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Der Kommentar

taz FUTURZWEI-Gespräche beim taz lab Montieren statt demonstrieren?

Vizekanzler Habeck, Klimapolitik-Aktivistin Neubauer und OB Palmer sehen einen Kulturkampf gegen Klimapolitik.

Robert Habeck im taz FUTURZWEI-Gespräch beim taz lab 2023 Foto: Anke Phoebe Peters

Von UDO KNAPP

taz FUTURZWEI, 25.04.2023 | Mit dem Eintritt der Grünen in die Bundesregierung ist eine neue Wirtschafts- und Klimapolitik ins Zentrum der politischen Aufgabenstellung und des öffentlichen Gesprächs gerückt. Den einen passiert jetzt zu viel Veränderung, den anderen immer noch viel zu wenig. Unter dem taz FUTURZWEI-Jahresmotto „Wir machen Ernst“ skizzierten auf dem taz lab-Kongress am vergangenen Wochenende vier Protagonisten der sozialökologischen Transformation die Lage zwischen Fortschritt und Blockade: Vizekanzler Robert Habeck, Oberbürgermeister Boris Palmer, Klimapolitikaktivistin Luisa Neubauer und Sozialpsychologe Harald Welzer.

„Wir machen Ernst“ – bei der Buchmesse Leipzig

Das taz FUTURZWEI-Gespräch mit Harald Welzer und Peter Unfried

Wann: Do 27. April 19 Uhr

Wo: Galerie KUB

Kantstraße 18

04275 Leipzig

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Anmeldung erforderlich

Die Teilnahme ist nur mit einem im Voraus gebuchten Ticket möglich. Wir bitten Sie daher um eine Anmeldung über das unten stehende Ticketportal.

Die Veranstaltung wird live auf YouTube gestreamt: youtu.be/LZ5l8kV-ca4

Für Robert Habeck markiert der Wechsel von der Großen Koalition zur Ampel den Übergang vom abstrakten Beschwören der Klimawende zum konkreten Umsetzen der notwendigen Umbauschritte. Die im Koalitionsvertrag von der Ampel beschlossenen Ziele werden jetzt in Gesetzen in den Alltag aller Menschen übersetzt. Er weiß, dieses Umsetzen schmerzt, produziert Verlierer und Gewinner. Aber er betont, dass mit den neuen Klimagesetzen rechtsverbindlich auch alle nachfolgenden Regierungen gebunden sind. Diese Gesetze, so Habeck, enthalten klimapolitische Kompromisse, die dem geringen Stimmenanteil der Grünen (14,8 Prozent) geschuldet sind. Das ändere aber nichts an ihrer historischen Substanz. Denn die sei eindeutig: Emissionsrückbau plus grünes Wachstum plus Kreislaufwirtschaft mit verringertem Zugriff auf alle natürlichen Ressourcen.

Habeck hebt eines aber hervor: „Ohne Wirtschaftswachstum wird es keine Klimawende geben“. Für ihn ist die Theorie vom Degrowth, also Minuswachstum, „ein akademisches Kunstprodukt“. Sie würde aus der Verantwortungsethik des Philosophen Hans Jonas abgeleitet. Sie atme die religiöse und autoritäre Überhöhung der ökologischen Frage über die Freiheit, formuliere einen kategorischen Imperativ ohne Diskurse. Für Habeck gibt es kein überwölbendes Eigenrecht der Natur, sondern nur die politische Verantwortung, das Leben der Menschen auch unter den neuen Bedingungen aktiv zu sichern. Klimaschutz, sagt er, „ist ein neuer, zentraler Baustein in der Demokratie und für Freiheit.“

Dass FDP, SPD und CDU jetzt versuchen, den Klimaschutz aus der Konkretion des Machens wieder in abstrakten Kulturkampf um die politische Hegemonie zu überführen, verwundere ihn nicht. Er selbst richte seine Politik nicht an potentiellen Zustimmungswerten bei den nächsten Wahlen aus.

Er werde seine Regierungsjahre nutzen, um unter den gegebenen politischen Machtverhältnissen in der Ampel möglichst unumkehrbare Transformationswege zu öffnen. Das sei die historische Aufgabe, die gelinge gut, auch wenn er dafür nicht nur geliebt würde.

Bürokratie blockiert Transformation

Für Boris Palmer, der nun schon im siebzehnten Jahr mit großer Zustimmung seiner Bürgerschaft in Tübingen den ökologischen Umbau voranbringt, ist die Bundesrepublik mit der Ampel aus der Phase des Redens in die Phase des Machens hinüber gewechselt. Er sieht jetzt für alle Kommunen der Republik große Chancen, in ihrem Hoheitsbereich das Machen zu organisieren. „Bei allen Kosten können die Vorteile des Machens bei klugem Vorgehen für jeden einzelnen Bürger spürbar werden“, sagt Palmer. Das sei in Tübingen so und wird mit politischer Zustimmung honoriert.

Bundes- und Landespolitik schaffen es, aus seiner Sicht dagegen bisher nicht, diesen Chancen zum Machen vor Ort genügend Freiräume zu öffnen. Sie setzten zudem falsche Anreize. Für die Energie- und Wärmewende in seiner Stadt habe er schon seit 2011 auf den kommune-eigenen Ausbau grüner Stromproduktion und auf den Ausbau der lokalen Fernwärmenetze gesetzt. Den eingeschlagenen Wärmepumpen-Weg hält er für sehr komplex und letztlich für die Nutzer sehr teuer. Aber für beide Wege müsse die Technologie- und Facharbeiterlücke mittels einer Stärkung des Handwerks geschlossen werden. Palmer zitiert einen Handwerker, dessen Motto „Montieren statt demonstrieren“ sei. Ein zentrales Blockademoment der Transformation sei die Bürokratie. Für die Erweiterung von Handlungsräumen in den Kommunen brauche es bisweilen „kontrolliertem Gesetzesbruch“, weshalb er immer wieder schlecht schlafe. SPD, FDP und CDU sieht Palmer auf dem Rückweg zum Kulturkampf um die Bewertung der Klimakrise. Das schrecke ihn aber nicht. So sei nun mal der demokratische Alltag.

Für die Klimapolitikaktivistin Luisa Neubauer, Mitgründerin von Fridays for Future, gibt es trotz grün angestrichener Ampel in der Republik viel zu wenig Klimapolitik und noch keine ausreichende ökologische Gegenmacht, die die Regierenden zum Handeln treiben kann. Aus ihrer Sicht sei es bisher nicht gelungen, den Lebensgewinn aus dem ökologischen Wandel den Leuten nachvollziehbar zu kommunizieren. Der Kulturkampf, den CDU, SDP und FDP inszenieren, um ihre politische Hegemonie jenseits der Tatsachen des Klimawandels wiederherzustellen, sei in vollem Gange. Die CDU habe sich die Hoheit über die Definition des den Bürger Zumutbaren zurückgeholt. Der Schutz vor dem angeblich Unzumutbaren zum Zwecke des Zurückgewinnens von Machtoptionen sei ihnen wichtiger, als beherzt die unabwendbaren Folgen einer Klimakatastrophe zu adressieren. Unter diesen Bedingungen zählt für Neubauer bei ihrer Beurteilung von Protestformen der Kritiker von Regierungs-Klimapolitik nicht primär die Beachtung der Legalität.

Diese Proteste seien Momente einer legitimen Strategie für eine notwendig radikale Klimapolitik. Sie seien wichtiger als ein stillhaltendes Unterstützen der realen Klimapolitik. Neubauer definiert, ganz im Sinne einer absoluten Verantwortungsethik von Hans Jonas, „Freiheit als primär gemeinsame Verantwortung aller anstelle von individueller Freiheit“.

Wirtschaft als Zentrum der Veränderung

Harald Welzer, der Intellektuelle und taz FUTURZWEI-Herausgeber verlangt, das Suggestive der Katastrophenlogik, eine affektierte Krisen-Rhetorik in der Öko-Politik aufzugeben. Wir lebten alle längst mitten im Klimawandel. Das Skandalisieren verdecke nur diese Tatsache. Die Wirtschaft müsse für sich klären, wie sie sich in den veränderten Bedingungen der Konkurrenz um knappe Ressourcen und den Folgen ihres bisherigen Agierens neu aufstellen wolle. Denn die Wirtschaft stehe im Zentrum aller notwendigen und machbaren Veränderungen. Nur sie könne den Stoffwechsel umorganisieren, insgesamt reduzieren und klären, wie und ob ein ökologischer Kapitalismus funktioniert. Den Weg dahin zu strukturieren, das könne keine Angelegenheit von politischen Mehrheiten sein. Demokratie sei grundsätzlich transformationsfeindlich.

Für eine erfolgreiche ökologische Transformation brauche es selbstständig agierende, mächtige Gruppen in der Gesellschaft, die sich diesem Wandel verpflichteten und eigenverantwortlich handelten. Erst wenn diese Gruppen sich konsolidiert hätten, brauchten sie politisch bestimmte Rahmenbedingungen, die ihre Erfolge absichern. Das könnten dann etwa Verbote jeder Externalisierung von Kosten ihrer Produktionsprozesse sein. Heute sollten sich Politik und Öffentlichkeit darauf konzentrieren, diesen Wandel der Wirtschaft „zu reflektieren und gedanklich zu orchestrieren“.

Vizekanzler Habeck schafft vor den nächsten Wahlen Tatsachen. Palmer baut mit Erfolg Tübingen um, weil die Leute das mittragen. Er kümmert sich dabei nicht um die Linienpolizisten seiner Partei. Luisa Neubauer holt die Zwanzigjährigen mit radikaler Nie-Genug-Kritik in die Politik. Und Harald Welzer setzt mangels Glauben an die Politik auf die Gesellschaftsbewegung in Verbindung mit der Binnenrationalität kapitalistischer Unternehmerlogik beim ökologischen Wandel.

Bei allen Vieren fehlt mir allerdings die Auseinandersetzung mit der Frage, wie es mit der ökologischen Transformation weitergehen soll, wenn die Grünen bei den nächsten Wahlen für Habecks Machen abgestraft werden. Wenn sie nicht mehr fürs Regieren gebraucht werden, weil die Mehrheit findet, dass doch alles so bleiben soll, wie es nie gewesen ist und nie wieder sein wird. Was dann?

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für taz FUTURZWEI.

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