1. FC Union Berlin: Stolpern mit Ansage
War es am Ende doch zu viel Hype? Fast hätte Union den Aufstieg geschafft, nun bleiben sie wohl doch in der Zweiten Liga – eine Analyse.
„Wir fangen jetzt nicht an zu spinnen“, hat Jens Keller nach der 1:3-Niederlage am Montag in Braunschweig gesagt. Der Aufstieg für die kleinen Köpenicker ist also durch, jetzt ganz offiziell. Auch, wenn der ein oder andere Spieler am Montagabend unerschrocken davon redete, dass es im Fußball verrückte Geschichten gibt: Mit sechs Punkten Rückstand auf die Aufstiegsplätze bei noch zwei Spielen müsste es eine Monty-Python-Level-verrückte Geschichte werden, die Union noch ins Luftschloss Erste Liga beamt.
Alles auf Alltag also. Und ein Stolpern mit Ansage: Schon in den letzten Wochen fühlte es sich nicht mehr so an, als ob die Berliner den Aufstieg schaffen würden. Vielleicht war der Knackpunkt der zwischenzeitliche erste Platz: Da verwandelte sich der Aufstieg von der kleinen Sensation zur großen Pflicht. Kein Team, das neun Spieltage vor Schluss auf Platz 1 stand, verpasste zuvor den Weg in die glänzende Bundesliga. Auf einmal ging es um Hertha-Derbys und Stadionumbau für die Erste Liga und den Streit, wie viel Kommerz man will, wenn man dann da oben ist. Ob man überhaupt da oben landet, fragten nicht mehr so viele. Hätte man sich eine andere Konstellation wünschen können, eine schlechtere Hinrunde hätte einiges leichter gemacht: das Rennen als Außenseiter von hinten aufrollen, Union Style.
Für die Fans zu verkraften
So wurde der Hype zu viel für eine Mannschaft, die zuvor im Rausch der Hinrunde auch ein wenig über den eigenen Verhältnissen gespielt hatte. Union lebte vor allem von der Gesamtleistung der Mannschaft. Von teils überragenden Leistungen, die dank des umsichtigen Coachings von Jens Keller auch taktisch fundiert waren. Der Fortschritt zur Vorsaison ist riesig. Nur fehlte im Vergleich zur Konkurrenz immer ein Tick individuelle Qualität. Das Spitzenfeld um Hannover, Stuttgart und Braunschweig war ungewöhnlich stark dieses Jahr. Es hätte wohl von Anfang an viel zusammenkommen müssen, damit Union den Aufstieg schafft.
Statt „Scheiße, wir steigen auf“ heißt es jetzt „Scheiße, wir bleiben unten“. Für die Fans ist das bei aller Enttäuschung zu verkraften; manch einer fühlt sich in der Zweiten Liga wohler. Die Vereinsführung sieht das bekanntlich anders. Die Zielsetzung wird auch im nächsten Jahr Aufstieg sein. Die Chancen stehen auf Papier besser: Mit Darmstadt kommt ein Absteiger, der ähnlich übersichtliche Strukturen und bescheidene Mittel hat; auch der zweite mögliche Absteiger, Ingolstadt, ist kein unüberwindbarer Brocken. Und nebenbei hat der jüngste Erfolg Union einen massiven Aufmerksamkeits- und Popularitätsschub gegeben. Man kann ziemlich zufrieden sein.
Dass der Aufstieg zu früh gekommen wäre, weil die Mannschaft nicht reif war, ist jetzt ein gern erzähltes Märchen. Aber wer in die Erste Liga kommt, muss sowieso die Mannschaft aufrüsten. Das zusätzliche Jahr Zweite Liga ist kein Vorteil. Und in den Rhythmus einer solchen Erfolgssaison wie dieser muss man erst mal wieder kommen.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!