: Räume der Angst
ENTEIGNUNG Immobilien von Nazis und Rockern fallen bei Verboten meist an den Staat. Aber nur die Zivilgesellschaft kann sie demokratisch umgestalten
Waffenlager zu Luftballonkellern! Nazi-Wehrsportplätze zu demokratischen Sportvereinen! Nazi- und Rockerkneipen zu Familienzentren! Solche Forderungen zivilgesellschaftlicher Gruppen haben in jüngster Zeit an Dynamik gewonnen – was nicht zuletzt damit zusammenhängt, dass solche Räume der Angst zu einem nicht mehr zu verharmlosenden Phänomen in weiten Teilen des Landes geworden sind; aber glücklicherweise wächst auch der Widerstand gegen sie.
Zwei Fragestellungen sind von grundsätzlichem Interesse: Wird die Verbindung von rechtsextremistischer politischer Kriminalität und organisierter (Rocker-)Kriminalität staatlicherseits überhaupt gesehen? Und wird die Zivilgesellschaft in die Lage versetzt, dieser Verbindung gerade im ländlichen Raum effektiven Widerstand entgegenzusetzen?
Detaillierte Listen
In einer kürzlich veröffentlichten Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen taucht eine längere Liste von Immobilien auf, die bei Verboten von Nazi- & Rockergruppierungen beschlagnahmt und eingezogen wurden. Nach Recherchen der Berliner Zeitung führt der Verfassungsschutz detaillierte Listen über entsprechende kriminell genutzte Immobilien. Andererseits heißt es vonseiten der Bundesregierung, dass die Beobachtung von Immobilien nicht zum Auftrag des Inlandsgeheimdienstes gehöre, weitere Angaben zum Thema wären also nicht möglich. Bislang fallen eingezogene Immobilien hierzulande üblicherweise an die Justizkassen der Länder und schließlich an die Landesliegenschaftsfonds, welche sie dann zugunsten des Staatssäckels verkaufen. Die Grünen finden, dass es „eine hohe symbolische und präventive Wirkung“ hätte, wenn diese Immobilien – wie etwa im mafiagebeutelten Italien – der Zivilgesellschaft für eine demokratische Anschlussverwendung überlassen werden könnten.
Eine Diskussion über staatliche Beschlagnahmung und den Einzug von Vermögen muss in Deutschland vor dem Hintergrund historischer Erfahrungen geführt werden. Deutsche Finanzämter, Sicherheitsbehörden, Banken und viele Einzelpersonen sind mit einschlägigem historischem Vorwissen darüber ausgestattet, wie staatlich legalisierter Raub zu organisieren ist. Dabei beziehe ich mich nicht auf die DDR, sondern auf den deutschen Unrechtsstaat der Nazis, der bekanntlich darauf ausgerichtet war, ganze Bevölkerungsgruppen aus rassistischen Gründen zu entrechten, zu berauben und schließlich zu vernichten.
Heute gibt es in Deutschland grundrechtlich geschützte Eigentumsgarantien – und das ist auch gut so. Eine Grenze dieser Garantien ist aber dort zu ziehen, wo „von kriminellen Gruppen inklusive Rechtsextremist_innen genutzte Gebäude bei der Herstellung lokaler Räume der Angst“ eine prägende Rolle spielen, indem sie instrumentell für die Vorbereitung oder Durchführung von Straftaten sind. Solche Orte sind Zentren von „Einschüchterung, Bedrohung und mangelnder demokratischer Kultur“, wie es die Amadeu-Antonio-Stiftung in einer Stellungnahme formuliert.
Brisante Allianz
Dass kriminelle Mischmilieus zwischen Nazis, sogenannten Rockerclubs und anderen kriminellen Vereinigungen oder Mafien existieren, hat zuletzt die Fachjournalistin Andrea Röpke in ihrem Buch „Gefährlich verankert“ gezeigt. Sie spricht dort von einer „brisanten Allianz“. Auch der NSU-Untersuchungsausschuss im Thüringer Landtag befasst sich mit den Verbindungen von Nazis und sogenannter Organisierter Kriminalität (OK). Und doch behauptet die Bundesregierung in ihren Antworten auf die Kleine Anfrage der Grünen (und anderer Anfragen von Die Linke), dass ihr „keine Erkenntnisse über eine strukturelle oder strategisch angelegte Zusammenarbeit zwischen Mitgliedern von Rockerclubs und der rechtsextremistischen Szene“ vorlägen. Andererseits heißt es aber sehr wohl, dass Einzelpersonen „insbesondere im wirtschaftlichen bzw. geschäftlichen Bereich“ kooperierten. Und hinter vorgehaltener Hand warnen hohe Sicherheitsleute davor, sich mit diesem Thema überhaupt zu befassen.
Die Denkkategorien des Sicherheitsapparats bilden hier offensichtlich die Realität nicht angemessen ab, sodass auch Handlungskategorien entsprechend mangelhaft sind. Sicherheitsbehördlich treten Nazis nämlich als politisch motivierte Kriminalität/rechts in Erscheinung, Mafien und Motorcycle Clubs hingegen als Organisierte Kriminalität, wobei es zwischen der OK Definition von Justiz & Polizei vom Mai 1990 und dem Paragraf 129 StGB zur Bildung krimineller Vereinigungen weitere Unterschiede gibt. Der Mangel an Kategorien führt zu behördlicher Blindheit vor der Dynamik krimineller Mischmileus inklusive ihrem Wirtschaften, für das Immobilien als Infrastruktur- und Investitionsobjekte eine zentrale Rolle spielen.
Vermögen abschöpfen
Sozialräumliche Systeme von Einschüchterung und kriminelle Ökonomien berauben demokratische Gesellschaft. Der Eigentumsschutz kann sich in sein Gegenteil verkehren: Anstatt wichtiger Baustein demokratischer Kultur zu sein, kann er ihre weitere Entfaltung einschränken, Raub kann im Nachhinein unangreifbar gemacht werden.
Dass es politische Bewegung gibt, zeigt eine Anfrage der SPD zu Nazis im ländlichen Raum in der vorigen Legislaturperiode, die sich ausführlich auch mit Immobilien befasste; und das bayerische Innenministerium verfügte bei der Beschlagnahmung einer Nazi-Immobilie in Oberprex im letzten Jahr, dass eine gemeinnützige Verwendung des Areals gefunden werden solle. Die Großkoalitionäre im Bund haben eine leichtere Vermögensabschöpfung krimineller Erträge im Arbeitsprogramm.
Crime shouldn’t pay! Die langjährige erfolgreiche Praxis in anderen EU-Ländern wie etwa in Italien und Spanien aufgreifend, sieht die EU Richtlinie 2014/42 unter Artikel 10 (3) vor, dass beschlagnahmte Vermögensgegenstände für soziale Zwecke oder zum öffentlichen Interesse verwendet werden können. Bundestag und Bundesrat müssen diese Kannbestimmung nur umsetzen. BENNO PLASSMANN