: Die ungeliebte Tante Rosa
BEFLECKT Die Menstruation ist eines der letzten gesellschaftlichen Tabus. Das Blut, das aus der Frau fließt, soll man nicht sehen – und auch hören will niemand davon
VON MAXI BEIGANG
Vollbekleidet liegt die kanadische Künstlerin Rupi Kaur in ihrem Bett, in grauen Freizeitklamotten hat sie es sich in Seitenlage gemütlich gemacht. Das Foto sieht nach einem bequemen Sonntagnachmittag aus. Nur – die Frau hat einen Blutfleck im Schritt. Das allein war schon zu viel für den Fotodienst Instagram, der nämlich löschte kurzerhand das Bild – es verstoße gegen dessen Richtlinien. Doch Kaur hat weder Spam verschickt noch Bilder von Fremden gepostet oder Nacktheit dargestellt. Sie hielt sich also klar an die Regeln. Die Künstlerin postete das Foto erneut, und Instagram sperrte es wieder. Nach einer großen Empörungswelle in den sozialen Medien hob der Fotodienst schließlich die Sperrung auf und schickte Kaur gleich noch eine persönliche E-Mail, in der ihr mitgeteilt wurde, bei der Löschung habe es sich um einen Fehler der Mitarbeiter gehandelt. Diese Entschuldigung hält Kaur aber für vorgeschoben: Einmal könne ein Fehler passieren, aber gleich zweimal?
Bitte schön heimlich
100 Milliliter Blut verliert jede Frau durchschnittlich im Monat. Das ist der Inhalt einer Espressotasse. Zumeist geschieht das stillschweigend, geradezu heimlich. Denn viel Aufsehen soll sie bitte nicht machen um die „natürlichste Sache“ der Welt: die Menstruation. Die Monatsblutung ist eines der letzten gesellschaftlichen Tabus, das sich seit der Antike gehalten hat. Sexuelle Aufklärung? Klar, immer gern. Schließlich muss pickligen Teenies gezeigt werden, wie Kondome richtig auf Holzpenisse gestülpt werden. Aber Bildung, die die Menstruation betrifft? Nein, danke. Das ist nämlich eklig und riecht auch noch komisch. Kein Thema also für die Biologiestunde, oder den Küchentisch. Wie man Tampons in die eigene Vagina stopft – das kann jede schön selbst lernen, oder die lebenserfahrenen Gleichaltrigen befragen, falls sie sich traut.
Warum aber denken Frauen überhaupt, dass ihre Menstruation etwas Schmutziges und Peinliches sei? Etwas, das lieber verheimlicht als offen ausgesprochen wird? Nacktheit, Sex und der weibliche Körper – besonders in der „richtigen“ Kombination – sind doch gesellschaftlich akzeptiert. Jeder Jugendliche, der den Kinderschuhen entwachsen ist, gafft im Internet tagein tagaus Männer an, die ihren Saft auf Frauengesichter spritzen. Wir können nicht genug davon bekommen, dass sich Frauen sexy geben, sich im durchnässten Bikini auf heißen Kühlerhauben räkeln, um irgendwelche Produkte anzupreisen. Aber die Visualisierung von jenem Blut, das aus der Frau fließt, ist ekelerregend, zu krass, egal ob in sozialen Netzwerken oder sonst wo.
Nicht einmal in der Werbung für Binden werden die Dinge so gezeigt, wie sie sind. Menstruationsblut ist hier nicht rot, sondern blau. Kobaltfarbener Schleim wird im Nachmittagsprogramm über saugfähige Watte gekippt. Aber warum? An der Farbe kann es nicht liegen. In Reklame für Pflaster werden aufgeschürfte Kinderknie gezeigt, Blut realistisch dargestellt, blutrot eben. Wenn Blut also nicht das Problem ist, muss wohl etwas anderes dahinterstecken – ein hartnäckiges soziales Stigma.
Jahrtausendelang wurde Frauen eingetrichtert, dass die Periode sie unrein macht. In der Vergangenheit waren die Erzählungen über Sinn und Unsinn der Blutung von Männeralbträumen gespickt. Ausgangspunkt der Überlegungen war immer der Normkörper, das war der männliche. Die Frau war einfach nur das Wesen, das von diesem abwich. Der unvollendete Mann sozusagen. Die Periode, auch klar, war da das Zeichen für die vermeintliche Minderwertigkeit. Dachte man deshalb im Mittelalter, dass die Monatsblutung die Strafe Gottes für den Sündenfall Evas sei? Die hatte immerhin an den verbotenen Früchten genascht. Viele hundert Jahre zuvor glaubte Pythagoras, Frauen müssten überschüssige Nährstoffe mit ihrer Periode ausscheiden. In den großen Buchregligionen wurden (und werden) Menstruierende von den Gemeinschaftsritualen ausgeschlossen. Und ganz nebenbei, erst 1958 wurde die Ungiftigkeit des Menstruationsblutes nachgewiesen!
Nun haben wir 2015 und Frauen bestellen Produkte für die Monatshygiene im Internet. Muss ja keiner sehen, wie sie sich untenrum fit und sauber hält. Steht frau dann aber an der Drogeriekasse an, um sich ihren Weiberkram zu holen, läuft sie rot an, weil der Macker hinter ihr nicht schnallen will, dass Tampons gar nicht so schrecklich sind, wie er denkt. Wenn er aber seine geschmacksechten Lümmeltüten ganz selbstverständlich aufs Band legt, ist das – logisch – cool.
Zwei Jugendliche aus den USA haben sich dieses Tamponproblems angenommen und ein simples Computerspiel entwickelt, in dem die Heldin statt mit Knarren mit Tampons auf ihre Gegner schießt. So sollte die öffentliche Abscheu gegenüber Hygieneprodukten für Frauen erledigt werden. „Tampon Run“ heißt das Spiel und ist auch in den USA nicht wirklich beliebt. Ein Kommentar in den sozialen Medien brachte das gesellschaftliche Problem auf den Punkt: „I’d rather shoot myself with bullets.“ Der junge Kommentator würde sich also lieber abknallen lassen, als mit einem Tampon beschossen zu werden? Aha, verstehe das, wer will. Oder kann.
Dabei wird übersehen, dass die Monatsblutung genauso zur weiblichen Identität gehört wie Brüste oder Hintern – nur wird sie eben nicht so inszeniert. Zwar will man ihnen nicht dabei zusehen, doch bluten Frauen, um unsere Gesellschaft erst möglich zu machen. Schließlich ist die Periode nichts anderes als die Ausscheidung einer unbefruchteten Eizelle, nicht weniger notwendig als das Atmen. Wie aber soll frau lernen, Respekt für sich und den eigenen Körper zu entwickeln, wenn sie ständig negativen Grundhaltungen über deren Funktionen ausgesetzt ist? Bei heißen neuen Sexpraktiken hingegen kann es gar nicht schnell genug gehen, dass die Frauen selbstbewusst mit ihrem Körper umgehen, zu ihm stehen. Da hat ja schließlich auch der ein oder andere Mann etwas davon.
Die Tabuisierung der Monatsblutung ist nichts weniger als eine institutionalisierte Form der Unterdrückung, um bestehende soziale Strukturen zu stützen und männliche Bedürfnisse zu befriedigen. Rot befleckte Schlüpfer haben keinen Platz neben verführerisch roten Spitzenhöschen.
Nicht ins rote Meer stechen
Mit dem Menstruationsblut sollten Männer im Mittelalter übrigens gar nicht erst in Berührung kommen. Es galt damals als giftig, Sex während der Periode als schädlich. Und auch heute noch „stechen“ Männer nur ungern „ins rote Meer“ – um es mal in jugendlichen Sinnsprüchen auszudrücken. Ungesund ist das zwar nicht, aber eben abstoßend. Es ist schon bemerkenswert, wie andere ehemalige Tabus wie anale Liebespraktiken für Heteromänner mehr und mehr zur Realität gehören, während Periodensex für viele problematisch bleibt.
Dass zum Beispiel Teenagerhefte die Monatsblutung nur in Metaphern umschreiben, verstärkt deren Wahrnehmung als „Frauenproblem“ nur noch. Das Tabu ist eben auch ein Sprachtabu: Mit dem „Besuch der Tante Rosa“ wird Mädchen früh vermittelt, dass ihre Periode kein geselliges Thema und nichts für den Pausenhof ist. Klappe halten ist die Devise. Und damit gilt weiter: Nichts riechen, nichts hören, schon gar nichts sehen.