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22.04.2022 , 14:44 Uhr
Liebe Frau Müller, jede Zeile Ihres Artikels sprach mir aus der Seele (bis auf die Globuli, da bevorzuge ich gänzliches Nichtstun). Ich wünsche Ihnen, Ihrer Tochter und Ihrem Sohn viel Energie, Zuversicht und gegenseitiges Verständnis unter diesen harten Bedingungen. Ich habe seit 7 Monaten eine Sehnenentzündung im Fuß, die aus ungeklärtem Grund nicht abklingt. Überall, wo ich auf Krücken und mit meiner riesigen Orthese auftauche, erlebe ich immer wieder die gleichen Reaktionen: a)„Was, so lange schon?! Wie kann das denn sein?“ – Wenn ich das wüsste. b)„Da müssen Sie Wundermittel xy ausprobieren, das half meiner Schwägerin auch!“ – Danke für den ungefragten Rat. Welche diagnostischen Kompetenzen haben Sie denn? Ich selbst verfüge jedenfalls nicht über die Kompetenzen, den Sinn von Reiki, Kurkuma, Stoßwellen und Eigenblut gegeneinander abzuwägen. Und ich brauche auch keine Erinnerung daran, dass ich eine passende Therapie suche. c)„Das war damals nach meiner Hüft-OP auch so.“ – Das glaube ich nicht. Und ich bin auch gerade nicht in der Lage, mir Ihre Krankheitsgeschichte anzuhören. Chronische Leiden stellen den Alltag auf den Kopf, werfen existentielle Fragen auf und stellen auch persönliche Beziehungen auf die Probe. In dieser Situation kann ich Ihre Entscheidung, Frau Müller, vor allem ein liebevolles Verhältnis zu ihren Kindern zu pflegen, sehr gut nachvollziehen. Wenn zu der unerträglichen Ungewissheit noch ein kopfloser Aktivismus dazukäme, wäre Ihrer Tochter sicher nicht besser geholfen. Bestimmt genießt Ihre Tochter die Momente, in denen Sie sich auf ihre unfreiwillige Langsamkeit einlassen. Denn als chronisch kranker Mensch leidet man auch darunter, dass einen so viel von den (relativ) Gesunden trennt.
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