: Köttbullar und Schönheit
AKTIONSKUNST Das Zentrum für politische Schönheit ist zum Ikea der sozialen Bewegungen geworden. Das ist nicht immer schön, hat aber Zukunft
■ ist Redakteur für soziale Bewegungen. Am 6. Juli diskutiert er im Berliner taz-Café mit Georg Diez (Spiegel) und Yasser Almaamoun (Zentrum für Politische Schönheit) das Verhältnis von Kunst, Aktivismus und Journalismus.
Als der 17-jährige Schwede Ingvar Kamprad im Jahr 1943 begann, mit Streichhölzern und Kugelschreibern zu handeln, war nicht abzusehen, dass aus ihm ein Entrepreneur und Weltverbesserer werden würde. Als der Philosophiestudent Philipp Ruch begann, sich mit moralischem Handwerkszeug zu bewaffnen, war das auch so. Heute ist Kamprad Chef des Möbelimperiums Ikea. Und Ruch schickt sich an – nun ja: eine Nummer kleiner – ein erfolgreicher Politkunstunternehmer zu werden.
Das Zentrum für politische Schönheit, dessen künstlerischer Leiter Ruch ist und das zuletzt Schlagzeilen machte mit der Behauptung, an den europäischen Außengrenzen gestorbene Flüchtlinge exhumiert und in Berlin beerdigt zu haben, ist zum Ikea der sozialen Bewegungen geworden.
Bauanleitung für den Protest
Es gibt ein Objekt in der wiederkehrenden Protestchoreografie des Zentrums für Politische Schönheit, an dem sich diese Parallele besonders deutlich zeigt: die Bauanleitung. Wie Ikea liefert auch das Zentrum textfreie Bauanleitungen. Darauf ist zu sehen, welche Bauteile nötig sind – und wie vorzugehen ist – etwa, um auf der Reichstagswiese in Berlin ein Grab auszuheben. Über einhundert solcher „Gräber“ entstanden Mitte Juni im Anschluss an eine Demonstration am Deutschen Bundestag – spontan ausgehoben von etlichen, ja, was denn eigentlich: Ungehorsamen? Mitläufern? Protestkonsumenten?
Anders als bei basisdemokratischen Aktivistengruppen, die viel Wert darauf legen, vor politischen Protestaktionen ihre „Bezugsgruppen“ zu definieren, einen „Aktionskonsens“ auszuformulieren und dabei stets ihre „Bedürfnisse“ zu artikulieren, ist für derlei Ansprüche beim Zentrum kaum Platz. Es ist PR-Aktionismusprotest von oben geplant, präzise platziert und ohne Zeit für allzu viele Widersprüche.
Das Beachtliche dabei ist: Selten hat ziviler Ungehorsam so spontan und gut funktioniert wie bei den sogenannten Kunstaktionen, die das Zentrum im Programm hat. Als die Gruppe um Philipp Ruch anlässlich des 25-jährigen Mauerfalljubiläums unbemerkt eine Gedenkstätte am Bundestag abtransportierte, entstand die öffentliche Erregung darüber exakt in der Weise, wie das Zentrum sie zuvor kalkuliert hatte. Die Protestprodukte sind extrem gut designt, exakt auf ihren vorübergehenden Nutzen zugeschnitten – und billig zu haben. So verführt das Zentrum Tausende Menschen zu einem Protestkonsum, die sich sonst womöglich nie bedienen würden. Dieses Prinzip ist erfolgreich: Es ermächtigt viele zur spontanen politischen Teilhabe und anders als bei Onlineplattformen wie Campact geht die Ermächtigung recht weit.
Ankerpunkt dieser Ermächtigung ist ein identitärer Imperativ, der sich stets auf der moralischen Gewinnerseite verortet und ein durchaus autoritäres Moment hat: Wer es trotz aller Sympathien für die imposanten Aktionen unwürdig findet, Politik mit den Leichen von Flüchtlingen zu machen, sieht sich mit einer einfachen Antwort konfrontiert: Die Geschichte wird beweisen, dass du auf der falschen Seite gestanden haben wirst.
Aus dieser moralischen Geiselhaft, die angesichts von 23.000 im Mittelmeer Ertrunkenen ihre Berechtigung hat, erwächst eine Art Gewissensrendite: Wer an der Seite des Zentrums marschiert, marschiert, falls das möglich ist, für den Humanismus.
Natürlich bleiben Konzepte wie diese nicht unwidersprochen. Auch aus linken und linksradikalen Aktivistenkreisen, erhalten die Aktionen des Zentrums inzwischen vielseitige Kritik. Und natürlich reagieren auch viele erprobte Stuhlkreisaktivisten allergisch darauf, dass plötzlich eine hierarchisch organisierte Kombo mit einer Art PR-Aktivismus für Zulauf sorgt, auf den viele andere seit Jahren erfolglos hinarbeiten. Dass sich an der polemisch als „Marsch der Empörten“ genannten Demonstration des Zentrums mehr Menschen beteiligt hatten als an der einen Tag zuvor stattfindenden Blockupy-Demonstration in Berlin, zu der Dutzende Gruppen gerufen hatten, zeigt an: Unter den gewandelten Bedingungen eines medienökonomisch unnachgiebigen Aufmerksamkeitsmarktes muss politischer Protest auch neu inszeniert und repräsentiert werden.
Markenkern Kunst
Das Zentrum, das sich selbst Zentrum nennt, stellt hier die Avantgarde – und feiert sich auch durchaus selbst dafür. Nicht zu Unrecht: Die Art und Weise, wie es in der Lage ist, Diskurse zu bestimmen, zu beeinflussen und auf vielfältige Weise zu stimulieren, ist beeindruckend. Dass es gleichzeitig zu echten Formen des zivilen Ungehorsams animiert, macht diese Position noch stärker. Dabei ist durch den immer beliebter werdenden und doch billigen Trick, Protest als Kunstformat zu verkaufen, in den aktivistischen Milieus derzeit einiges im Wandel. Einige unterstellen, dass der Kunstbegriff für den politischen Aktivismus des Zentrums lediglich adaptiert wird, um beim immer neuen Bruch gesellschaftlicher Tabus auch juristisch in einem Schonraum agieren zu können. Das ist ein Trugschluss.
Wichtiger ist: Mit dem permanenten Kunstbezug hält eine statusbezogene Anspruchshaltung Einzug in die sozialen Bewegungen, die diesen Bewegungen vom Grundsatz her nicht zuträglich ist: der Anspruch auf das Urheberrecht einer Aktion.
Fast amüsant mutet es an, dass Blockupy-Aktivisten im Vorfeld ihrer eigenen Demonstration ernsthaft dachten, sie könnten vielleicht das Zentrum zu einer gemeinsamen Demonstration gewinnen. Das Zentrum hat daran kein Interesse. Es sieht seine Proteste stolz als „Regiewerk“ – und natürlich: Nach allen Regeln der Kunst muss dies auch abgrenzbar und wiedererkennbar sein. Anders als Aktivismus hat Kunst einen Markt, der Produzent einen Markenkern und dieser Markenkern einen Wert.
Ikea ist ja keinesfalls nur ein Teufelskonzern. Die schwedische Möbelphilosophie hat handwerklich und ästhetisch eine partizipative Revolution des Sich-Einrichtens hervorgebracht. Auch das Zentrum für Politische Schönheit ist dabei, die bisherigen Einrichtungsregeln sozialer Bewegungen radikal infrage zu stellen. Das ist nicht ausschließlich schön. Aber es hat Zukunft. MARTIN KAUL