Falsche Kürzungen, falsche Förderungen : Lindners Haushalt taugt nichts
Falsche Subventionen für 49-Euro-Ticket, Chipfabriken und Industriestrom: Die Ampel hat eine zukunftsfeste Haushaltspolitik bereits verspielt. Eine Analyse von Udo Knapp.
Von UDO KNAPP
taz FUTURZWEI, 08.08.2023 | Der Haushaltsentwurf von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sieht für 2024 Ausgaben in Höhe von 445,7 Milliarden Euro vor. Das sind 30 Milliarden weniger als 2023. Die Ministerien hatten eigentlich 70 Milliarden mehr gefordert. Doch Lindner hat sich mit Unterstützung von Bundeskanzler Scholz durchgesetzt. Nachdem wegen der Pandemie der Bundeshaushalt verfassungsgemäß mit außerordentlichen Kreditaufnahmen finanziert worden war, wird nun die im Artikel 109 GG für den Bund erlaubte Kreditaufnahme in Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts wieder eingehalten. Die Schuldenbremse hat auch in der Krise ihre Funktionsfähigkeit bewiesen.
Corona und der russische Krieg gegen die Ukraine hatten unabweisbare Zusatzausgaben nötig gemacht. Ende des Jahres 2022 betrugen die Schulden des Öffentlichen Gesamthaushalts rund 2,37 Billionen Euro, was wegen der steigenden Zinsen zu Mehrausgaben des Bundes in Milliardenhöhe führt. Doch nun muss damit begonnen werden, diese Kosten zu refinanzieren, muss das Ausgabenniveau insgesamt wieder auf Normalmaß und sogar darunter zurückgeführt werden.
Zugleich muss die Transformation der deutschen Wirtschaft zum CO2-freien Produzieren vorangebracht werden. Für diese Jahrhundertaufgabe sind im Klima- und Transformationsfonds (KTF) 100 Milliarden Euro veranschlagt. Auch die Zusatzausgaben für die Wiederaufrüstung der Bundeswehr und die Waffen- und Nachschublieferungen für die Ukraine finden sich im Haushaltsentwurf der Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP.
Sparen, Sparen, Sparen
Ein Ausweiten der Kredite zu Lasten der Gestaltungsräume nachfolgender Generationen wird mit diesem Entwurf ausgeschlossen. Sparen, Kürzen und das Ausgabentableau neu justieren – schmerzfrei und ohne Einschränkungen wird das nicht gehen. So sind etwa für die Sozialleistung Bafög im nächsten Jahr 440 Millionen weniger als in 2023 veranschlagt, was zur Verminderung der akademischen Bildungschancen für viele führen kann. So sollen beim DAAD die Zuschüsse für Auslandsstipendien um sieben Millionen gekürzt werden, was die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wissenschaft im globalen Wettbewerb beschädigen kann. Die Mittel für die Jugendmigrationsdienste werden um 24 Millionen gekürzt, was zur Schließung vieler Beratungsstellen führt. Die Mittel für die Jobcenter der Bundesanstalt für Arbeit werden um 700 Millionen gekürzt, was sich vor allem als Reduzierung der Eingliederungshilfen bei Langzeitarbeitslosigkeit auswirkt.
Die Bundesregierung hat den Ministerien pauschale Einsparziele für die Aufstellung ihrer Haushalte vorgegeben, ohne eine Beachtung nachhaltiger Politikziele der Transformation als verbindliches Kriterium für Kürzungen einzufordern. Dies widerspricht dem Koalitionsvertrag, in dem eine gemeinsame Überprüfung der Ausgaben und Subventionen vereinbart war. Die Bundesregierung hält stattdessen an alten und neuen Subventionen fest, von denen viele, über kurzfristige Konsum- und Mitnahmeeffekte hinaus, keine strukturellen, nachhaltigen Wirkungen haben.
Zum Beispiel war es nachvollziehbar, die Mehrwertsteuer für das Essen im Restaurant während der Pandemie auf sieben Prozent abzusenken. Diese bis zum 31. Dezember diesen Jahres befristete Maßnahme verursacht Steuerausfälle von jährlich etwa drei Milliarden Euro und muss jetzt nicht mehr verlängert werden. Aber warum müssen alle, die in diesem Jahr volljährig werden, 200 Euro für einen Kulturpass geschenkt bekommen? Hierfür sind 100 Millionen Euro eingeplant, die besser in Investitionen für die Bildung eingesetzt werden sollten.
Starker Standort auch ohne Subventionen
Es war populär, das 49-Euro-Ticket einzuführen. Es wäre zukunftsfester gewesen, mit den jährlichen Ausgaben von etwa drei Milliarden Euro zunächst die Infrastruktur der Bahn und des ÖPNV auszubauen. Die heute kaum funktionsfähige Bahn mit Millionen zusätzlicher Kunden zu überlasten, löst nur Wut auf die Politik aus und erneuert die Lust aufs Auto.
Zu hinterfragen ist auch die Subventionierung der neuen Industrien. Müssen kapitalstarke Weltfirmen der Digital- und KI-Wirtschaft für den Neubau ihrer Chip- oder Batteriefabriken mit Milliarden-Zuschüssen aus den öffentlichen Haushalten gefördert werden? Der Standort Deutschland bietet wegen seiner Infrastruktur, seiner kompetenten Workforce, den geregelten Arbeitsmärkten, seiner wissenschaftlichen und technischen Kompetenz, seiner Wirtschaftskraft auch ohne jede Subvention gute Gründe zu Ansiedlung. Neun geschenkte Milliarden Euro für eine Chipfabrik in Magdeburg, wie im Fall von Intel, sind noch nicht mal nachhaltige, sondern verschenkte Goodies.
Gleiches gilt für die – mit Abwanderungsdrohungen erpresste – Deckelung des Industriestrompreises auf netto 7 Cent je Kilowatt Stunde für 80 Prozent des Verbrauchs (von 2021). Sicher, da ist die Drohung, das Biden-Programm in den USA in Anspruch zu nehmen. Doch das ist nur Show. Für die meisten Firmen ist ein Umzug in die USA viel zu schwierig und kurzfristig nicht umzusetzen. Die Bundesregierung gibt sich hier einem nationalistischen Konkurrenzdenken mit den USA und jüngst auch mit Frankreich hin, obwohl doch eine ökologisch bestimmte, nachfossile Globalisierung mit einer engen Verzahnung der ganzen Welt auf der Tagesordnung steht. Die Wirtschaft und die Wissenschaft in Deutschland sind für diese globale Zukunft gut aufgestellt. Mit Kürzungen bei vielen Subventionen ließen sich wenigstens allzu kontraproduktive Einschnitte in anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens vermeiden.
Dann ist da die Behauptung vieler Kritiker, die für 2024 geplanten Kürzungen in einigen sozialen und gesellschaftlichen Bereichen seien eine willkürliche Demontage des Sozialstaates. Das demonstriert Ignoranz gegenüber den Herausforderungen, die den aktuellen Umständen und der Transformation geschuldet sind. Individuelle Anstrengungen und Mühen werden in allen Lebenslagen zunehmen. Mit einer plumpen Anspruchshaltung gegenüber dem Staat und Forderungen nach einem öffentlich betreuten Dasein in allen Lebenslagen lassen sich diese Zumutungen nicht aus der Welt schaffen.
Der Haushaltsentwurf der Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP für 2024 ist handwerklich und real weit entfernt von dem Anspruch, ein strategisches Tool zu sein, um mit der ganzen Gesellschaft in die Transformation aufzubrechen. Es spricht nicht viel dafür, dass sich daran in den kommenden Haushaltsberatungen des Bundestages in diesem Herbst noch etwas ändern wird. Der Etat 2025 wird dann schon durch den Bundestagswahlkampf bestimmt werden. Die Chancen für eine zukunftsfeste Haushaltspolitik in dieser Legislaturperiode sind daher bereits verspielt worden.
UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für taz FUTURZWEI.