: Eli und Pluto wissen von nichts
AUSSTELLUNG Die Schau „Lucian Freud und das Tier“ zeigt, wie der Maler und Enkel von Sigmund Freud Tiermodelle in seinem ganz eigenen Duktus lebendig werden ließ
Die Augen nicht ganz geschlossen, die Ohren hochgestellt, hat sie sich als schwarzweißes Enigma, beinlos, zusammengerollt. Aus dem kohlrabenschwarzen Hinterleib wächst die Physiognomie einer „Schlafenden Katze“, deren Fell so gerastert wiedergegeben wird, dass man an Dürers Nashorn denken muss, ein schalenbewehrtes Monster. So viel ist klar: Aus dem 22-Jährigen würde nie, niemals ein Katzenliebhaber werden. Und tatsächlich folgte Lucian Freud, der als Zehn- oder Elfjähriger mit seinen Eltern aus Berlin geflüchtet war, den englischen Passionen. Er hatte es bald mit Hunden und Pferden.
Im Museum für Gegenwartskunst in Siegen gibt es einen ständigen Raum mit Porträts und Akten von Lucian Freud, der in Deutschland zu den schwierigeren der Kunstbetrachtung zählt. Was mit der skrupellosen Art des Schauens zu tun hat, für die der Enkel Sigmund Freuds berühmt geworden ist. Oder sagen wir halb berühmt. Es gibt da einen Widerstand aus dem Inneren dieser Malerei gegen ihre Kanonisierung.
Skrupellose Art des Schauens
Freud erhielt zu Lebzeiten den Rubenspreis in Siegen. An diesem Ort kommt jetzt als temporärer Exkurs eine völlig klassisch gehängte Ausstellung über „Das Tier“ in Freuds Werk: von einem Magritte-mäßig ins Bild schnuppernden Zebra über halbe und ganze Pferde bis zu unverschämt sich im Bildrahmen streckenden Rassehunden. Durch alle Werkphasen und in allen Techniken bleibt das Tier ein drängendes Sujet in diesem Werk bis zum „Portrait of the Hound“ im lebensgroßen Format von 2011, wobei der Jagdhund unvollendet geblieben ist. Sein Hinterteil geht über ins reine Weiß der Grundierung, aber nicht aus Stilgründen, sondern weil der Maler über diesem Werk gestorben ist. Anders als der Titel suggeriert, zeigt das Bild keineswegs nur den Hund, sondern eine komplette (und vollendete) menschliche Figur: einen nackten Mann auf einem Bett, der von unten hoch den Betrachter ansieht.
Freuds skrupelloses Schauen war malerisch immer dann besonders ergiebig, wenn es auf ebenso skrupellose Modelle traf, und eines von ihnen war dieser David Dawson, der Assistent des Malers in den letzten Jahren. Ein kleines und wenig älteres Bild, ein hübsch in die Länge gezogenes Querformat, zeigt ihn ebenfalls nackt auf weißem Tuch liegend. Einer der schmalen Hunde schiebt sich von rechts an ihn heran wie eine Buchstütze, der andere hängt seinen langen Kopf über den nach links aus dem Bild zeigenden Unterschenkel wie eine Wäscheklammer. Exakt in der Mitte das Geschlecht des Mannes als entleertes Symbol: „soft“ im Sinne von Claes Oldenburg.
Die Ausstellung zielt, auch mit ihrem Katalogessay, auf ein gewöhnliches Verständnis eines ungewöhnlichen Werks, wenn sie die Nähe von Mensch und Tier betont – also eine gewisse Austauschbarkeit der Rollen nahelegt. Nicht zu vergessen: Körper, Kleider, Harnisch, Pflanzen, Tiere zu malen war in den großen Ateliers des 16. und 17. Jahrhunderts eine fachliche Ausrichtung, die für ein ganzes Spezialistenleben reichte. Freuds Fertigkeit, eben auch einen tierischen Körper wiederzugeben, ist beachtlich. Die Fertigkeit ist bis in die fünfziger Jahre eine grafische: Man sieht, wie er sich elegant an Illustrationen in Tierenzyklopädien orientiert, Jugend- und Abenteuerromanen vielleicht. Später gibt er es gänzlich auf, sein Können auszustellen, und das Tier zieht mit ins Freud’sche Atelier.
Hunde machen das Rennen
Die Tiermodelle werden im tatsächlichen und übertragenen Sinn lebendig. Der Maler zeigt, wie man fasziniert sein kann von der Nähe eines Tiers. Es wird hineingezogen in die experimentelle Häuslichkeit des Studios, ein sensueller Topos, den in dieser Form wahrscheinlich Rodin erfunden hat. Deshalb machen die Hunde bei Freud das Rennen: Sie lassen sich von menschlicher Gelassenheit anstecken und imitieren insofern ihre Herrchen und Frauchen in deren Rolle als Modell.
Leicht macht überzeugende Kreatürlichkeit vergessen: Bilder werden gebaut. Kein Hund bleibt stundenlang für einen Maler so liegen. Auch ist die künstlerische Zuwendung von Vornherein einseitig, denn David Dawson erkennt sich selbst auf dem Gemälde mit Eli und Pluto, aber Eli und Pluto wissen nicht einmal, was ein Bild überhaupt ist. Man sollte sich von der Beseeltheit der Freud’schen Tiere nicht vereinnahmen lassen und „Lucian Freud und das Tier“ gegen die Tendenz der Siegener Ausstellung lesen, nämlich als existenziellen Shifter: Mensch/Mensch vs. Mensch/Tier. Gewiss hat der junge Mann als Illustrator bei der Fabel angeknüpft, sich aber dann von allem, was allegorisch gewesen wäre, freigemacht. Freuds Malerei war offen, offen zu einem unbestimmten Ende hin: eine totale Empirie, die alles berührt, sogar das Sofakissen. ULF ERDMANN ZIEGLER
■ „Lucian Freud und das Tier“. Kuratiert von Ines Rüttinger. Museum für Gegenwartskunst, Siegen, bis zum 7. Juni. Katalog, 120 Seiten, 24,80 Euro