: Uhrenvergleich
REICHTUMSUHR Im Frankfurter DGB-Haus prangert eine Uhr das steigende Nettoprivatvermögen der Bundesrepublik an
■ DGB: Der Deutsche Gewerkschaftsbund wurde 1949 gegründet und ist die größte Dachorganisation von Einzelgewerkschaften. Ihm gehören acht Mitgliedsgewerkschaften mit über sechs Millionen Mitgliedern an.
■ BdSt: Der Bund der Steuerzahleer wurde 1949 gegründet. Als seine Ziele nennt der Verein die Verringerung von Bürokratie und Steuerverschwendung sowie den Abbau der Staatsverschuldung. Der Bund ist beim Bundestag in der Lobbyliste registriert und hat nach eigenen Angaben 250.000 Mitglieder, ein Großteil von ihnen stammt aus Unternehmen des gewerblichen Mittelstandes.
VON ALEM GRABOVAC
Frankfurt am Main. DGB-Haus. Wilhelm LeuschnerStraße 69–77. Die Kita-Erzieherinnen streiken. An einem Infostand werden Streikwesten, Trillerpfeifen und Luftballons mit der Aufschrift „Wir sind es wert“ verteilt. Am Eingang treffe ich mich mit Matthias Körner, DGB-Geschäftsführer der Region Mittelhessen und Miterfinder der Reichtumsuhr. Mit dem Aufzug fahren wir nach oben, steigen auf das Dach des Gebäudes. Dort steht die Reichtumsuhr der Gewerkschaft. In hellrot leuchtenden Ziffern prangert sie das steigende Nettoprivatvermögen der Bundesrepublik Deutschland an. Aktueller Stand: 8.011.656.423.780 Euro. Das sind 8.011 Billionen Euro. Zuwachs pro Sekunde 5.800 Euro.
Zwei Stühle. Die roten Zahlen drehen sich unaufhörlich. Im Hintergrund die Wolkenkratzer des Bankenviertels. Erste Frage: Weshalb steht diese Reichtumsuhr hier auf dem Dach? Matthias Körner, 46 Jahre alt, blaue Jeans, schwarzes Sakko, seit 1993 beim DGB, sagt: „2010 haben wir die Reichtumsuhr als Gegenentwurf zur Schuldenuhr der Steuerzahler entwickelt. Die Reichtumsuhr ist eine symbolische Darstellung eines Verteilungsproblems, einer Verteilungsungerechtigkeit. Dieser einseitig verengte Blick auf die Staatsverschuldung führt zu einer falschen Politik. Durch den Verzicht auf eine angemessene Besteuerung hoher Vermögen verschenkt die öffentliche Hand Einnahmen, die in Bereichen der Bildung und Infrastruktur fehlen. Wir müssen die Reichen wieder mehr beteiligen.“
Während die Frühlingssonne in den Glasfassaden der Versicherungs- und Bankenkathedralen glitzert, erläutert mir Matthias Körner den Reichtum der Bundesrepublik Deutschland. Das Nettoprivatvermögen ergibt sich aus allen Bankguthaben, Immobilien, Aktien und Versicherungen der privaten Haushalte. Betriebliches Vermögen ist nicht in dieser Summe enthalten. Dieses Nettoprivatvermögen, sagt Körner, sei extrem ungleich verteilt: Das reichste zehn Prozent besitzt 5.144 Billionen Euro, das sind 64 Prozent der Gesamtsumme. Das habe doch, referiert er, nichts mehr mit Verteilungsgerechtigkeit und sozialer Marktwirtschaft zu tun. Aus diesem Grund sei er auch für die Wiedereinführung der Vermögensteuer. Eine Steuer von einem Prozent auf das Nettovermögen oberhalb eines Freibetrags von 500.000 Euro für einen Familienhaushalt, argumentiert er, würde etwa 20 Milliarden Euro im Jahr einbringen. Damit könnte man einen substanziellen Beitrag zur Finanzierung der öffentlichen Haushalte leisten, anstatt weiter nur zu sparen.
„Sehen Sie, wir waren ja gerade bei den streikenden Kita-Erzieherinnen. Das ist doch ein Skandal: Während unsere Gesellschaft immer reicher wird, hat der Staat angeblich nicht genügend Geld für Investitionen in das Bildungswesen.“ Na gut, der Staat soll also mehr Geld ausgeben, aber wie wollen Sie die Schulden der Bundesrepublik in Höhe von zwei Billionen Euro zurückbezahlen? Niemand habe ja etwas gegen Schuldenabbau und vernünftiges Haushalten, sagt Körner. Aber hier gehe es um Chancengerechtigkeit. Wer Schulden abbauen möchte, müsse sich überlegen, wie er das zustande bekommt. „Und genau deshalb“, sagt er, „fordern wir ja auch die Einführung einer Vermögensteuer sowie eine höhere Erbschaftsteuer.“ Sie wollen uns also ärmer machen und den privaten Haushalten Geld entziehen? Das sei das Argument der Liberalen, entgegnet Körner. Gewiss sei Vermögen, das dafür eingesetzt wird, Wachstum und Beschäftigung zu schaffen, nicht schlecht – aber in der Realität werde unproduktives Geldvermögen zu reinen Spekulationszwecken eingesetzt.
Dort hinten, in den Türmen der Banken, sagt er mit einer abfälligen Handbewegung, werden Wetten auf ganze Volkswirtschaften abgeschlossen. Zudem sei es doch interessant, dass früher die Liberalen, die Bürgerlichen, für die Erbschaftsteuer gegen die Adligen gekämpft hätten. Aber heute solle alles so bleiben, wie es ist. Die Liberalen sagen, dass Leistung sich lohnen müsse, meinen aber in Wirklichkeit, dass Geldhaben sich lohnen müsse. Ein unregulierter Kapitalismus führe zu einer steigenden Vermögenskonzentration und diese sei letztendlich eine Bedrohung für die Demokratie. Außerdem werde durch die Erhöhung der Erbschaftsteuer die Substanz des Vermögens nicht aufgezehrt. „Nein“, sagt Matthias Körner jetzt mit nachdrücklicher Stimme, „wir brauchen keine Schuldenbremse, sondern eine gerechte Verteilung des Vermögens. Denn wenn die breite Masse der Menschen nicht mehr vernünftig an der Wirtschaft und der Demokratie teilnehmen kann, wären dies am Ende die viel schlimmeren Schulden.“
Das Gespräch mit Matthias Körner dauerte 45 Minuten. Laut der Reichtumsuhr auf dem Dach des Gewerkschaftshauses stieg das Nettoprivatvermögen der Bundesrepublik währenddessen um 15.660.000 Euro.
SCHULDENUHR In Berlin prangert eine Uhr des Bundes der Steuerzahler die steigende Staatsverschuldung der Bundesrepublik an
Berlin-Mitte. Französische Straße 9–12. Schulklassen, Familien und Touristengruppen pilgern zu diesem Ort, Sightseeing-Busse stoppen. Der Grund für diese ungewöhnliche Touristenattraktion: Über dem Hauseingang tickt die Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler. In hellrot leuchtenden Ziffern prangert sie die steigende Staatsverschuldung der Bundesrepublik an. Aktueller Stand: 2.049.152.401.20 Euro. Das sind 2, 049 Billionen Euro. Zuwachs pro Sekunde: 173 Euro. Schulden pro Kopf: ungefähr 25.000 Euro. Eine schwäbische Kleinfamilie fragt mich, ob ich sie vor der Schuldenuhr fotografieren könne. Beim Blick auf die roten Zahlen sagt der Familienvater zu seinem Sohn: „Desch isch eindeutig zu viel.“ Aber ist das wirklich zu viel?
Zwei Stockwerke höher beim Bund der Steuerzahler. Ein schlichter Konferenzraum. Am Tisch sitzen die Pressesprecherin Hildegard Filz, der Abteilungsleiter für Haushalts- und Finanzpolitik, Sebastian Panknin, und der Präsident des Bundes, Reiner Holznagel. Erste Frage: Warum haben Sie diese Uhr da draußen aufgehängt? Es antwortet der Präsident Reiner Holznagel, Jahrgang 1976, schicker dunkelblauer Anzug, Brillenträger: „Seit 1970 hat die Bundesregierung kontinuierlich neue Schulden aufgenommen. Neue Schulden waren wie süßes Gift, man konnte Wohltaten verteilen, sehr viele Sozialleistungen wurden über Schulden finanziert. Mit der Schuldenuhr wird dargestellt, welche Verpflichtungen auf uns Steuerzahler zukommen.“
Danach erklären mir die drei die Staatsverschuldung der Bundesrepublik Deutschland. Sie sind gut vorbereitet, auf dem Konferenztisch liegen Bücher, Broschüren und statistische Tabellenauszüge. Die Gesamtverschuldung, sagen sie, ergibt sich aus den Schulden von Bund, Ländern und Kommunen.
Schulden, argumentieren sie, machen volkswirtschaftlich Sinn, wenn sie tatsächlich die Infrastruktur so finanzieren, dass gegenwärtige und zukünftige Generationen davon profitieren. Wer sich jedoch verschulde, fügen sie mahnend hinzu, brauche einen Plan, wann und wie er diese Schulden zurückbezahle. „Und diesen Plan“, sagt Reiner Holznagel, „vermisse ich in der Historie der Bundesrepublik Deutschland.“
Darüber hinaus sei der drittgrößte Posten im Bundeshaushalt der Schuldendienst. Alleine in diesem Jahr, erläutert Holznagel, würden wir neun Prozent des Haushaltes für Zinsen ausgeben. Die Abgeordneten könnten diesen Posten nicht mehr nach ihrer politischen Gewichtung gestalten, und dies sei aus Demokratiegesichtspunkten fatal.
Gut, das verstehe ich ja alles. Aber wenn man das Staatsvermögen mit der Staatsverschuldung verrechnen würde, hätten wir doch gar keine Schulden mehr? Dies sei eine ökonomische Betrachtung, referiert Holznagel, die zwar in der Bilanz schön aussehe, aber mit der Realität nicht viel zu tun habe. Er sagt: „Versuchen Sie mal, den Bundestag oder das Regierungsviertel zu verkaufen. Wir haben natürlich ein hohes Staatsvermögen, aber vieles davon ist schlicht und einfach nicht veräußerbar.“
Ich probiere es noch einmal mit einer anderen Zahl: Was ist mit dem Nettovermögen der privaten Haushalte? Dieses beträgt momentan etwas mehr als acht Billionen Euro. Zuwachs pro Sekunde: 5.800 Euro. Der Zuwachs der Staatsverschuldung beträgt 173 Euro pro Sekunde. Relativiert das nicht die Schulden? Oder, anders gefragt: Müsste neben der Schuldenuhr nicht auch eine Vermögensuhr hängen?
Jetzt kommt Holznagel in Fahrt. Er sagt: „Diese Zahlen kann man doch nicht gegeneinander aufrechnen.“ Natürlich könne sich der Staat durch massive Steuererhöhungen entschulden. Aber schon jetzt sei ein Single in Deutschland mit über fünfzig Prozent durch Steuern und Abgaben auf sein Einkommen belastet. Wo solle das denn noch hinführen, fragt er. Na ja, aber wie wäre es mit der Einführung einer Vermögensteuer? Jetzt ist Holznagel schon fast empört: „Wir haben doch bereits eine Vermögensbesteuerung in Form einer Grunderwerbsteuer, in Form einer Grundsteuer, in Form vieler anderer Steuern, die wir auf Substanzwerte bezahlen.“
„Nein“, sagt er mit überzeugter Stimme, „wir brauchen ganz bestimmt keine Vermögensuhr, sondern einen funktionierenden Staat, der maßvoll mit den Steuereinnahmen seiner Bürger umgeht und die Schuldenlast nicht auf zukünftige Generationen abwälzt.“
Das Gespräch beim Bund der Steuerzahler dauerte 45 Minuten. Laut der Schuldenuhr am Eingang des BdSt stiegen die Schulden der Bundesrepublik währenddessen um 467.100 Euro.