1. MAI : Techno für Punks
Vor der Kottbusser Brücke steht ein Schwertransporter. Er ist mit so viel Boxen bestückt, dass die Achsen ächzen. Aber das hört man nicht, weil das Wummern jedes andere Geräusch zudröhnt. Um den Schwertransporter ist ein dünnes Seil gespannt, das von jungen und ganz in Schwarz gekleideten Leuten gehalten wird. Sie sehen ein wenig wie Sargträger aus, aber dafür ist ihre Garderobe ein bisschen zu nachlässig. Die meisten haben sich eine Kapuze über den Kopf gezogen und sie tragen schwere schwarze Sonnenbrillen. Die Polizisten auch, dabei scheint gar keine Sonne, aber das ist egal, denn die Sonnenbrillen sind von innen verspiegelt.
Am Ende des Lasters steht ein ganz junger Mensch. Er hält sehr gewissenhaft das Seil, hat bunte Haare und verzieht keine Miene. Einer seiner Kollegen tut sich Ohrenstöpsel in die Ohren. Andere trinken Bier aus Dosen und schreien sich ins Ohr, aber zu hören ist nur Technogewummere aus den tausenden von Lautsprechern.
Ich frage mich, weshalb Punks sich so was anhören, kann aber niemanden fragen, weil es so laut ist. Wahrscheinlich wissen sie es selbst nicht, oder es handelt sich um eine ausgetüftelte Strategie, um die Polizei mürbe zu machen.
Das Ganze verwirrt mich und ich glaube nicht, dass jemand all die Zeichen noch deuten kann, die sich hier in dem kleinen Mikrokosmos austoben. Es kommt mir vor wie ein absurdes Theaterstück, bei dem die Inszenierung aus dem Ruder gelaufen ist, denn jeder spielt einfach vor sich hin, aber es gibt keine erkennbare Dramaturgie und keine Überraschung.
In einer Seitenstraße läuft mir ein Orang-Utan über den Weg. Er ist von Fotografen umringt. Der Orang-Utan hat Converse-All-Star-Schuhe an, sieht aber sonst ziemlich echt aus. Er humpelt zum wummernden Laster und zu den transparentüberprüfenden Polizisten.
KLAUS BITTERMANN