7. - 16. November 2024 (nur noch Warteliste)
Sizilien
mit Michael Braun, taz-Italien-Korrespondent
Der Kampf vieler Sizilianer gegen die Mafia und die Situation der Flüchtlinge, die übers Mittelmeer kommen, sind die zentralen Themen dieser Reise. Für Treffen mit diversen Initiativen fahren Sie im Kleinbus von Palermo über Corleone bis nach Catania durch eine einzigartige Kulturlandschaft, die über Jahrhunderte von Zuwanderung geprägt ist (Griechen, Römer, Sarazenen, Normannen).
Sizilianer sprechen bisweilen vom „Kontinent“, wenn sie das italienische Festland meinen. Und in der Tat ist die Insel eine Welt für sich, ja selbst ein kleiner Kontinent, wie der französische Historiker Fernand Braudel bemerkte. Landstriche mit üppiger Vegetation, in denen Orangen, Zitronen, Bougainvilleas wachsen, wechseln mit fast wüstenähnlichen Zonen ab.
Genauso vielfältig sind die kulturellen Spuren, die Einwanderer und Eroberer aus allen Himmelrichtungen auf Sizilien hinterlassen haben, von den antiken Griechen über die Römer und die Araber – sie brachten nicht nur die Zitrusfrüchte, sondern auch das Sorbet mit – zu den Normannen, deren Herrschaft mit dem Stauferkaiser Friedrich II. ihre Blüte erlebte, zu den französischen und spanischen Königen, die ihnen folgten.
Militärisch mochten die Normannen die Araber bekämpfen, kulturell jedoch setzten sie auf Begegnung. Davon zeugt heute noch das Stadtbild von Palermo, zeugt die Architektur zum Beispiel des Doms oder der Pfalzkapelle im Palazzo dei Normanni genauso wie die Kathedrale von Monreale; überall kreuzen sich romanische oder gotische mit maurischen Elementen.
So wird die Reise nach Sizilien auch zur Reise auf eine Insel, in der „Willkommenskultur“ schon Jahrhunderte vor der Erfindung des Wortes herrschte. Sie leitet auch heute das Handeln vieler Sizilianer, wenn Sie sich z.B. in Palermo bei Borderline Europe für Bootsflüchtlinge engagieren.
Doch Sizilien ist zugleich mit enormen wirtschaftlichen und sozialen Problemen konfrontiert – Probleme, dank derer Cosa Nostra in weiten Teilen der Insel ein oft brutales Regime der Kon-trolle errichten konnte, das wiederum selbst zu einem entscheidenden Entwicklungshindernis wurde: So musste und muss das Gros der Unternehmer den „Pizzo“ entrichten, das Schutzgeld an die Mafiaclans. Und selbst wenn die Mafia nicht mehr mordet wie vor 30 Jahren, wenn sie gleichsam „untergetaucht“ ist, hält sie doch immer noch die Hand auf Palermo und andere Städte Siziliens.
Von jungen Palermitanern ging die Initiative aus, Händler in ihrer Vereinigung „Addio Pizzo“ („Weg mit dem Mafia-Schutzgeld“) zu organisieren, ihnen den Rücken im Widerstand gegen die Mafia zu stärken – und so erste Schritte hin zu einem Ziel zu tun, das 200 Jahre lang als pure Utopie erschien: zu einem Palermo ohne Mafia.
Programm der Reise
1. Tag
Individuelle Anreise nach Palermo. Der Flughafen, auf dem wir landen, trägt den Namen „Falcone und Borsellino“, gewidmet ist er den beiden Staatsanwälten, die 1992 in zwei Bombenattentaten von der Mafia ermordet wurden, und erinnert so die Reisenden schon bei der Ankunft daran, dass Palermo auch dies ist: die Wiege der Mafia.
Abends besprechen wir bei einem gemeinsamen Abendessen den Verlauf der kommenden Tage.
2. Tag
Vom Stauferkaiser Friedrich II. heißt es, er sei als Junge gerne verkleidet und inkognito durch die Gassen Palermos gestreift. Wir werden uns auch auf seine Spuren begeben und eine Stadt erkunden, in der verschiedene Religionen und Kulturen ihre Spuren hinterlassen haben, in der die Kirche San Giovanni degli Eremiti von außen als Moschee erscheint, in der wir – im „Palast der Normannen“ – die Pfalzkapelle finden, an deren Wänden und Decken völlig friedlich christliche und islamische Symbolik nebeneinander existieren.
Am Nachmittag werden wir Palermo von einer anderen Seite kennenlernen, auf einem geführten Stadtgang mit einem Vertreter der der Anti-Mafia-Vereinigung AddioPizzo: als Kapitale der Cosa Nostra. AddioPizzo entstand vor einigen Jahren, um bedrängten Händlern im Kampf gegen die Schutzgeld-erpressungen beizustehen; mittlerweile existiert in der Stadt ein großes Netzwerk von Läden, Restaurants oder Bars, die sich offen dazu bekennen, der Mafia die „Zusammenarbeit“ zu verweigern – und die so wiederum anderen den Rücken stärken.
3. Tag
Über Jahre hinweg war vor allem Italien die erste Etappe für Bootsflüchtlinge, die von Tunesien oder Libyen aus den Weg nach Europa suchten – und in Italien waren es wiederum Sizilien und Lampedusa, die zu den Hauptzielorten wurden. Über Jahre hinweg auch setzte Italien auf Abwehr, auf die Abschottung der Seegrenze, schlossen seine Regierungen Abkommen mit Muammar Al Gaddafis Libyen, um über alle Menschenrechtsbedenken hinweg den Südanrainer als Hilfspolizisten einzuspannen.
In diesem Kontext entstand, angestoßen auch vom ehemaligen Cap-Anamur-Chef Elias Bierdel, die Organisation Borderline Europe mit dem Ziel, gleichsam als Lobby für die Flüchtlinge in der öffentlichen Debatte die Stimme zu erheben. Judith Gleitze von Borderline Europe Sizilien wird uns am Vormittag einen detaillierten Einblick in die Geschichte der Fluchtbewegungen, in die Reaktionen der Politik und in die aktuelle Situation geben.
Am Nachmittag sprechen wir mit Vertretern des Anti-Mafia-Netzwerks Libera in ihrem Laden im Zentrum Palermos – einer Immobilie, die früher einem Mafioso gehörte, beschlagnahmt und dann den Mafiagegnernzur Verfügung gestellt wurde. Libera organisiert, zum Beispiel in den Schulen, Aufklärung über die Cosa Nostra, betreibt aber auch zahlreiche Projekte, um in Mafia-freien Betrieben Arbeit zu schaffen.
4. Tag
Wir fahren von Palermo in das Städtchen Monreale, einst Residenz der normannischen Herrscher. Einem von ihnen, Wilhelm II. (auch „der Gute“ genannt) war im Traum die Madonna erschienen und hatte ihm das Versteck eines enormen Schatzes verraten. Zum Dank ließ Wilhelm der Muttergottes in Monreale am Ende des 12. Jahrhunderts eine prächtige Kathedrale mit Kreuzgang und Bischofspalast errichten, eines der schönsten Beispiele normannischer Architektur mit arabischen Einflüssen in Sizilien.
Von Monreale geht es weiter nach Corleone, der Heimatstadt von Totò Riina und Bernardo Provenzano, den beiden berüchtigtsten Cosa-Nostra-Bossen der letzten Jahrzehnte. Wie wohl kein anderer Ort wurde Corleone zum Synonym für eine Mafia, die auch vor hunderten Morden, vor Anschlägen auf Polizisten, Politiker, Richter oder Staatsanwälten, vor blutigen Bombenattentaten nicht zurückschreckte, um ihre Macht zu festigen und Sizilien im Griff zu halten.
Am Nachmittag fahren wir weiter in das kleinere San Giuseppe Jato zum ländlichen Agriturismo Masseria La Chiusa. In diesem ehemaligen Landgut werden wir die kommenden 3 Nächte zu Abend essen und übernachten und tagsüber die Umgebung erkunden, die Landschaft genießen und entspannen.
5. Tag
Das kleine Städtchen San Giuseppe Jato war über Jahrzehnte hinweg eine der Hochburgen der Mafia; heute sind dort aber auch deren Gegner präsent. Wir besuchen die Landwirtschaftskooperative „Placido Rizzotto“ – benannt nach einem von Cosa Nostra ermordeten linken Gewerkschafter –, die auf beschlagnahmten Ländereien von Mafiosi arbeitet.
Von der Kooperative fahren wir nach Portella della Ginestra, im Jahr 1947 Ort eines der blutigsten Anschläge der Mafia gegen ihre Gegner, und sprechen mit Mitgliedern des Vereins, der an dieses Verbrechen erinnert.
Am Nachmittag fahren wir zur Masseria La Chiusa zurück, der Rest des Tages bis zum Abendessen steht zur freien Verfügung.
6. Tag
Am Vormittag fahren wir erneut nach Corleone und besuchen das örtliche Antimafia-Museum, das natürlich von Mafia-Gegnern betrieben wird. Sie informieren uns über die Geschichte der weltweit wohl berühmtesten kriminellen Großorganisation. Unseren Spaziergang durch den Ort können wir einem der typischen Cafés an einer Piazza beschließen.
Nach unserer Rückfahrt zur Masseria La Chiusa können wir uns über das bisher Erlebte austauschen. Der Reiseleiter wird auf Fragen eingehen, die aufgekommen sind, und ein paar Hintergrund-Informationen über Sizilien beisteuern. Bis zum Abendessen bleibt noch Zeit für individuelle Spaziergänge in der Umgebung oder einfach Ausruhen.
7. Tag
Nach dem Frühstück geht es weiter nach Catania, in den Osten Siziliens. Die am Fuß des Ätna gelegene zweitgrößte Stadt Siziliens ist die ewige Rivalin Palermos. Erst ein Ausbruch des Ätna im Jahr 1669, dann das schwere Erdbeben von 1693 hatten die Stadt weitgehend zerstört – und die Grundlagen für einen Wiederaufbau im Barock geschaffen.
Nach unserer Ankunft am Nachmittag besuchen wir den Verein Briganti di Librino. Er will Kids in dem schwierigen Viertel Librino nicht nur zum Rugby-Spiel animieren, sondern ihnen so auch eine Alternative zu Drogen und Kleinkriminalität öffnen.
Abends erhalten Sie beim Spaziergang zum Restaurant einen ersten Eindruck von der barocken Altstadt Catanias, die gemeinsam mit anderen Städten der Region von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde.
8. Tag
Vormittags machen wir einen Ausflug mit dem Bus nach Syrakus. Dort besichtigen wir die Altstadt und den Archäologischen Park. In der Antike siedelten hier Griechen, die Stadt gründeten sie vor mehr als 2700 Jahren.
Am Nachmittag fahren wir nach Catania zurück und treffen uns mit Vertretern des Gewerkschaftsbundes CGIL, um mit ihnen über das Leben der afrikanischen Immigranten zu sprechen. Viele von ihnen arbeiten als Erntehelfer zum Beispiel auf den Feldern Südsiziliens, auf denen auch jene Tomaten reifen, die wir dann in deutschen Großmarktketten kaufen – und werden dort bei unmenschlichen Arbeitsbedingungen mit Hungerlöhnen abgespeist.
Der Tag klingt aus bei einem Abendessen in einem Restaurant in Catania.
9. Tag
Vormittags nehmen wir uns die Zeit, die durchaus besondere Altstadt Catanias genauer zu besichtigen. Nach der Mittagspause beschäftigen wir uns mit dem dauerhaft aktuellen Thema in der Hafenstadt: Flüchtlinge.
Der Südosten Siziliens spielt bei der Aufnahme der von Libyen kommenden Bootsflüchtlinge eine zentrale Rolle, zahlreiche Aufnahmeeinrichtungen bieten ihnen eine erste Unterkunft. Wir werden das Zentrum Astalli besuchen und mit Mitarbeitern über die Situation der Flüchtlinge sprechen.
Anschließend treffen wir Aktivisten von AddioPizzo Catania, um etwas über die Geschichte der ostsizilianischen Mafia zu erfahren, deren Bosse traditionell weit geräuschloser als die Mafiosi aus Palermo arbeiteten und auf spektakuläre Morde an Vertretern des Staates weitgehend verzichteten, aber äußerst effizient die Kontrolle über weite Sektoren der Wirtschaft erlangten.
10. Tag
Beim Frühstück in Catania wird Gelegenheit sein, die Erfahrungen der Reise miteinander zu besprechen. Danach endet die Reise. Die Teilnehmer*innen fahren zum Flughafen oder setzen ihre Reise individuell fort.
Umstellungen und Änderungen im Detail sind möglich. Stand: 31. Januar 2024
Reiseleiter Michael Braun
Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.
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