piwik no script img

1. MaiJedem seine Demo

Mehr als 10.000 Menschen in Hamburg auf der Straße: 7.000 für Arbeitnehmerrechte, 2.500 gegen Gentrifizierung, weitere 1.000 fordern das Ende des Kapitalismus.

Umsonst gefahren

Eine öffentlich angekündigte Umsonstfahraktion haben gestern AktivistInnen und FreundInnen des Bündnisses "HVV Umsonst" durchgeführt. Nach Angaben des Bündnisses bestiegen nach Abschluss der 1. Mai-Demo des DGB rund 50 DemonstrantInnen an der Fischauktionshalle eine Hadag-Fähre Richtung Landungsbrücken. Dort seien die AktivistInnen in die S- Bahn nach Altona umgestiegen, hieß es weiter. Im dortigen Bahnhof wurde eine abschließende Kundgebung abgehalten. (taz)

Das Wetter zeigte sich solidarisch: Strahlender Sonnenschein zauberte dort, wo Altonas Neue Mitte entstehen soll, gute Laune in die Gesichter derjenigen, die sich zum Euro-Mayday-Umzug versammelt hatten. Bunte Perücken, bunte Kleidung, ein buntes Musik-Potpourri aus den Lautsprechern von insgesamt neun Wagen: Am Ende war der Protestmarsch eine Mischung aus Schlagermove und klassischer Latschdemo.

Hatten sich anfangs rund 1.500 MaydayerInnen in der Harkortstraße versammelt, lag ihre Zahl am Ende – am Spielbudenplatz, im Schatten der abrissbedrohten „Esso-Häuser“ – bei 2.500. Neue Mitte Altona und Esso-Häuser: Das Thema Stadt für alle beziehungsweise Gentrifizierung bildete den inhaltlichen Schwerpunkt des gewerkschaftsfernen Maiaufmarschs, dessen TeilnehmerInnen die 30 zum Großteil noch nicht überschritten haben.

Dazwischen immer wieder ganz grundsätzlich kapitalismuskritische Töne – und viel Ironie: „Denken versaut den Fernsehabend“ und „Die Krise ist vorbei!“ stand auf den Schildern der Demonstrierenden. Auch das Transparent „Reiche Eltern für alle“, schon vor zwei Jahren auf der Mayday-Parade zu sehen, wurde entmottet.

Dazu ein wenig Occupy und ein Hauch Flüchtlingsbewegung: Die Mischung war nicht neu für diese ursprünglich aus Südeuropa importierte Veranstaltung, die nicht nur zeitlich angesiedelt irgendwo zwischen klassischer 1. Mai-Gewerkschaftsdemo und der erklärt „revolutionären“, bei der am Abend 1.000 TeilnehmerInnen erwartet wurden.

Am Vormittag waren nach Angaben des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) rund 7.000 Menschen für „gute Arbeit in Europa – gerechte Löhne, soziale Sicherheit“ auf die Straße gegangen. Angeführt von Gewerkschaftsfunktionären wie Wolfgang Rose (Ver.di), Uwe Grund (DGB) und Berthold Huber (IG Metall) standen hier die klassischen Forderungen im Vordergrund: höherer Bezahlung, mehr Mitbestimmung, gesicherte, sozialabgabepflichtige Vollzeitjobs.

Die Euro-Mayday-VeranstalterInnen hingegen spannten den Bogen vom Thema Arbeit zum Thema Wohnen, „weil heute die Mieten so hoch sind, dass man gar nicht so viel arbeiten kann, um sie zu bezahlen“. Gerade St. Pauli, sagte ein Mitglied der Initiative zum Erhalt der Esso-Häuser, sei „zum Schlaraffenland für alle möglichen Spekulanten und Miethaie geworden“.

Während die Gewerkschaftsdemo und der Mayday friedlich blieben, rüstete die Polizei sich für die Abendstunden, in denen sie Krawalle im Rahmen des „revolutionären 1. Mai“ befürchtete. Das Szenario der Ordnungshüter: „Teilnehmer aus dem linksextremen Spektrum“ und „gewalterlebnisorientierte Jugendliche“, die sich ein Stelldichein auf Hamburgs Straßen geben.

Nicht von ungefähr: Ein Mobilisierungsflugblatt hatte in bester Revolten-Rhetorik dazu aufgefordert, den antikapitalistischen „Kampf auf allen Ebenen und mit allen Mitteln“ zu führen – „sei es auf der Straße oder auf den Schlachtfeldern“.

In den vergangenen Jahren war es in den Nächten um den 1. Mai herum im Bereich des Schulterblatts stets zu Auseinandersetzungen gekommen. Diesmal blieb es zumindest in der Walpurgisnacht weitgehend ruhig. Die „revolutionäre“ Demo dauerte bei Redaktionsschluss an.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

4 Kommentare

 / 
  • T
    T.V.

    @HH+fgd: Nur ein Nazi sieht in dem Spruch "Jedem das Seine" das, was der Spruch über Auschwitz aussagen sollte. Nun dem Spruch die Schuld dafür zu geben, scheint mir eine Verwechslung von Sprache und Gedanke zu sein. Der Spruch lässt sich genauso linksradikal auslegen - jedem seine Interpretation.

  • F
    fgdfgdfgdg

    Die Überschrift' Jedem seine Demo' erinnert mich an' Jedem das Seine', und das kann mensch über dem Torbogen eines ehemaligen Konzentrationslagers lesen.Es gibt viele Redewendungen, die nen ziemlich ekeligen Ursprung haben, ein wenig mehr Achtsamkeit wäre da schon angebracht.

  • D
    Detlev

    Meiner Meinung nach fehlt da einfach die Lebendigkeit, die Echtheit bei diesen 1.Mai-Demos. Meist setzt sich so ein Demo-Zug aus 2500 Türken und Kurden 300 hauptamtlichen DGB-Gewerkschaftsmitarbeitern und dann noch allen freigestellten Betriebsräten besserer Unternehmen zusammen.

     

    Seit ein paar Jahren rennen da auch wieder SPD-Mitglieder mit SPD-Fahnen herum, warum sie überhaupt kommen, hat sich mir noch nicht erschloßen, vielleicht ist das für diese Menschen so eine Art Arbeiterfolklore, die letzten Jahre zog man ja auch direkt zum Museum der Arbeit und nicht zu einer Fabrik oder Unternehmensveraltung.

     

    Eigentlich müsste so ein Demo-Zug 2012 aus allen Nähten platzen, es müssten Tausende lautstark durch die Stadt marschieren, so stark ist der Druck und so groß der Frust bei vielen Arbeitnehmerinnen. Aber da scheint dann doch die Glaubwürdigkeit solcher Akteure wie Gewerkschaften zu stark in Frage gestellt zu sein, dass es für einen Massenappell reicht. Immerhin 2012 wurde niemand nass.

  • HH
    Hergen Hillen

    Die Überschrift ist eine Anlehnung an den Spruch "Jedem das Seine", der über der Pforte des Konzentrationslagers Buchenwald stand. In diesem Sinne bekommt also jeder die Demo, die er/sie verdient hat. Etwas mehr Sensibilität bei der Wahl der Überschrift wäre wünschenswert gewesen, zumal sie nicht zum Text passt.