: Der Preis der Schönheit
EUROPA LEAGUE Der FC Sevilla gewinnt das Finale gegen den FC Dnipro mit ansehnlichem Fußball, der Begehrlichkeiten bei den ganz großen Klubs weckt
AUS WARSCHAU MARCUS BARK
Es war eine würdevolle Stille im Stadion. Die Sorge um Matheus, der in der 86. Minute mit Verzögerung nach einem Zusammenstoß zusammengebrochen war, schreckte die Zuschauer. Für ein paar Minuten rückte der Sport in den Hintergrund. Schnell nach dem Abpfiff gab es die ersten Meldungen, dass der Offensivspieler des FC Dnipro glimpflich davongekommen war. Die Nase ist gebrochen, eine leichte Gehirnerschütterung. Noch in der Nacht kehrte Matheus aus dem Krankenhaus ins Hotel zurück.
Die Fans des FC Sevilla werden in den Momenten des Bangens an ihren Spieler Antonio Puerta gedacht haben, der 2007 mit einem Herzstillstand auf dem Platz zusammengebrochen war und starb. Unai Emery nannte dessen Namen auch, als er nach Mitternacht demütig und voller Pathos seinen Stolz ausdrückte. Der Trainer des FC Sevilla zählte Puerta in einer Reihe von Menschen auf, die den erneuten Triumph in der Europa League nicht mehr miterlebten, aber denen damit eine Freude gemacht worden sei. Dazu gehörte auch sein erst kürzlich verstorbener Vater.
Puerta gewann in den beiden Spielzeiten vor seinem Tod mit dem FC Sevilla den Uefa-Cup, nun verteidigte der andalusische Klub die Europa League. In einem äußerst unterhaltsamen Finale bezwang Sevilla den ukrainischen Klub FC Dnipro aus Dnipropetrovsk mit 3:2. Vier Titel sind der Rekord in dem kleineren der beiden europäischen Wettbewerbe, dessen Sieger erstmals in die Eliteliga aufsteigt. „Wir wollten mehr, und jetzt haben wir mehr. Die Champions League ist ein großartiger Wettbewerb“, sagte Emery.
Der Baske steht kurz vor dem Aufstieg in die erste Reihe der begehrten Trainer. Sein Fußball steht für die Schönheit des Spiels. Flache, scharfe Pässe, Kombinationen in Dreiecken mit geringem Flächeninhalt, schnelle Angriffe, riskante Art des Verteidigens. Beim FC Sevilla ist zu erkennen, was im Training geübt wird. Gemeinhin wird so etwas als erkennbare Handschrift des Trainers bezeichnet. Sie sticht auch ins Auge, wenn bei Eckstößen einstudierte Varianten ausprobiert werden.
Emery kennt seinen Preis. Er begann noch in der Nacht von Warschau zu pokern. Auf die drängende Frage von nervösen Journalisten aus der Heimat, welchen Klub er nächste Saison trainieren werde, sagte Emery mit charmanter Zurückhaltung: „Zunächst genießen wir den Moment. Wenn der Jubel dann vorbei ist, werde ich mit dem Präsidenten reden.“ Emerys Vertrag ist noch bis Juni 2016 gültig.
Es ist das Schicksal des FC Sevilla, dass er seine Besten ziehen lassen muss, wenn die ganz großen Klubs anfragen. Dani Alves und Alvaro Negredo gehören in diese Reihe. Vor dieser Saison wechselte Ivan Rakitic zum FC Barcelona. Er hatte in Sevilla unter Emery eine erstaunliche Entwicklung genommen, hin zu einem dynamischen Gestalter attraktiven Fußballs. „Spieler kommen bei uns immer an einen Punkt, an dem sie den nächsten Schritt gehen wollen. Davon profitiert der Verein allerdings auch finanziell“, erklärte Emery.
Zu den begehrten Spielern aus Sevilla werden Ever Banega und Stéphane Mbia gehören, erst recht Carlos Bacca, dessen Geschichte märchenhafte Züge trägt. Vor etwa sechs Jahren noch war der Kolumbianer Fischer in seiner Heimat, verdiente sich als Fahrkartenkontrolleur in Bussen etwas Geld hinzu. Erst spät wurde sein Talent entdeckt, das vor allem darin besteht, Tore zu schießen. Anfang des Jahres 2012 holte ihn der FC Brügge nach Europa, 18 Monate später schnappte der FC Sevilla zu. Zwei Treffer gelangen Bacca am Mittwoch im Nationalstadion von Warschau.
Auch wenn Banega zum „Man of the Match“ gewählt worden war, die Schlagzeilen gehörten Carlos Bacca. „Es ist einzigartig. Ich widme den Triumph Gott, allen Kolumbianern, meiner Familie, meiner Frau“, sagte er glückselig. Sieben Tore in der Europa League, 20 in der Primera División sind eine prächtige Bilanz für den 28-jährigen Stürmer. Sein Trainer schwärmte: „Bacca ist ein außergewöhnlicher Wettkampftyp. Er hat das, was man Hunger nennt. Er will mehr und mehr und mehr. Er möchte der beste Spieler in der Champions League werden.“ In welchem Klub? Unai Emery empfahl wieder, den Moment zu genießen: „Dann sprechen wir über das Sevilla der Zukunft.“