heute in hamburg: „ Weniger Chancen als Gefahren“
Vortrag:
„Arbeit 4.0 – Zur Entmystifizierung der Digitalisierung von Arbeit“:
19 Uhr, digital und analog, W3, Nernstweg 32 – 34, Anmeldung für Online-Teilnahme an blauermontag@mailbox.org
Interview Leonie Theiding
taz: Herr Becker, müssen wir angesichts des technischen Fortschritts bald nicht mehr arbeiten?
Matthias Becker: Der Mythos liegt darin, dass viele glauben, er würde die menschliche Arbeit abschaffen. Aber Arbeit wird nicht abgeschafft. Sie wird neu vermessen, organisiert und gestaltet – das ist unter dem Begriff Arbeit 4.0 gemeint. Es ist jetzt nicht so, dass der Roboter und der Algorithmus ohne menschliche Arbeit auskommen würden.
Was hat der Begriff der Arbeit 4.0, was der Begriff der Digitalisierung nicht hat?
Je nach Definition ist die Digitalisierung nicht neu. Die ersten programmgesteuerten, „digitalen“ Maschinen gab es ja schon im 19. Jahrhundert. Industrie 4.0 und Arbeit 4.0 hingegen meinen einen bestimmten Ansatz der Arbeitsorganisation: Dass man versucht, auf Grundlage von Datenerfassung Arbeit zu rationalisieren. Das passiert etwa durch neue Formen der Mustererkennung oder der künstlichen Intelligenz.
Also ist nur das Konzept Arbeit 4.0 neu?
Ja, neu ist es, weil es versucht Maschinen zu vernetzen, viele Geschäftsprozesse digital abzubilden, sie mit der Produktion unmittelbar in Zusammenhang zu bringen. Die gesammelten Daten werden analysiert und der Prozess wird ständig verbessert. Wenn ich dann weiß, was meine Maschinen tun und wie produktiv sie sind, dann weiß ich natürlich auch, was meine Beschäftigten tun.
Entsteht eine Art Überwachung?
Ja, eine automatische Vollüberwachung. Es geht dabei auch um Autonomie im Arbeitsprozess. Also inwieweit bestimme ich das, was ich tue? Inwieweit werde ich gelenkt?
Matthias Becker 49, ist Journalist und Autor des Buches„Automatisierung und Ausbeutung: Was wird aus der Arbeit im digitalen Kapitalismus?“
Welche Chancen, welche Risiken einer künftigen Arbeitswelt lassen sich aus diesen Fragen ableiten?
Bei den Chancen tue ich mich sehr schwer. Es gibt unter Umständen die Möglichkeit, dass bestimmte Arbeiten automatisiert werden: Arbeiten, die möglicherweise schmutzig sind, unangenehm oder langweilig. Das scheitert in der betrieblichen Praxis daran, dass die Automatisierung dann doch zu teuer ist. Ich erkenne jedoch weniger Chancen, als ich tatsächlich Gefahren erkenne: Dequalifizierung, Entgrenzung, Auslagerung.
Betreffen die Risiken bestimmte Branchen?
Nein, das zieht sich quer durch die Sektoren: Dienstleistung, Soziale Arbeit, aber vor allem die Gigeconomy, wie beispielsweise den Uberfahrer.
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