Daher Gesetze die nicht angewendet werden. Oder interpretiert und verbogen, wie man es mit der Genesis tut wenn man die evolutionskonform uminterpretiert.

  • R
    rolf

    Halal interessiert euch Tierfreunde wohl nicht?

  • EP
    Elisabeth Petras

    Sind die Missstände (betäubungslose Kastration mit lediglich einem einer Aspirin vergleichbaren schmerzmittel, das als narkosemittel keinesfalls ausreicht, fast 100% entzündete Füße bei Puten, fast 100% Lungenschäden durch güllegase bei Schweinen u. v., v. m...) nicht so offensichtlich, dass ein schlechtes Gewissen sich überall von selbst einstellen müsste? Leider erfahren Menschen diese Dinge in der Tat ost erst durch Tierschtuzorganisationen, die undercover recherchieren müssen, um die "Normalität" in Massenställen zu dokumentieren. Selbst Amtstierärzten sind mangels ausreichender Vorschriften und aufgrund der Schweigepflicht oft die Hände gebinden.

     

    Es ist also klar, dass es Vorschriften, Transparenz und klare kennzeichnungspflichten geben muss. Nur dann ist der Verbraucher durch Information in der Lage, überhaupt abzuwägen. zudem sollte man Ethik nicht gänzlich dem Markt überlassen. So mancher würde Hehlerware kaufen - und dennoch Diebstähle verbieten. Auch kaufen viele Menschen Produkte aus Kinderarbeit - dennoch ist diese zu Recht hier nciht erlaubt. Unser Tierschutzgesetz verbietet eineHaltung, die Schmerzen und Leiden im Regelfall verursacht. Dieses Gesetz wird regelhaft nicht eingehalten. Dieser Zustand ist untragbar und sollte durch effektive Kontrollen (u. A. am Schlachthof - auch auf Fußschäden!) und durch Verordnungen, die den Bedürfnissen der Tiere Rechnung tragen, endlich beendet werden!

  • EA
    Enzo Aduro

    Weil Tierschützer den Menschen ein schlechtes gewissen eingeredet haben, setzen sich solche Gesetze durch. Aber Fakt ist: Die Mehrheit der Menschen ist nicht bereit für Tierschutz zu bezahlen. Somit hat er auch keine Mehrheit. Nur weil aber kaum einer den Zusammenhang zwischen Tierschutz und seinen kosten versteht, ist eine Mehrheit dafür.

  • LB
    Leonhard Beisel

    Guter Beitrag, glasklare Wiedergabe einer glasklaren Argumentation.

     

    Die Paragraphenfassade hat nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Anstatt endlich anzuerkennen, dass Tierquälerei genauso schlimm und ächtenswert ist wie Menschenquälerei, knickt die schwarz-gelbe Abgeordnetenmehrheit mit begrifflichen Verwässerungen bis zur vollständigen Unwirksamkeit vor den riesigen Tierverwerterfraktionen des Kapitals ein.

     

    Nicht der Gesetzgeber regelt die Wirklichkeit, sondern die geldliche Wirklichkeit steuert noch immer den Gesetzgeber.

     

    63 Jahre BRD - die Barbarei geht ungehindert weiter.

    Parlamentsberichterstattung im Tierschutzbereich braucht nicht stattzufinden.

  • TD
    Thomas Dreher

    Das das Tierschutzgesetz Verfassungsrang bekommen hat, war aus rechtsystemathischer-, philophischer- und praktischer Sicht ein schwerer Fehler. Hier haben sich die Parlamentarier nach Wählerstimmen schielend, von kriminellen Tierschutzspendensammlern (z.B Arche 2000) und ebeneso bigotten wie menschenfeindlichen Tierechtsideologen (v.löper) durch die Arena ziehen lassen. ein Grundpfeiler userer Zivilisation ist nun mal das töten von Tieren.

    Das fängt beim mechanisierten Ackerbau an und hört bei den durch die Freiheit von Forschung und Lehre geschützten Tierversuchen noch lange nicht auf. Mir hat noch niemand erklären können warum eine bei der Produktion von Getreide für ein veganes Müsli von der Fräse verletzete Maus - und nein sie ist keinen Unfalltod gestorben sondern die Bauern "kontrollieren" ihren Mäusebestand mit willen und Vorsatz - einen etisch korrekteren Tod gestorben ist als irgendein Versuchtier.

  • EA
    Enzo Aduro

    Ist ja auch ein bescheuertes Staatsziel.