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Der Kommentar

Kindergrundsicherung – Grüne gegen FDP Sind Lindner arme Kinder egal?

Wer Kinder aus einer vererbten Armutsfalle holen will, muss vor allem in das Schulsystem investieren, weniger in Kindergrundsicherung, findet unser Kolumnist Udo Knapp. Hier erklärt er, was er meint.

Eine schönere Kindheit muss mensch sich leisten können Foto: picture alliance/dpa/Britta Pedersen

Von UDO KNAPP

taz FUTURZWEI, 11.04.2023 | Wer Armut bekämpft, der steht immer auf der richtigen Seite der Barrikade im Ringen um „soziale Gerechtigkeit.“ Wenn es nun gegen die Kinderarmut geht, dann wird zuallererst viel Geld aus den öffentlichen Haushalten für die Kinder in den Familien der Transferbezieher verlangt.

Je mehr gefordert wird, desto weniger wird darüber nachgedacht, mit welchen Instrumenten allen Kindern tatsächlich die Türen in ein selbstbestimmtes, ihre Fähigkeiten ausschöpfendes Leben jenseits des sozialen Status ihrer Eltern aufgerissen werden können.

Vereinfachtes digitales Verfahren

Nach dem Gesetzentwurf zur Kindergrundsicherung von Familienministerin Lisa Paus (B'90/Grüne) sollen alle kinderbezogenen Transfers - Kindergeld, Kinderzuschlag und Leistungen aus dem Teilhabegesetz – in einer Leistung zusammengeführt werden. Die Kindergrundsicherung soll aus einem einkommensunabhängigen Garantiebetrag in Höhe des heutigen Kindergeldes und einem vom Alter der Kinder abhängigen Zusatzbetrag bestehen (0-5 Jahre 318 Euro, 6-13 Jahre 346 Euro und dann 420 Euro für alle Jugendlichen).

Die Beantragung der Kindergrundsicherung soll in einem vereinfachten digitalen Verfahren organisiert werden. Bisher beantragen viele Anspruchsberechtigte, die ihnen zustehenden Leistungen nicht, weil sie an den komplexen Bewilligungs- und Anrechnungsregelregeln scheitern.

Aus dem Bundeshaushalt wird Kindergeld für rund 17,9 Millionen Kinder gezahlt. Für 2023 wird hier mit einer Gesamtsumme von 53,7 Milliarden Euro gerechnet. Den aktuellen Kinderzuschlag zum Kindergeld in Höhe von 250 Euro erhalten etwa 800.000 Kinder. 1,9 Millionen Kinder leben in Familien, die Sozialleistungen beziehen. Sie könnten von der Kindergrundsicherung profitieren. Genaue Zahlen der anspruchsberechtigten Familien und Kinder für die neue Transferleistung gibt es freilich nicht. Deshalb gibt es auch keine belastbaren Aussagen über die zu erwartenden Kosten der Kindergrundsicherung.

Lindner glaubt, das Geld kommt nicht an

Familienministerin Paus hat 12 Milliarden Euro Kosten angemeldet. Finanzminister Christian Lindner (FDP) will aber maximal 2 bis 3 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Für ihn geht es bei der Kindergrundsicherung vor allem um ein effektiveres digitales Antragsverfahren. Die von Paus geforderte Erhöhung der Zusatzbeträge lehnt er ab.

Sein Argument: Er bezweifelt, dass das zusätzliche Geld, das an die Eltern ausgezahlt wird, bei den Kindern ankommt, sondern geht davon aus, dass die Familien die erhöhten Zusatzbeträge benutzen werden, um ihre durch Inflation, Mietsteigerungen, hohe Energie- und Wärmekosten stark gestiegenen Lebenshaltungskosten zu bestreiten.

Lisa Paus dagegen setzt in sozialdemokratischer Sozialpolitiktradition voraus, dass gerade in den von Transfers lebenden Familien die Kinder und deren Zukunft im Fokus der Lebensorganisation ihrer Eltern stehen und diese die erhöhten Zusatzbeträge aus der Kindergrundsicherung für die Verbesserung der Lern- und Lebenschancen ihrer Kinder einsetzen werden. Man muss leider davon ausgehen, dass FDP-Chef Lindner mit seiner durchaus geringschätzigen Position gegenüber den Transfereltern näher an deren Lebenswirklichkeit ist als die Grüne Paus.

Will monetär für schönere Kindheiten sorgen: Bundesfamilienministerin Lisa Paus (B'90/Grüne) Foto: picture alliance/dpa/Michael Kappeler

Förderung für Brennpunkt-Schulen

Jenseits dieser ideologischen Streitereien um zusätzliches Geld für die Transferbezieher in der Kindergrundsicherung gibt es von der Bundesregierung, abgestimmt mit den Bundesländern, mit dem Startchancenprogramm und der „Bildungsmilliarde“ einen strukturellen Ansatz mit dem die Zukunftschancen von Kindern, die mit Armut leben, jenseits ihrer Familienverhältnisse ganz praktisch verbessert werden.

Ab 2025 sollen in 4.000 Schulen in sozial besonders benachteiligten Quartieren über mehrere Jahre 950 Millionen Euro investiert werden, die zwischen den Ländern nach ihren Schülerzahlen aufgeteilt werden. Die zu fördernden Brennpunkt-Schulen, in denen die Kinder der Transferbezieher dominieren, sollen diese Millionen für von ihren Lehrern selbstverantworteten Schulkonzepte erhalten. Die Bildungsminister von Bund und Länder haben sogar gemeinsam einen 50 Millionen Euro Extrazuschuss für Länder wie Bremen reserviert, in denen eine besonders hohe Zahl Kinder von Transferbeziehern leben.

Gemeinsame Schulpolitik

Investitionen in Strukturen, die die Lebens- und Lernchancen der mit Armut lebenden Kinder erweitern, anstelle von Zuschüssen, die im Alltagskonsum der Transferhaushalte untergehen: Das könnte zum Beginn einer gemeinsamen Schulpolitik von Bund und Ländern führen, die auf die Zukunftschancen der Kinder ausgerichtet ist. So könnten deren Eckpunkte aussehen:

■ Die Kindergärten zu frühkindlichen Bildungseinrichtungen aufwerten – für alle kostenfrei.

■ Ein verpflichtendes Vorschuljahr für alle Kinder einführen.

■ Eine Ganztagsschule für alle von der 1. bis zur 10. Klasse einführen und erst dann eine Oberstufe, die zum deutschlandweit einheitlichen Abitur führt.

■ Die Wiedereinrichtung von pädagogischen Hochschulen auf den Weg bringen, um den Lehrerberuf für Abiturienten wieder attraktiv zu machen.

■ Die Digitalisierung in vollem Umfang in die Schulen holen.

Falsche Erwartungen

Die Schulen so oder so ähnlich zu fördern, widerspricht nicht einer Entbürokratisierung der Kindertransfers mit einer neuen Kindergrundsicherung.

Aber wer daran arbeiten will, dass die Kinder aus eigener Kraft aus der oft vererbten Armutsfalle herausfinden, der muss vor allem in das Schulsystem investieren, statt mit ideologischem Streit um Geld für eine Kindergrundsicherung falsche und doch wieder nicht zu erfüllende Erwartungen zu wecken.

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für taz FUTURZWEI.